Was macht eigentlich … Sergej Lochthofen?

Es war ein Paukenschlag: Nach 20 Jahren an der Spitze der „Thüringer Allgemeinen“ setzte die WAZ-Gruppe Chefredakteur Sergej Lochthofen vor die Tür. Den zweiten Paukenschlag setzte Lochthofen selbst: „Sippenhaft“ sei das, polterte er, wie im Stalinismus. Denn auch seine Stellvertreterin, Lochthofens Frau Antje-Maria, sollte gehen. Seinen Frieden mit der WAZ hat er seit dem Abgang Ende 2009 nicht gemacht – wegen der Umstände damals und wegen des Geschäftsgebarens des Konzerns heute: „Die gleichen Leute machen immer die gleichen Fehler“, sagt er. „Schauen Sie sich doch an, was jetzt bei der ‚Westfälischen Rundschau‘ passiert.“

Untätig war Lochthofen seither aber nicht: Er schrieb die bewegte Lebensgeschichte seines Vaters Lorenz auf, die im Herbst 2012 unter dem Titel „Schwarzes Eis“ erschienen ist. Lorenz Lochthofen verließ noch vor der Machtergreifung der Nazis Deutschland, ging nach Moskau, studierte dort Journalismus. In der Zeit des „Großen Terrors“ wurde er verhaftet und in Workuta interniert. Dem sibirischen Lager folgte die Verbannung in die Arktis, seine Söhne Sergej und Pawel sind dort geboren. Erst 1958 konnte die Familie ausreisen, in die DDR, Lorenz Lochthofen machte Karriere als Leiter eines der größten Volkseigenen Betriebe, Sergej Lochthofen studierte später in Leipzig Journalismus, begann beim „Volk“, der SED-Parteizeitung in Erfurt. Da hatte er noch einen sowjetischen Pass, erst nach der Wende nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an („Ich war nie Bürger der DDR“). 1990 sagte sich das „Volk“ als erste Ostzeitung von der Partei los, nannte sich fortan „Thüringer Allgemeine“ und Sergej Lochthofen wurde ihr erster, von der Redaktion gewählter Chefredakteur. „Schwarzes Eis“ hat mittlerweile die vierte Auflage erreicht, Lochthofen freut sich über das Publikumsinteresse: „Die Leute wissen noch immer zu wenig über diese Zeit, den Einfluss Stalins und seiner Erben auf die Geschicke der DDR“, sagt er. „Vieles wirkt noch heute nach, wir beginnen gerade, die Geschichte differenzierter zu betrachten.“ Auf seiner Lesereise erlebt er aber auch „sehr traurige Momente“, wie er sagt: Bei der Lesung in Erfurt sei eine Frau im Publikum aufgestanden und habe erklärt, sie habe die „Thüringer Allgemeine“ nach vielen Jahren abbestellt. „400 Leute applaudierten.“ So etwas trifft Lochthofen, der die TA trotz der Trennung immer noch als „seine“ Zeitung sieht. Es wundert ihn aber auch nicht: „Die Redaktion ist personell ausgeblutet“, sagt er. Und auch „Leute, die nur Zahlen kennen, werden das nie verstehen, aber Zeitungen haben eine Seele. Wer die verletzt, die Preise erhöht und die Qualität senkt, der muss sich über massenhafte Abbestellungen nicht wundern“, kritisiert er unverhohlen Richtung Erfurt. Kann er sich eine Rückkehr in eine Redaktion vorstellen? Ja, sagt er – „ich bin Zeitungsmann durch und durch“. Doch nicht um jeden Preis: „Der Chefredakteur sollte Erster Redakteur und nicht der letzte am Tisch des Managements sein.“ Solange ihn keine Zeitungsredaktion ruft, recherchiert Lochthofen für ein neues Buch und plauscht jeden Montagmorgen beim Freien Radio „F.R.E.I.“ in Erfurt in der Frühsendung „Espresso“ über Thüringen und die Welt – eine „Fingerübung“, die er sich nicht bezahlen lässt. Und aus „Schwarzes Eis“ wird er demnächst auch in Sibirien lesen – auf Russisch, Lochthofens Muttersprache. dk

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 12. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.