Geld her!

Die große Kündigungswelle in deutschen Verlagen begann genau in jener Novemberwoche, in der die jungen Hamburger Journalistinnen Amrai Coen und Caterina Lobenstein starteten, um sich die Zukunft der Medien rund um die Welt anzuschauen. „Ich bin losgefahren mit der Überzeugung: In zehn bis 15 Jahren wird es Tageszeitungen noch als Print geben“, sagt Coen. „Jetzt denke ich: auf gar keinen Fall.“ Wenn es einem gut gehe mit seinem Job, stelle man das System eben nicht infrage, erklärt sie leicht lakonisch. Aber nach ihren Stationen von São Paolo über New York bis Tokyo sagt sie: „Wir haben gesehen, wie der digitale Wandel den Journalismus verändert.“

Die Recherche-Weltreise der beiden wurde nicht von einem Verlag finanziert – sondern von der Stadt Hamburg. Das Projekt passte in diese Phase, als es immer mehr Journalisten dämmerte, dass sie nicht länger von der Redakteursstelle als Normalzustand ausgehen können.

Zuerst hatte die „Frankfurter Rundschau“ Insolvenz angemeldet, das Stadtmagazin „Prinz“ wurde eingestellt, da war das Ende der dapd erst wenige Wochen alt. Ein paar Tage später folgte dann das Aus der „Financial Times Deutschland“, zusammen mit fast dem ganzen Rest der Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien. Und im Januar wurde noch bekannt, dass die WAZ die Redaktion der „Westfälischen Rundschau“ feuert.

Und weil Verlage und Sender als Geldquelle so unübersehbar ausscheiden, müssen Alternativen her. Eine heißt Crowdfunding (siehe MM 01+02/2013) und eine andere eben Stiftungsjournalismus. Sprich: Entweder man wirbt auf Plattformen im Internet um Unterstützer, damit die für das anstehende Projekt fünf oder 50 oder 1.000 Euro geben. Oder man reicht Rechercheideen bei einem der neuen Journalismusfonds ein. Wie auch immer: Mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der Verlage nach neuen Erlösmodelle für ihre Produkte fahnden, müssen sich jetzt auch die Journalisten Gedanken machen über Finanzierungsstrategien für ihre Arbeit.

Mäzene aus den Goldenen Zeiten

Und so wundert es nicht, dass in den vergangenen 24 Monaten überall neue Journalismusstipendien und -stiftungen auftauchen. Nicht mit millionenschweren Geldtöpfen wie im Fall der „Knight Foundation“, um deren Stipendien sich alle bewerben können, oder wie bei „Pro Publica“ und dem „Bureau of Investigative Journalism“, die von Milliardärs-Philanthropen geförderte Investigativredaktionen betreiben. Nein, in kleinerem Stil, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, teilweise mit Unternehmen im Hintergrund, teils nur für Einzelprojekte. Wie bei Coen und Lobensteins „Next Media Report“, bezahlt aus einem Fördertopf der Stadt.

„Es gab eigentlich keine Leute, die darüber ihre Nase gerümpft haben“, erzählt Coen, die in den USA besonders von der „Pro Publica“-Redaktion begeistert war. „Die Frage, ob man damit auch PR für den Geldgeber, in unserem Fall die Stadt Hamburg, macht, sollte man sich aber immer stellen.“ Sie waren fünf Wochen unterwegs, das ganze Geld ging für Recherche drauf, veröffentlicht wurde online. Sie hatten volle inhaltliche Unabhängigkeit, betont sie. Es habe ja immer Finanziers von Zeitungen gegeben, fügt Coen noch an – früher habe man sie Anzeigenkunden genannt.

Dass es ein Interesse von Unternehmen gibt, Lösungen für die Finanzprobleme der Medien zu finden, sieht man nicht nur an der Sponsorenliste von internationalen Konferenzen zu dem Thema.

Ein Beispiel für Journalismusstipendien, die von medienfernen Unternehmen finanziert werden, ist der Verein „Investigate“. Er ist im vergangenen Jahr aus dem CNN Journalist Award heraus entstanden, einer der beiden Vorstände ist Ex-„Stern“- und „National Geographic“-Chefredakteur Klaus Liedtke: „Wir sagten uns: Es ist zwar schön, journalistische Leistungen auszuzeichnen, aber auch, sie möglich zu machen.“ Journalismus ist für ihn „ein gefährdetes Kulturgut“. Im Frühjahr startet die neue Ausschreibungsrunde, gut 20.000 Euro sind im Topf. Finanziert werden die Stipendien von Audi und der Unternehmensberatung Roland Berger. „Als gute Corporate Citizens sollten Unternehmen ein Interesse daran haben, dass unsere Zivilgesellschaft funktioniert – und das basiert nun einmal auf aufklärerischem Journalismus“, sagt Liedtke. Ein Geschmäckle habe das nicht: „Sie haben keine Mitsprache bei den Projekten, eine unabhängige Jury entscheidet. Für etwas anderes würde ich mich gar nicht hergeben“, winkt er ab. „Es ist doch klar, dass die Unternehmen nicht sagen können: Ihr dürft überall recherchieren – nur nicht bei uns.“

Klaus Liedtke gehört zur gleichen Generation wie „Spiegel“-Redakteur Dirk Kurb-juweit und ZDF-Mann Claus Kleber, die 2011 ein ans Reporter-Forum angedocktes Recherchestipendium ins Leben riefen: Sie kennen noch die guten, alten Goldenen Zeiten. Als Geld und Zeit für Recherchen keine Rolle spielten. Und eben auch weil sie den Unterschied zu heute sehen, engagieren sie sich für alternative Finanzierungen, sprich: Geld jenseits der Budgets von Verlagen und Sendern. „Wir konnten seiner Zeit noch aus dem Vollen schöpfen –unserem Recherchedrang stand nur unsere eigene Bequemlichkeit entgegen“, wie es Liedtke formuliert.

Zum Start des Seminyak-Stipendiums 2011, das explizit für Recherchereisen gedacht ist, schrieb Kurbjuweit: „Ich rede häufig mit Journalistenschülern, und im ‚Spiegel‘-Büro sind viele Praktikanten, die zum Teil schon bei Regionalzeitungen gearbeitet haben. Sie berichten mir, dass es fast unmöglich sei, aufwendige Recherchen zu machen, weil sie niemand bezahlen will oder kann. Ähnliches erzählen Kollegen selbst von großen Zeitungen. Am Recherche-Etat wird offenkundig gerne gespart.“ Und fügte an: „Wie gesagt, ich habe Glück gehabt. Ich wurde 1962 geboren, früh genug, um einen finanziell gut ausgestatteten Journalismus erleben zu können. Und ich war immer bei Medien, ‚Zeit‘ und ‚Spiegel‘, die sich aufwendige Recherchen leisten konnten und können.“ Man „ermuntere zur Nachahmung“, steht lakonisch auf der Homepage.

Zehn Mal mehr Bewerbungen

Dieser Wandel ist auch für Brigitte Alfter Kern ihrer Arbeit: Sie ist Direktorin des European Journalism Fund, der seit 2009 europäische Investigativrecherchen fördert: „Wir müssen begreifen, dass Journalismus und Medien keine Synonyme mehr sind“, sagt sie. „Unser Fach ist heimatlos geworden. Deswegen müssen wir den Journalismus durch diese Krise tragen.“

Sie bekommt zehn Mal mehr Bewerbungen, als sie finanzieren kann. 2012 wird es zwei Förderrunden geben, beide Male wird es zwischen 20.000 und 25.000 Euro zu verteilen geben. Der Fonds plant außerdem ab Herbst eine eigene Crowdfunding-Plattform aufzubauen – weil Investigativjournalisten Angst um ihre Story haben, wenn sie auf anderen Crowdfunding-Portalen ihre Geschichte vorfinanzieren wollen und mit Details um Geld werben. Man wolle mit dem Fonds als Gütesiegel für Konzepte werben, für die das Stiftungsgeld nicht reiche, sagt Alfter, und über die Plattform für die Autoren um finanzielle Unterstützung bitten. Es klingt ein bisschen nach dem Prinzip der Ebay-Verkaufsagenten.

Aber natürlich sind nicht nur Recherchejournalisten und Reporter auf der Suche nach Finanzierung. „Es kann nicht genug Recherchestipendien geben“, sagt Stephan Weichert, Gründer der Medienkritik-Plattform Vocer, „aber es gibt zu wenige, die sich auch anderer Bereiche annehmen. Es gibt auch andere Berufsbilder.“ Deswegen hat er und sein „Verein für Medien- und Journalismuskritik“ das „Vocer Innovation Medialab“ ins Leben gerufen: Gefördert werden sollen
die Ideen von Medienökonomen, Programmierern, Datenjournalisten, Statistikern, je nach Projekt sollen sich auch Teams bilden: „Es gibt geniale Webdesigner und Programmierer, aber ihnen fehlt meistens die journalistische Kompetenz“, sagt Weichert. „Wir wollen einen interdisziplinären Schutzraum schaffen.“ Auch deswegen habe man die Altersgrenze bei 40 gezogen, „Innovationen richten sich nicht nach dem Alter“. Mitte März endete die erste Bewerbungsphase, etwa zehn Projekte werden gefördert, jedes erhält über sechs Monate insgesamt je 3.000 Euro. Das Geld kommt aus einschlägigen Töpfen, etwa von Rudolf-Augstein- und Otto-Brenner-Stiftung.

Nach und nach will Weichert ein Ehemaligen-Netzwerk aufbauen. „Ich glaube, dass die Branche einen Innovationsimpuls von außen braucht“, sagt er. „Verleger sind an der Kommerzialisierung von Journalismus interessiert – ich am Journalismus als Kulturgut.“

Ergänzung, keine Alternative

Das Nonprofit-Onlinemagazin „Vocer“ begreift sich als unabhängig, Autorenhonorare gibt es nicht – und nun initiiert der Verein ein Stipendienprogramm, um Journalismus zu finanzieren: „Das ist kein Widerspruch“, sagt Weichert. Vor allem, weil man bei „Vocer“ in erster Linie Autoren beauftrage, die sowieso nicht auf Honorare angewiesen seien, und man keinen Anspruch auf Exklusivität stelle. „Bei freien Journalisten tut es mir immer etwas weh“, sagt er. Deshalb gebe es nun nicht nur das Medialab, bei dem etwa Ressortleiter als Bewerber keine Chance hätten: Für 2014 plant Weichert eine Crowdfunding-Plattform, die gegen Spenden Investigativrecherchen von Medienthemen ermöglichen soll.

Eine Gefahr, dass sich Verlage und öffentlich-rechtliche Sender auf diese externen Finanzierungsmodelle verlassen und sich selbst nicht mehr in der Pflicht fühlen, sieht keiner der Gesprächspartner. Stipendien wie „Investigate“ seien allenfalls komplementär, sagt Liedtke, keine Alternative.

Anders wäre es vielleicht, wenn hierzulande ein Mega-Mäzen à la „Pro Publica“ auftauchen würde. Weichert sagt: „Ich glaube, dass es in Deutschland in einigen Jahren auch millionenschwere Förder-Initiativen gibt.“ Aber da ist wohl eher der Wunsch Vater des Gedanken.

Info

Die neuen Journalismusstiftungen

Investigate e.V.

Bewerbung: Frühjahr 2013

Fördertopf: ca. 20.000

www.investigate-ev.net

Vocer Innovation Medialab

Bewerbung: bis 14. März 2013

Fördertopf: pro Stipendium 3.000 Euro

www.vocer.org/de/medialab.html

European Journalism Fund

Bewerbung: geplant für 2013: einmal im Frühling, einmal im Herbst

Fördertopf: ca. 20.000 Euro pro Runde

www.journalismfund.eu

Seminyak-Stipendium

Bewerbung: im Herbst/Winter 2013

Fördertopf: 10.500 Euro

www.reporter-forum.de/index.php?id=206

Link:Tipps

Europaweite Übersicht über Journalismusstipendien:

www.journalismfund.eu/other-journalism-grants

Die Medienweltreise von Amrai Coen und Caterina Lobenstein:

www.nextmediablog.de/next-media-report

Spendenfinanziertes Recherchebüro „Dossier“

www.dossier.at

Anne Haeming

ist freie Journalistin in Berlin.

mail@annehaeming.de

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 46 bis 47 Autor/en: Anne Haeming. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.