Konflikte managen in Redaktionen

Ungeregelte Arbeitszeiten, Überstunden? Kein Problem, gehört für Journalisten doch eigentlich zum Berufsbild. Honoraretats? Wird schon irgendwie hinhauen. Kollegen, die sich den Anforderungen entziehen? Lieber stillschweigend ertragen, statt die Probleme ansprechen. Sonst gibt es nur Ärger und der kritisierte Mitarbeiter lässt sich krankschreiben.

Solche Probleme systematisch anzugehen ist bislang kaum üblich gewesen in Redaktionen und Verlagen. Doch in Zeiten, in denen Auflagen wie Anzeigenerlöse sinken und zugleich die Anforderungen an Redaktionen steigen, während gleichzeitig überall aus Kostengründen Stellen abgebaut werden, aber Gewerkschaften verstärkt auf die Einhaltung von tariflichen Arbeitszeiten achten, müssen sich auch redaktionelle Führungskräfte dem Management der „Ressourcen“ aktiv und professionell widmen. Außerdem gehört es zur sozialen Verantwortung von Vorgesetzten, darauf zu achten, dass die anvertrauten Mitarbeiter nicht Überstunden bis zum Abwinken schrubben, sondern ihre Arbeitskraft auch durch Erholungsphasen gefördert wird.

Die Folge: Chefredaktionen müssen die Ressortleiter und Lokalchefs zunehmend ebenfalls mit Managementaufgaben betrauen, ohne den journalistischen Anspruch und die Kreativität zu vernachlässigen. Das ist bisher weder von Chefredaktionen noch von den leitenden Redakteuren und Redakteurinnen vor Ort verlangt worden. Beide betreten gemeinsam Neuland.

Diese Herausforderung sind wir bei der „Neuen Westfälischen“ systematisch angegangen. Im vergangenen Jahr haben wir zunächst, in einem ersten Schritt, gemeinsam mit allen Kollegen und Kolleginnen einen Leitfaden für Führungsgespräche erarbeitet. Wie richtig es war, so etwas nicht „von oben“ vorzuschreiben, zeigte sich kurz darauf in den intensiven Führungsgesprächen zwischen Chefredaktion und Ressortleitern – in dieser systematischen Form eine Premiere. Dabei haben wir auch nach dem jeweils eigenen Führungsverständnis gefragt – und viele gute, kluge und richtige Antworten erhalten. Aber nicht einer der Befragten ging auf das Thema „anvertraute Ressourcen“ ein. Arbeitsökonomie, Effizienz, Sparsamkeit, Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Redakteurinnen und Redakteure spielten keine Rolle.

In den Gesprächen zeigte sich ein zweites Defizit, das die Lokalchefs selbst benannten: Das Eingeständnis vieler, Konflikten mit den Mitarbeitern lieber aus dem Weg zu gehen. „Ich muss doch mit den Mitarbeitern morgen auch noch gut auskommen“, so ein Argument dafür, dass man lieber auf klare Ansagen für Anforderungen verzichte. Das sagten sogar Ressortleiter, die sonst in Auseinandersetzungen mit Externen und der Chefredaktion nicht zu Zimperlichkeit neigen. Ein „freundschaftlicher“ Umgang mit den Mitarbeitern hat aber auch seine Tücken: Häufig führt Kumpelhaftigkeit (alle duzen sich) dazu, dass sich Einzelne unklar formulierten Anforderungen gern entziehen – was sich dann fast zwangsläufig auf die ganze Redaktion auswirkt.

Damit soll in keiner Weise einem autoritären Führungsstil das Wort geredet werden. Gerade eine kooperative Führung kann für eine Eindeutigkeit sorgen, die allen nutzt – vorausgesetzt sie beinhaltet klare Ansagen und Erwartungen, die zuvor gemeinsam erarbeitet wurden.

Unsere Ausgangssituation für diese Gespräche war dabei sogar ziemlich gut: Unsere Auflage ist vergleichsweise robust (minus 1,3 Prozent an Abos, aber mit E-Paper insgesamt sogar ein Verkaufs-Plus von 1,1 Prozent im IV. Quartal 2012), die Zahl der Abbesteller aus redaktionellen Gründen und der Wechsler zur Konkurrenz extrem niedrig. Sowohl quantitativ wie qualitativ haben wir bereits Arbeitsprozesse deutlich verbessert. Trotzdem gibt es auch in unserer Redaktion Journalisten, die noch „Luft nach oben“ haben. Klar, nirgendwo gibt es „die“ problemfreie Supertruppe. Das bestätigten auch die Teilnehmer der „18., medium magazin‘-Chefrunde“, die im Januar in Bielefeld bei der NW stattgefunden hat. Doch klar ist eben auch: Ungleiche Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft führt zu ungleich verteilter Arbeit, und das wiederum zu einem schlechteren Produkt und Stress im Team. Irgendwann sind auch die duldsamsten Leistungsträger nicht mehr bereit, mehr zu arbeiten als andere – für das gleiche oder sogar weniger Geld. Die Folge: Unzufriedenheit, Streit, innere Emigration.

Die traditionelle Lösung solcher Konflikte besteht oft genug darin, sogenannte „Schwachleister“ wegzuloben oder sie irgendwohin abzuschieben, wo sie keinen Schaden mehr anrichten – wenn auch um den Preis der gleichen Bezahlung. Alternativ wird Hals über Kopf gekündigt, was vor dem Arbeitsgericht für alle Beteiligten oft schlecht endet.

Wir haben uns bewusst für eine andere Herangehensweise entschieden – erstens, weil die traditionelle Konflikt-„Lösung“ schon rein ökonomisch unsinnig ist, und zweitens, weil wir es als Pflicht empfinden, menschlich miteinander umzugehen und jedem Mitarbeiter die Chance zu geben, auf den Leistungspfad zurückzukehren.

Der andere Weg

Wir haben beschlossen, uns nicht länger damit abzufinden, wenn Mitarbeiter abtauchen und zu Arbeitsverweigerern werden. Wir wollen Betroffene aus der Sackgasse der Minderleistung herausführen und Konflikte, die durch extremes Leistungsgefälle entstehen, schnellstmöglich lösen. Dazu gehört allerdings eine Leistungskultur in der gesamten Redaktion.

Um ein abgestimmtes, verbindliches Verfahren in der gesamten Redaktion zu erreichen, hat die Chefredaktion der „Neuen Westfälischen“ zusammen mit dem Hamburger Redaktionscoach Christian Sauer ein Personalentwicklungs- und Konfliktmanagementkonzept erarbeitet. Frühzeitiges Erkennen und sachliches Einschreiten stehen im Mittelpunkt, Fördern und Entwickeln des Mitarbeiters ganz vorn auf der Liste. Aber: Jedem muss auch klar sein, dass Fehlverhalten Konsequenzen nach sich zieht. Im schlimmsten Fall bis hin zum Arbeitsgerichtsprozess und der Trennung von dem betreffenden Mitarbeiter. Es geht um ein Führen mit Maß und Mitte, das Fordern und Fördern immer wieder neu miteinander verbindet.

Natürlich – und das ist ein weiterer Grund für das verbindliche Konflikt-Konzept – muss die Chefredaktion in solch einem Prozess eindeutig hinter der Führungskraft vor Ort stehen – und die Geschäftsführung hinter der Chefredaktion. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um Ängste vor Konflikten mit dem Mitarbeiter abzubauen. Mindestens ebenso wichtig: Der Mitarbeiter selbst hat keinen Anlass zu diffusen Befürchtungen, denn er weiß zu Beginn des Prozesses – der in aller Offenheit auf den Dialog setzt –, was die Stunde geschlagen hat. Er bekommt Angebote zur Weiterqualifizierung und Zeit, sich zu verbessern. Allein die Existenz eines solchen Konzeptes wirkt bereits motivierend.

Integriert wird das Konzept in regelmäßige Mitarbeitergespräche der Führungskraft vor Ort mit ihren Mitarbeitern, die noch in diesem Jahr in Bielefeld eingeführt werden. Das erste Rückmeldegespräch des Konflikt-Konzeptes kann also durchaus auch sehr positiv sein und macht den konstruktiven Charakter deutlich.

Das ist ein möglicher Weg, die Leistungsfähigkeit der gesamten Redaktion zu steigern. Die wichtigsten Handelnden in diesem Prozess sind die direkten Vorgesetzten, die den Konflikt aushalten müssen, aber auch wissen können, dass er umso kleiner bleibt, je früher sie ihn angehen. Sie werden ihrer Führungsverantwortung gerecht.

Chef-Aufgaben

Ziel dieses Weges, dieser Konfliktklärung ist, die Effizienz zu steigern, die Leistung jedes Einzelnen und die Teamleistung zu verbessern, ohne zu überfordern. Dazu muss die Redaktionsleitung versuchen, das Leistungs- und Belastungsgefälle im Team zu vermindern und möglichst auszubalancieren, mit dem Ziel, das Gesamtleistungsniveau zu steiger
n. Dabei geht es um Fairness, nicht um Härte oder den Versuch, schwächere Mitarbeiter herauszudrängen. Jedenfalls nicht, solange sie bereit sind, sich zu entwickeln. Auch wenn das Herausdrängen von interessierter Seite gern unterstellt wird.

Redaktionsleiter können nicht mehr wie bisher die Definition, was Leistung ist, jedem Mitarbeiter selbst überlassen. Denn – die Beobachtung werden viele Branchenkenner teilen und sie war auch Thema der genannten „medium magazin“-Chefrunde bei der „Neuen Westfälischen“ – es fühlen sich häufig vor allem diejenigen, die weniger zur Qualität des Produktes beitragen, besonders belastet. Werden sie auf ihre Minderleistung angesprochen, kommt es schnell zum Konflikt. Darum sind die anfänglichen Besorgnisse der Führungskräfte und der Versuch, solch einer Auseinandersetzung auszuweichen, durchaus verständlich.

Wird ein Konflikt aber geklärt bzw. haben schlechte Leistungen nach einer Reihe konstruktiver Angebote Konsequenzen, kann eine Leistungskultur im gesamten Team entstehen. Und diese ist das natürliche Pendant zu einer sozialen Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeitern, wie sie zu Recht etwa von Betriebsräten eingefordert wird.

Es geht also nicht ausschließlich um Leistungsdruck, sondern auch darum, mit der steigenden Arbeitsbelastung besser umzugehen, die wachsenden Herausforderungen durch Online etc. zu bewältigen und die in jeder Redaktion vorhandenen Effizienzreserven zu heben.

Info

Die Autoren

Carsten Heil (l.) ist seit Juli 2006 stellvertretender Chefredakteur der „Neuen Westfälischen“ in Bielefeld. Zuvor war er unter anderem Hauptstadt-Korrespondent in Berlin.

Kontakt: carsten.heil@neue-westfaelische.de

Christian Sauer, Journalist und promovierter Erziehungswissenschaftler, arbeitet seit 2006 als Redaktionsberater und -coach. Kontakt: www.christian-sauer.net

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 69 bis 70. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.