Die Weltreporter

1. Schwierige Zeiten für Geheimniskrämer

Julius Müller-Meiningen aus dem Vatikan

Vatikanstadt. „Der Vatikan ist eine stumme Welt“, sagt der italienische Enthüllungsjournalist Gianluigi Nuzzi. Nuzzi muss es wissen, schließlich lieferte Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener von Benedikt XVI. seine vom Schreibtisch des Papstes gestohlenen Dokumente bei Nuzzi höchstpersönlich ab, der sie in einem Buch veröffentlichte.

„Raben“ wird die Gruppe von etwa 20 anonymen Informanten in Rom abschätzig genannt, die den Vatileaks-Skandal auslöste. Nuzzi, der wie wenige andere Einblicke in die Kurie bekam, ist seit seinen Enthüllungen im Vatikan persona non grata und bekam für das Konklave, aus dem Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus hervorging, keine Akkreditierung.

Noch nie war Kommunikation im Vatikan so wichtig und auch für die Papstwahl so entscheidend wie bei diesem Konklave. Die ersten Schritte des neuen Papstes deuten auf ein verändertes Verständnis von der Bedeutung des Wortes und seiner Vermittlung hin. „Evangelisierung“, also die Verbreitung des Evangeliums, ist eines der wichtigsten innerkirchlichen Themen.

Aber vor allem die Sprache nach außen hat sich mit Franziskus verändert. Mit einfachen Worten und Gesten hat der Papst aus Argentinien in wenigen Tagen viele Menschen für sich gewonnen und ganz nebenbei eine unbezahlbare PR-Offensive für die Kirche gestartet, hinter der dogmatische Starrheit und allerlei Skandale plötzlich zweitrangig wirken.

Das achtjährige Pontifikat seines Vorgängers, das im Hinblick auf Außendarstellung der Kirche absolut missglückt ist, hat Franziskus den Boden bereitet. Die Einstellung eines Kommunikationsdirektors in der Ratzinger-Ära oder der sehr bemüht wirkende Start des päpstlichen Twitter-Accounts durch Benedikt machen sich geradezu banal aus im Vergleich zur überwältigenden Außenwirkung des Neuen.

Der Jesuiten-Papst ist nicht nur selbst ein guter Kommunikator. Seine Wahl war auch eine Kraftprobe zwischen unterschiedlichen Auffassungen über Kommunikation.

So hielten die einflussreichen US-Kardinäle während des Vorkonklave hoch interessante Pressekonferenzen ab, so lange, bis die Kurie mit den einflussreichen Eminenzen Angelo Sodano und Tarcisio Bertone gegen so viel Offenherzigkeit protestierte und die Absage der kurzweiligen und informativen Auftritte erzwang.

Im Konklave, in dem sich traditionell Konservative und reformorientierte Kräfte gegenüberstehen, hatten die vergleichsweise weltoffenen US-Kardinäle entscheidende Stimmen und gaben bald den Ausschlag zugunsten Bergoglios. Die informationsfeindliche Kurie musste klein beigeben. Wenn nicht alles täuscht, blühen den Geheimniskrämern im Vatikan nun unangenehme Zeiten. https://twitter.com/pontifex

2. Tweets aus dem Gerichtssaal

Leonie March aus Südafrika

Pretoria. Die Kautionsanhörung im Fall Oscar Pistorius beginnt. Der Richter verbietet Kameras und Tonaufnahmen, da er eine „verzerrte Wahrnehmung“ befürchtet. Er will eine öffentliche Vorverurteilung des wegen Mordes angeklagten südafrikanischen Paralympics-Stars vermeiden. Doch er scheint die neuen Medien entweder vergessen oder ihre Macht unterschätzt zu haben.

Über Twitter halten uns Journalisten, die einen der begehrten Plätze im Gerichtssaal ergattert haben, nahezu im Sekundentakt auf dem Laufenden. Jegliche Regung des Angeklagten und seiner Familie wird genauestens beschrieben und kommentiert: Wann der Bruder seine Hand auf Oscar Pistorius’ Rücken legt, wann dieser in Tränen ausbricht, ob er reumütig wirkt.

Der Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft wird teilweise wörtlich wiedergegeben, ebenso wie Gesprächsfetzen in den Pausen. Keine Unterhaltung sei mehr privat, kritisiert ein südafrikanischer Kommentator. Auch die chaotischen Szenen des Medienansturms vor der Tür werden zum Twitter-Thema. Vier Tage lang, bis zur Entscheidung, Pistorius auf Kaution freizulassen.

Es ist schwer, sich dem Reiz dieser ungefilterten Informationsflut zu entziehen. Für die Berichterstattung aus der Distanz ist sie von unschätzbarem Wert. Denn die Tweets sind viel mehr als sachliche Updates, sie lesen sich wie eine atmosphärische Reportage. Aber es bleibt eine Pseudo-Nähe. Es besteht eine Abhängigkeit von der Beobachtung anderer und die Gefahr von Falschmeldungen. Für die Bürger wächst die Versuchung, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob Oscar Pistorius seine Freundin ermordet oder nur versehentlich erschossen hat, lange bevor alle Fakten vor Gericht ausgewertet sind. Juristen fürchten um die Unabhängigkeit der Justiz.

Zwar gibt es in südafrikanischen Strafprozessen keine Jury, die beeinflusst werden kann, der Richter steht jedoch unter enormem öffentlichen Druck. Angesichts der detaillierten, ungefilterten Kommentare, die durch Twitter nahezu in Echtzeit weltweit verbreitet werden, noch mehr als bei klassischer Berichterstattung. Bei einigen deutschen Gerichtsverfahren wurden Tweets deshalb schon verboten. Südafrika aber diskutiert noch kontrovers über die Frage, was schwerer wiegt, das Recht der Öffentlichkeit auf Information oder das des Angeklagten auf einen fairen Prozess.

Pistorius’ Familie selbst ging in die Offensive: Auch Bruder Carl twitterte von der Anhörung, ein PR-Team um den ehemaligen „Sun“-Chefredakteur Stuart Higgins sollte den schlimmsten Imageschaden abwenden. Der Fall Pistorius ist zu einer in Südafrika beispiellosen Medienschlacht geworden. Beim nächsten Gerichtstermin, am 4. Juni, geht sie in die nächste Runde. Ob der Richter die Tweets dann untersagt, ist noch offen. http://n24.cm/Zqqsin

3. Neue Zeitung trotzt der Krise

Julia Macher AUS Spanien

Barcelona. Dass die Online-Zeitung „eldiario.es“ ein Kind der Krise ist, stellt schon die Unterzeile klar: „Journalismus trotz allem“ heißt es dort mit trotzig-stolzem Berufsethos. Ein Großteil der zwölfköpfigen Redaktion stammt aus der 2012 eingestellten Tageszeitung „Público“. Mit zwei Millionen Lesern im Monat ist die im September 2012 online gegangene Netzzeitung ihr erfolgreichstes Nachfolgeprojekt.

Berichtet wird über Protestbewegungen ebenso wie über parlamentarische Politik, dazu gibt es Hintergrundartikel und Specials, etwa zum Copyright. So schlägt eldiario.es den Bogen zwischen den digitalsozialisierten „Empörten“ und eher traditionellen Lesern, denen die großen Printzeitungen zu partei- und unternehmensnah sind.

Inspirieren ließ sich die Redaktion von der US-amerikanischen Zeitung „politic.com“. Allerdings hat eldiario.es neben der Politik auch noch ein eigenes Wirtschaftsressort. „Das ist unsere publizistische Antwort auf die Banken- und Eurokrise“, sagt Vizedirektor Iñigo Ugarte.

Um die eigene Unabhängigkeit zu garantieren, hat sich eldiario.es als GmbH konstituiert, die zu über fünfzig Prozent von der Redaktion gehalten wird. Auch die anderen Gesellschafter sind Privatpersonen.

Die Zeitung finanziert sich über Werbung und bisher knapp 4.500 Abonnenten, die gegen einen Jahresbeitrag von 60 Euro Vorabversionen, Einladungen zu Veranstaltungen und eine vierteljährliche Zeitschrift bekommen.

Genug, um allen zwölf Redakteuren ein bescheidenes Salär von 20.000 bis 30.000 Euro jährlich zu zahlen. Entlohnt werden (und zwar mit 300 Euro pro Monat bei einer Arbeitszeit von vier Stunden täglich) auch – das erwähnen die Statuten eigens – die Praktikanten. Und das ist ja nicht nur in Spanien, wo in der Medienbranche in den letzten vier Jahren 6.000 Stellen abgebaut wurden, sondern auch im wirtschaftlich stabileren Deutschland längst nicht mehr selbstverständlich.

www.eldiario.es

Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 14 bis 15. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten i
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