Geförderte Fotos

Rückruf aus Straßburg. „Wie funktioniert Politik und was ist Diplomatie? Diesen Fragen möchte ich hier nachgehen“, berichtet Jörg Gläscher. Der Fotograf aus Leipzig arbeitet gerade an seinem aktuellen per Stipendium finanzierten Projekt am EU-Parlament. Vor kurzem ist sein Buch „Der Tod kommt später, vielleicht“ über Bundeswehrsoldaten mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2013 in Silber ausgezeichnet worden – ebenfalls gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst. Zwar finden sich in dem Buch auch Fotos aus Redaktionsaufträgen, es seien aber vor allem Bilder, die sich nicht einem bestimmten Magazinkonzept unterordnen mussten. „Ich möchte über die Halbwertzeit klassischer Reportagefotografie hinausgehend allgemeingültige Bilder zeigen, von denen jedes eine Geschichte im Kopf auslöst“, sagt Gläscher. „Dafür sind Stipendien heutzutage immens wichtig.“

Die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst legt das größte Stipendienprogramm für Fotografie in Deutschland auf. Etwa 50 fotografische und gestalterische Projekte fördert die Verwertungsgesellschaft pro Jahr, schüttet dafür – abhängig von ihren Jahreseinnahmen – im Schnitt insgesamt 300.000 Euro aus. Dazu kommt noch die doppelte Investitionssumme, die die Künstler selbst einbringen müssen. Denn gemäß den Förderrichtlinien haben sie eine Kalkulation mit einem finanziellen Eigenanteil von 51 Prozent einzureichen. „Bei ungefähr 300 Bewerbungen im Jahr erreichen wir eine Förderquote von 20 Prozent“, berichtet Britta Klöpfer, die für die Stiftung Kulturwerk zuständig ist. 95 Prozent der Fördersumme gehen an Fotografen, 5 Prozent an Illustratoren.

„Themen mit sozialkritischer Ausrichtung und Langzeitprojekte haben gute Chancen. Denn der Jury geht es um gesellschaftliche Relevanz und nicht um Marktgängigkeit“, erklärt Klöpfer. Für eine Bewerbung bedarf es eines überzeugenden schriftlichen Konzeptes und dem Thema entsprechender fotografischer Referenzen. Wer sich mit Aktfotos für eine harte journalistische Geschichte bewerben will, liegt völlig daneben. „Ein Fotograf, eine Fotografin muss der Geschichte gewachsen sein“, konstatiert Jurymitglied Professor Rolf Nobel.

Weiße Flecken in der Medienlandschaft

„Wir setzen uns für fotografische Stile ein, die in gewisser Weise erzählerisch und stilistisch in den Medien nicht populär sind. Auch etwas gegen den Strich gebürstete Themen haben es auf dem Markt nicht leicht. Solche überraschenden Arbeiten können nur durch Stipendien überhaupt erst entstehen“, meint der Fotograf, der die Fotojournalistenausbildung an der FH Hannover leitet. Er beklagt die zurückgehende Bereitschaft der Verlage, große Erzählstrecken zu finanzieren: „Dass es in Verlagen offenbar gern gesehen wird, wenn Fotografen ihre Geschichten selbst organisieren und finanzieren, ist bedenklich. Die Fotografen werden mit einem Bruchteil von dem, was eine Verlagsproduktion gekostet hätte – und was einem fairen Honorar entsprochen hätte –, abgefunden.“

Subventionieren Stipendien dann eigentlich Verlagsbudgets? „Sicherlich“, räumt Rolf Nobel ein. „Die Alternative hieße aber auf Förderung zu verzichten. Das würde allerdings die mediale Nichtbeachtung ganz wichtiger Themen bedeuten.“ Als Beispiel nennt er die Reportage des Fotografen Martin Schlüter über Vergewaltigungsopfer in Alaska, für die er 2011 als CNN-Journalist des Jahres ausgezeichnet wurde (siehe auch „medium magazin“ 04+05/2012). „Das war ein weißer Fleck auf der medialen Landkarte“, so Nobel: „Für diese Geschichte mit großer publizistischer Bedeutung waren vorher keine Bilder vorstellbar.“ Durch die Förderung der VG Bild-Kunst konnten diese Bilder zum Vorschein kommen. „Allein die Tatsache, dass solche Fotoreportagen noch entstehen können, ist ein Schritt nach vorn“, betont der Professor.

Andere Präsentationsformen

Dennoch sei diese Entwicklung „kein Abgesang eines sterbenden Genres“, meint Nobel. Gute Fotografie fände halt andere Präsentationsformen. Nur ein Drittel der geförderten Projekte findet die Veröffentlichung in Buchpublikationen oder Magazinen, die meisten werden als Ausstellung oder online präsentiert. Dies sei eine Reaktion darauf, dass sich „in den klassischen Medien statt großer Erzählgeschichten immer mehr leicht verdauliche Themen mit Unterhaltungscharakter durchsetzen“. Diese Erfahrung machte auch der Fotograf Wolfgang Müller. In einem vom Kulturwerk unterstützten Projekt lichtete er Wanderarbeiter in China ab. Während mehrerer Aufenthalte über sechs Jahre hinweg, in insgesamt zehn Monaten, kam er den Mingong, wie Wanderarbeiter dort genannt werden, so nah wie kaum ein Europäer sonst.

Müller fotografierte Bauarbeiter, die im feuchten Keller des Neubaus hausten, den sie gerade hochzogen. Er begleitete Wanderarbeiter beim Besuch in ihrer Heimat, porträtierte einen Berufsalltag, den es nach offizieller Lesart in China nicht gibt: das Leben einer Prostituierten. In einfühlsamen Bildern und in eindrucksvoller Bandbreite zeigt er einzelne Schicksale aus der Masse der 200 Millionen Menschen, die innerhalb Chinas die größte Wanderungsbewegung der Geschichte vollziehen.

Großes Lob erntete er beim Präsentieren der Fotos in Bildredaktionen. „Geo“ verwendete einige Bilder, sonst gab es kaum Abdrucke. „Toll fotografiert, aber solche sozialen Themen wollen unsere Leser nicht, hieß es einige Male“, erzählt Wolfgang Müller. Er fand einen Buchverlag und brachte ein exzellentes fotografisches Zeitdokument heraus. „Mingong – Auf der Suche nach dem Glück“ ist gerade druckfrisch auf dem Markt.

Anschubfinanzierung

Den Wandel des Medieninteresses im Laufe der Jahre zeigt die Arbeit des Fotografen Christian Irrgang, der seit der Amtszeit von Johannes Rau alle Bundespräsidenten begleitete, ganz nah und auch in deren sonst abgeschottetem Alltag. Sein Buch über Rau konnte er 2002 noch mit Bildern gestalten, die während der zahlreichen Magazin-Aufträge entstanden waren. Das nächste Buch, über Bundespräsident Köhler, musste er jedoch anders finanzieren, um das dafür notwendige umfangreiche Material erstellen zu können. Für das als Buch erschienene Porträt „Horst Köhler. Der Mensch, der Präsident“ erhielt er ein VG-Bild-Kunst-Stipendium, um die Arbeit zu komplettieren.

Die Gauck-Ära wiederum begann für Irrgang zwar mit einem „Stern“-Auftrag, doch dann musste ein erneutes Kulturwerk-Stipendium den Anschub geben, um mit Hilfe des entstandenen Materials weitere Geldgeber zu finden. Dazu gehört der „Stern“, der sich mit einer Pauschale die Erstabdruckrechte sicherte. „Das Stipendium hat mir den Einstieg in das Buchprojekt erst ermöglicht“, sagt Christian Irrgang.

Info Kontakte & Termine

Stiftung Kulturwerk der VG BILD-KUNST

Weberstraße 61, 53113 Bonn

Tel. 0228/91534-13

Kontakt: Dr. Britta Klöpfer,

kloepfer@bildkunst.de

www.bildkunst.de

Antragsschluss für Fotografie und Design: jährlich 15. Mai und 15.November des Jahres.

Höchstfördersumme: 8.000 Euro.

Medium:Online

Teil 1 unserer Serie über Stipendien für Fotografen – darin mit Infos zu:

> Prix Carmignac Gestion du Photojournalisme,

> Gabriel-Grüner-Stipendium / Zeitenspiegel Reportagen,

> Förderpreis Dokumentarfotografie der

Wüstenrot-Stiftung

finden Sie in „medium magazin“ 12/2012 – per E-Paper im iKiosk oder als Volltext in unserem Online-Archiv: www.mediummagazin.de

Manfred Scharnberg

(62) arbeitet als freier Fotograf, Autor und Redakteur für Editorial und Corporate Publishing in Hamburg.

www.scharnberg.eu

Erschienen in Ausgabe 03/20
2013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 48 bis 51 Autor/en: Manfred Scharnberg. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.