Definitionssache Leistungsschutz

„Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.“

(§ 87f Urheberrechtsgesetz, Artikel 1)

Das Schlachtfeld ist wieder leer, die Kanonen rauchen noch. Nach monatelangem Zank winkte der Bundesrat am 22. März das Leistungsschutzrecht (LSR) für Presseverlage durch. Seitdem ist es stiller geworden. Die Zeit der dramatischen Appelle wie „Verteidige dein Netz“ (Google) ist vorbei. Diese neue Ruhe hat vor allem einen Grund: Heftige Proteste von Netz-Aktivisten und das gewaltige Drängen der Verleger-Lobby führten zu einem Kompromiss, der von einem Umbruch so weit entfernt ist wie der Papst vom Protestantismus. Auch wenn glühende Befürworter wie Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer bei Axel Springer, von einer „wegweisenden Entscheidung“ sprechen – der derzeitige Weg führt in die Verwirrung. Die beschlossenen Änderungen im Urheberrecht bleiben vage, Begriffe im Gesetz undefiniert.

Eigentlich wollten die Pressverlage der kos-tenlosen Verbreitung ihrer Inhalte durch Suchmaschinen (allen voran Google) und News-Aggregatoren (wie „Rivva“) einen Riegel vorschieben. Deshalb kämpften sie mit der Axel Springer AG an ihrer Spitze um eine neue rechtliche Lösung zum Schutz der redaktionellen Leistungen. Mit dem nun durch die Parlemente gebrachten LSR haben jedoch beide Seiten Grund zum Hadern: Internet-Unternehmen, weil sie die Gesetzesänderung nicht stoppen konnten, und die Verlage ebenso, weil das LSR in abgespeckter Form ihnen weitaus weniger Einnahmen verspricht als erhofft. Suchmaschinen wie etwa Google News können weiterhin Kurztexte zitieren und Artikel auflisten. Das Gesetz erlaubt die Übernahme von „einzelnen Wörtern oder kleinsten Textausschnitten“. Doch was heißt das nun in der Praxis? Wie das neue Gesetz im Detail genutzt werden soll, ist weitgehend ungeklärt, wie eine Stichproben-Umfrage des „medium magazin“ zeigt.

* Für Gruner+Jahr erklärt Thilo von Trott, Leiter Public Affairs: „Links und kurze Textausschnitte von unseren Inhalten sind unverändert weiter möglich, brauchen weder eine Erlaubnis noch kosten sie Geld.“

* Christian Nienhaus, der Geschäftsführer der Essener Funke Mediengruppe (ehemals WAZ-Gruppe), kündigt offensiv an: „Textausschnitte, die sich auf das objektiv Notwendige beschränken, sind vom Leistungsschutzrecht nicht erfasst. Darüber hinausgehende Textausschnitte fallen unter das Leistungsschutzrecht, das wir auch zu nutzen gedenken.“

* Das Serviceportal der Stiftung Warentest will hingegen keinen Gebrauch vom Leistungsschutz machen. „Im Gegenteil: Wir freuen uns sehr über kurze Zitate und Links auf test.de, eine Erlaubnis muss dafür nicht eingeholt werden“, sagt der Chefredakteur von test.de, Andreas Gebauer.

* Für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sagt Kommunikationschef Andreas Tazl: „faz.net freut sich weiterhin über die Verlinkung seiner Beiträge. Suchmaschinen und gewerblichen Aggregatoren ist es gestattet, zur Bezeichnung ihrer Suchergebnisse einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte zu verwenden.“

In den Verlagsbüros sind nun die Juristen am Werk. Detailarbeit ist angesagt, bis der Leistungsschutz zu einem jetzt noch unbekannten Zeitpunkt in Kraft tritt. Offen ist etwa noch die Frage, ob die Verlage eine gemeinsame Verwertungsgesellschaft gründen oder jeder selbst seine Einnahmen aus dem Leistungsschutz abrechnet – falls es denn welche gibt. So lässt Christoph Keese für Axel Springer verlauten: „Da das Gesetz keine Verwertungsgesellschaftspflicht enthält, kann jeder Verlag frei entscheiden, ob und wie er das neue Recht wahrnimmt.“ Als sei das Leistungsschutzrecht völlig unvermittelt auf die Verlage zugekommen, scheint aber eben jenes „ob und wie“ der LSR-Wahrnehmung noch völlig diffus – selbst im Hause Axel Springer: „Dieser Entscheidungsprozess ist auch in unserem Hause noch nicht abgeschlossen. Deswegen können wir uns zu Einzelheiten der Wahrnehmung noch nicht äußern“, erklärt Keese.

Geschäftsführer Peter Esser von der „Mittelbayerischen Zeitung“ lässt mitteilen, sein Haus habe noch gar nicht geklärt, wie es vom Leistungsschutz profitieren kann, das gleiche ist bei Madsack („Hannoversche Allgemeine“) zu hören. Und auch in München bei der Hubert Burda Media heißt es: „Die Beantwortung konkreter Umsetzungsfragen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.“

Um der Nutzer-Unsicherheit entgegenzuwirken haben, bislang einige wenige Redaktionen auf ihren Websites Stellung bezogen – so „Spiegel Online“: „Unsere Überschriften und Anrisstexte können wie bisher verwendet werden. Wir werden das Leistungsschutzrecht nicht nutzen, um Links und Zitate zu unterbinden.“

Klärungsbedarf bei Honoraren

Ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Journalisten nach Inkrafttreten des Leistungsschutzes extra Geld verdienen können – also von den Einnahmen profitieren, die Verlage durch die Übernahme längerer Textausschnitte erzielen. Klärungsbedarf herrscht auch hier, wie die Antwort von Christoph Keese auf die Frage nach einer zusätzlichen Vergütung zeigt. Honorar und eine angemessene Leistungsschutz-Beteiligung sind für ihn zwei Paar Schuhe. Ob Urheber über ihre Honorare oder über Ausschüttungen beispielsweise via VG Wort beteiligt werden, sei noch zu klären. „Dies hängt vor allem davon ab, wie die Autoren ihre Beteiligung zu organisieren wünschen. Unwahrscheinlich ist eine Beteiligung über Honorare, da dies ein wirtschaftlich und rechtlich gänzlich anderes Instrumentarium ist“, meint Keese. Wie also könnte das geregelt werden? Ein Transfer eines Teils der Einnahmen an die Verwertungsgesellschaft der Journalisten, die VG Wort, ist nicht vorgesehen – weshalb die Journalistenverbände vor allem Missmut äußerten. Die Funke-Gruppe (WAZ) und Gruner+Jahr kündigen zwar an, Autoren zu beteiligen – „für den Fall, dass das Leistungsschutzrecht irgendwann Erlöse bringen sollte“, wie Thilo von Trott offenbar mit leisem Zweifel erklärt. Doch in der Frage des „Wie“ herrscht auch hier völlige Unklarheit. So kündigt Christian Nienhaus an, sich selbstverständlich auch, was die Vergütung angeht, an das Gesetz zu halten. Zu klären sei aber, ob es individuelle Vereinbarungen zwischen Verlag und Autoren gibt oder tarifliche Vereinbarungen, die dann für alle gelten.

Probleme könnte es für Freie geben – wenn sie ihre Artikel mehrfach verkaufen wollen. Zwar gilt der Leistungsschutz der Verlage nur ein Jahr. Doch der Deutsche Journalisten-Verband weist darauf hin, dass sich auf dem Markt künftig zwei ungleiche Verkäufer gegenüberstehen: der Verlag, der dank Leistungsschutz bei der Weiterverwertung gestärkt ist. Und die freien Journalisten, die ihre Recherchen weiter verwerten wollen. Dieser Streit könnte ein neues Schlachtfeld eröffnen. Vor den Gerichten.

Jens Twiehaus ist freier Autor.

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Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Jens Twiehaus. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.