Wo bleiben die Männer?

Beim ersten Kurs des vergangenen Jahres glaubte ich noch an eine hübsche Laune des Zufalls: Dorothee, Katrin, Stefanie und Lilian ploppten aus dem Drucker. Es folgten Petra, Alexandra, Ilonka und Ina. Als neuer Akademiedirektor druckte ich die Namensschilder aller Teilnehmer des Kurses „Facebook, Twitter, Google+“ aus und zog am Ende noch Karoline, Felicitas und Angela aus dem Druckerfach. Elf Frauen hatten sich zwei Tage freigeschlagen, um im Januar 2012 in der Akademie der Bayerischen Presse ihr Social-Media-Know-how auf den aktuellsten Stand zu bringen.

Kann ja mal vorkommen, ein reiner Frauenkurs. Rein statistisch sind beim Würfeln elf oder zwölf Sechser hintereinander keine Hexerei. Selbst ein ganzer Roulette-Abend ohne die eigene Glückszahl ist mit den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung vereinbar. „Ihren Quotenmann haben Sie wohl zuhause gelassen“, begrüßte ich damals die Social-Media-Damenriege. Eine Woche später zog dann sogar eine 15-köpfige Teilnehmerinnengruppe in den Workshop „Online texten“. Es war erst Mitte Januar und der Begrüßungsscherz mit dem fehlenden Quotenmann sollte in den Folgemonaten noch oft passen. Die Akademie veranstaltete 2012 etwa 200 Seminare und Workshops, davon waren über zwei Dutzend männerfrei, ein Drittel aller Kurse war mit nur einem oder zwei männlichen Teilnehmern garniert. Insgesamt waren von den knapp über 2.000 Kursteilnehmern im Jahr 2012 genau 70,6 Prozent weiblich und 29,4 Prozent Männer. Fortbildung ist im Journalismus also eine Frauendomäne.

Wollen oder können die Männer nicht?

Auch andere journalistische Aus- und Fortbilder berichten von einem erstaunlichen Männermangel. In der Hamburger Akademie für Publizistik hat sich nun ein 35/65-Verhältnis eingestellt. „Wir haben seit vielen Jahren einen Frauenüberschuss“, bestätigt Akademiedirektorin Annette Hillebrand. Bei der Deutschen Journalistenschule DJS in München bewerben sich seit Jahren 50 bis 80 Prozent mehr Frauen als Männer. Eine Männerquote lehnt DJS-Chef Jörg Sadrozinsky jedoch ab. Die Politik debattiert noch über Frauenquoten im Top-Management, in den Volontärskursen und Journalistenschulen wächst dagegen längst eine mehrheitlich weibliche Journalistengeneration heran. Und bei freiwilligen Fortbildungsveranstaltungen wird der Geschlechterunterschied noch deutlicher: Viele kommunikative Frauen, sehr wenige Männer.

Das eigene Wissen erweitern zu wollen, dafür Zeit und oft Geld zu investieren – männliche Journalisten bringen dieses Engagement immer seltener auf. Wollen sie nicht? Können sie nicht? Ich weiß es nicht.

Die deutliche Frauen-Dominanz in der journalistischen Fortbildung ist ein neues Phänomen mit aktueller Dramatik. Das belegen die Teilnehmerzahlen der Akademie: Am Anfang – die Akademie wurde 1986 gegründet – soll es sogar einen Männer-Überschuss gegeben haben. Zur Jahrtausendwende kamen nur 57 Prozent Frauen und 43 Prozent Männer, vor fünf Jahren lag das Verhältnis schon bei 64 zu 36 Prozent, jetzt 70,6 zu 29,4 Prozent.

Das systematische Verschwinden der Männer lässt folgende Prognose zu: Bei anhaltender Tendenz – jedes Jahr ersetzt 1 Prozent fortbildungshungriger Frauen 1 Prozent Männer – wird im Jahr 2042 der letzte männliche Redakteur einen Kurs der Akademie besuchen. Das ist, rein mathematisch natürlich, so beängstigend wie die Hochrechnung des Journalistikprofessors Klaus Meier von der Universität Eichstätt, wonach beim derzeitigen Auflagenschwund der Tageszeitungen im Jahr 2034 das letzte Blatt erscheinen wird. Die Akademie der Bayerischen Presse könnte sich auf den Männerschwund einstellen: Reporterinnen, die Onlinevideos drehen, Magazin-Autorinnen, die bissige Glossen formulieren, und Volontärinnenkurse ohne Gender-Problematik – das lästige Political-Correctness-Geschreibsel „RedakteurInnen“ entfällt dann endlich. Auffällig ist: Keine einzige Kursteilnehmerin vermisste bislang die Kerle im Kurs.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Männer aller Mediengattungen nicht an die prognostizierte Fortbildungs-Null-Diät halten. Vielleicht erkennen die Personalabteilungen in den Verlagen, welches Potenzial da schlummert: Männer, die regelmäßig ins Kommunikationstrainingslager gehen und ihr Medienwissen auffrischen. „Coaching für Textchefs“, „Lokaljournalismus 2013“, „Facebook für Redaktionen“ oder „Investigative Recherche“ könnten auch Axel, Bernd, Christian und Uwe inspirieren. Sollten wir die Kurse im Programm künftig anders texten, um Männer anzulocken? Vielleicht wie Baumarkt-Werbung? „Sportjournalismus – mach dein Ding!“ oder „Presserecht für das Internet – keiner spürt es so wie du!“?

Ein Akademie-Workshop hat mich unlängst überrascht: In „Community-Management“ fanden sich neun Männer ein, begleitet von nur sechs Frauen. Eine Nachfrage erklärte die Anomalie: Die Personalreferentin eines TV-Senders hatte die Herren angeblich zur Fortbildung verdonnert.

Martin Kunz

ist Wissenschaftsjournalist und seit 1. Januar 2012 Direktor der Akademie der Bayerischen Presse. www.a-b-p.de

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 37 bis 37 Autor/en: Martin Kunz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.