Mut zum Experiment

Ein Schicksalstag voller Dramatik – zwischen Tragik, Trauer und Erleichterung. Am selben Tag als die Rettung der Rundschau bekanntgegeben wurde, am 28. Februar, wurde einer ihrer begabtesten Nachwuchsredakteure zur Grabe getragen: Nur 32 Jahre ist Felix Helbig alt geworden (s. Seite 88). Seine „Rundschau“ dagegen, so scheint es, hat ihren Überlebenskampf gewonnen.

Wer die vergangenen Wochen und Monate in Frankfurt unterwegs war und wann auch immer er auf die „Rundschau“ stieß: Sie war das Stadtgespräch. Ob Kritiker oder Anhänger, das drohende Aus der FR hat niemanden kalt gelassen. Die Stimmung bei der Pressekonferenz am 28. Februar ließ erahnen, welche Dramatik hinter den Kulissen der vergangenen Wochen geherrscht haben muss. Die Gesichter blass, bis tief in die Nacht war noch verhandelt worden, das endgültige Go des Bundeskartellamts für die Sanierungsfusion kam erst in letzter Minute. Die Erleichterung aller Beteiligten – vom Chefredakteur über die neuen Eigentümer bis hin zum Insolvenzverwalter – war greifbar. Gleichwohl die Lösung nur eine Teilrettung bedeutet. Denn die „Frankfurter Rundschau“ erscheint künftig in einem neuen Verlag. Der Preis, den die neuen Eigentümer – die Frankfurter Societät (55%), die FAZ (30%) und die Karl-Gerold-Stiftung (10%) an die alten Gesellschafter zahlten, ist nicht bekannt. Der Preis für die rund 300 Mitarbeiter des Druck- und Verlagshauses DuV jedoch ist hoch: Sie haben zum 1. März ihre Kündigungen erhalten bzw. sind in eine Transfergesellschaft übernommen worden. „Das sei bitter“, sagte Tobias Trevisan, Verlagschef der FAZ, bei der Pressekonferenz an jenem 28. Februar 2013. Aber nur um den Preis der Entlastung von Druck- und Verlagskosten sei die Rundschau wieder auf wirtschaftliche Füße zu stellen. Den Druck der FR wird künftig die Druckerei der Societät übernehmen, für das Verlagsgeschäft zeichnet der Chef der Societät, Hans Homrighausen, verantwortlich. Und die Redaktion?

Sicher ist zurzeit nur eines: Die „Kernredaktion“, also diejenigen, deren Verträge aus der der alten FR übernommen wurden, besteht aus 28 Redakteuren. 28 für eine Tageszeitung mit überregionalem Anspruch und verstärkten regionalen Ambitionen, wie Homrighausen ankündigte? Wie soll das funktionieren? „ Das ist eines der großen Missverständnisse, gegen das ich derzeit ankämpfe“, sagt Arnd Festerling, der die Pläne für den Um- und Aufbau wenige Tage nach der Übernahme in „medium magazin“ erklärt (s. Seite 14). Vieles ist noch unklar, sicher ist aber: Synergien mit den bisherigen Konkurrenten und neuen Geschwistern – „Frankfurter Neue Presse“, FAZ und FR – unter dem gemeinsamen Dach der FAZIT-Stiftung soll es nicht geben. Das haben Verlag und Chefredakteur kategorisch ausgeschlossen. Die FR will jedoch wieder einen eigenen Mantel in Frankfurt produzieren. Inwieweit die „neue“, eigenständige FR weiter mit der „Berliner Zeitung“ bzw. der DuMont Redaktionsgemeinschaft „ReGe“ zusammenarbeiten wird, soll in den kommenden Wochen geklärt werden. Es scheint wahrscheinlich, dass zumindest eine Kooperation mit der DuMont Redaktionsgemeinschaft in Berlin als Korrespondentenbüro fortsetzt wird.

Und wenn nicht? Bedeutet das auch das Ende der doch stets als Modell der Zukunft gepriesenen Redaktionsgemeinschaft? Franz Sommerfeld, Vorstand bei DuMont, erklärt dazu gegenüber „medium magazin“: „Die Arbeit der Redaktionsgemeinschaft hat das publizistische Angebot aller Abo-Zeitungen unserer Gruppe deutlich und nachhaltig verbessert. Darum werden wir an ihr auf jeden Fall festhalten. Sie ist eine wichtige Form der journalistischen Qualitätssicherung.“ Drei Monate haben sich die neuen Eigentümer und der Chefredakteur als Ziel gesetzt, um die noch offenen Fragen zu klären, den Umzug in die neuen Redaktionsräume im Verlag der Societät zu bewerkstelligen. Schon wieder eine Frist für die FR: Die Zeit läuft bis zum 1. Juni. Die sollte man ihr mindestens geben, bevor ein Urteil über die „neue“ FR gefällt wird.

Wie anders als die mediale Untergangsstimmung hierzulande ist die Stimmung in den USA: Eine Woche waren wir mit der „Chefrunde Studytour“ Ende Feburar im Silikon Valley unterwegs, haben uns Labore für die Komunikation der Zukunft angesehen, mit Machern und Entwicklern gesprochen (s.Seite 52ff) . Was sie alle eint: eine unbändige Lust am Experimentieren und keine Angst vor Fehlern. Ein junger startup-Unternehmer, der längst seine Zahlen im schwarzen Bereich hat, sagte gar fröhlich: Er fordere von seinen Mitarbeiter, dass sie (auch) Fehler produzierten. Denn nur dann könne man sich verbessern. Diese Erkenntnis hat er mit dem ältesten lebenden Risikocapitalgeber gemeinsam: Der 93jährige David Morgenthaler erklärte uns mit Nachdruck: „Man lernt mehr aus Fehlern als aus Erfolgen“. Nur mit einer solchen Einstellung sind Mut zum Experimentieren als Basis für Kreativität möglich. Sven Gösmann, Chefredakteur der „Rheinischen Post“ brachte es so auf den Punkt: „Zur Nachahmung empfohlen: Die Innovationsgeschwindigkeit ist beeindruckend hoch, Produktzyklen von sechs bis 18 Monaten sind die Regel, drei Jahre eine Produktgeneration. Dazu kommt die Fehlertoleranz: Fehler bringen Erkenntnis und werden nicht als Komplettversagen von Menschen oder Unternehmen gewertet.“

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Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 3 bis 4 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.