„Kein deutsches Watergate“

Im „Handelsblatt Morning Briefing“ haben Sie den „Fall Brüderle“ despektierlich als „Bonsai-Affäre“ bezeichnet. War Brüderles Benehmen für Sie nicht diskussionswürdig?

Gabor Steingart: Diskussionswürdig schon, aber ich betrachte die Ereignisse an der Hotelbar als gesellschaftliches Phänomen und nicht als politische Affäre. Dass wir über Sexismus im Alltag diskutieren ist richtig, aber dass daraus Rücktrittsforderungen an Rainer Brüderle abgeleitet wurden, schien mir überzogen. Wir haben es hier nicht mit einem deutschen Watergate zu tun.

Wäre es für das „Handelsblatt“ eine Geschichte gewesen, wenn eine Ihrer Reporterinnen ähnliche Erfahrungen wie Frau Himmelreich mit einem Wirtschaftsboss gemacht hätte?

Wenn eine Kollegin an einem Porträt arbeitet und mit diesem Rechercheergebnis zurückkommt, würde ich sie nicht abhalten, davon zu berichten. Aber nicht erst ein Jahr später. In der Zeitverzögerung liegt zu Recht ein Vorwurf.

Gab es in Ihrer Zeit als Chefredakteur Journalistinnen, die sich bei Ihnen über Akzeptanzprobleme im Job beklagt haben?

Nein. Das ist in unserer Branche kein Problem oder zumindest keines, das mir bisher begegnet wäre. Gehen Sie die Leute durch: Anshu Jain, Jürgen Fitschen, Heinrich Hiesinger oder Peter Löscher – die meisten sind moderne Vorstandsvorsitzende, die in ihrem eigenen Umfeld auch nicht frauenfeindlich denken oder handeln.

Der Western-Countryclub, in dem Männer lieber mit Männern reden, hat sich im Wirtschaftsjournalismus also überlebt?

Kompetenz entscheidet. Wenn es Akzeptanzprobleme gibt, dann eher entlang der Altersgrenze. Verständigungsschwierigkeiten ergeben sich eher, wenn man einen knapp 30-Jährigen zu einem 60-jährigen Vorstandsvorsitzenden schickt.

Chefredakteure loben immer wieder die Arbeit ihrer Reporterinnen. Mit Führungsposten belohnt wurden für ihre Leistungen bislang die wenigsten …

Bei uns ist die Chefreporterin eine Frau.

Sie hatten 2011 angekündigt, den Frauenanteil beim „Handelsblatt“ signifikant erhöhen zu wollen. Sind Sie rückblickend mit Ihrer Quotenarbeit zufrieden?

Solange nicht die Hälfte aller Führungspositionen mit Frauen besetzt ist, kann man im Grunde nicht zufrieden sein. Die Gleichberechtigung von Frauen im Beruf ist Gebot der Klugheit und der Fairness, aber sie ist bisher nicht Realität.

Innerhalb der „Handelsblatt“-Redaktion sind wir zumindest vorangekommen. Als wir uns 2011 das Ziel vorgenommen haben, 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen, lagen wir bei 15,4 Prozent. Aktuell sind wir bei 21,4 Prozent.

Haben Sie diesen Kurs Ihrem Nachfolger ins Gebetbuch geschrieben oder macht der jetzt wieder alles anders?

An der inhaltlichen Notwendigkeit einer gleichberechtigte Besetzung hat sich nichts geändert: vom Gerechtigkeitsaspekt über die Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter bis hin zur Tatsache, dass wir als Medienunternehmen mit Menschen kommunizieren, die ja aus Frauen und Männern bestehen. Auch im Verlag werden wir uns hier ehrgeizige Ziele setzen.

Haben sich Klima und Kultur in der „Handelsblatt“-Redaktion in den letzten Jahren verändert?

Das Klima hat sich verändert – nicht ruckartig, aber beständig. Mit dem gepflegten Herrenwitz kann man in Konferenzen schon länger nicht mehr landen. Es geht partnerschaftlicher zu und weniger wie bei der Bundeswehr, was nicht nur mit dem Frauenthema zusammenhängt, sondern damit, dass die Gesellschaft insgesamt weniger hierarchisch und autoritär strukturiert ist. Es wird heute überall mehr in den Kategorien Kooperation und freiwilliger Zusammenarbeit gedacht.

Apropos Zusammenarbeit: Stimmt es eigentlich, dass immer noch Sie das Sagen in der „Handelsblatt“-Redaktion haben und nicht Hans-Jürgen Jakobs?

Das Sagen im Tagesgeschäft hat der Chefredakteur. Das beweist Hans-Jürgen Jakobs mit kraftvollem Einsatz jeden Tag. Ich bin Herausgeber und diskutiere mit dem Chefredakteur und den Ressortleitern – wann immer sich die Möglichkeit ergibt – über ihre, meine, unsere Ideen. Das macht Spaß und spornt an. Eine so große Zeitung hat Platz für mehr als einen klugen Kopf.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie haben selbst drei Kinder. War immer klar, dass Ihre Frau die Erziehungsarbeit leistet?

Bei drei Kindern muss es eine Absprache geben. Die hat sich nicht stillschweigend eingestellt, sondern durch Gespräche. Meine Frau hatte vorher Vollzeit gearbeitet und steckt seitdem beruflich zurück. Unterbeschäftigt ist sie deswegen allerdings nicht. Sie investiert Zeit und Geduld in das Wichtigste, was wir haben.

PS: Das „Handelsblatt“ hat die „ mutige Journalistin Laura Himmelreich“ anlässlich des 100. Weltfrauentags am 8. März in die Liste der „Frauen des Jahres“ aufgenommen. U.a. „weil sie sich mit ihrem Vorstoß selbst zum Angriffsobjekt gemacht und ihre journalistische Karriere gefährdet hat.“

Katy Walther ist Redaktionsmitglied von „medium magazin“ und freie Journalistin.

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Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 33 bis 33 Autor/en: Interview: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.