Exempel „Hürriyet“

Die Redaktion von „Hürriyet“ in Mörfelden-Walldorf hat Ende Februar dichtgemacht, seit 1. März wird die Europa-Ausgabe der Zeitung in Istanbul produziert. Wirklich überrascht hat diese Entwicklung niemanden. Seit Jahren leidet das Blatt unter massivem Auflagen- und Anzeigenschwund. Zu Hochzeiten hatte es hierzulande eine Auflage von 100.000 Exemplaren, heute sind es nicht mehr als 15.000, wie unter der Hand kommuniziert wird. Das vor rund elf Jahren in Betrieb genommene Druckzentrum der Tochterfirma Hürriyet A.Ş ist von den Streichungen nicht betroffen. In Mörfelden-Walldorf werden nach Angaben des Unternehmens 21 Publikationen aus vier Kontinenten in acht Sprachen gedruckt; darunter Tageszeitungen wie „Financial Times“ und „The Wall Street Journal Europe“. Die Druckerei macht Gewinne – anders als die Zeitung „Hürriyet“. Dass die Umsatz-Talfahrt Konsequenzen haben würde, ahnten die „Hürriyet“-Mitarbeiter, nicht aber, dass das Aus so schnell kommen würde. Der Beschluss aus Istanbul wurde ihnen eine Woche vor der Redaktionsschließung verkündet. Namentlich kommentieren möchte diese Entwicklung kein Redakteur. Nur Betriebsratsvorsitzender Naki Çolak findet deutliche Worte und erklärt, dass sich die türkischen Chefs nicht um gesetzliche Vorgaben hierzulande scheren. Der Betriebsrat hat Widerspruch gegen die Kündigungen eingelegt, die Verhandlungen dauern an. Anfang April war immer noch unklar, wie es für die rund 60 Mitarbeiter aus Redaktion, Vertrieb und Anzeigenabteilung weitergeht. In einer lapidar formulierten Presseerklärung lässt die Geschäftsführung wissen, dass „Hürriyet“ weiterhin „ihrem Namen und ihrer Geschichte entsprechend in bekannter Manier, mit stetigen Neuigkeiten, jung, dynamisch und objektiv für ihre Leserschaft in Europa berichten“ wird.

Ohne Online geht nichts mehr

Den Ruf, objektiv zu sein, hatte „Hürriyet“ hierzulande freilich nicht. Markige Sprüche und polarisierende Berichterstattung prägten vielmehr lange das Profil der Zeitung, die sich als Sprachrohr für die türkischen Arbeitsmigranten versteht. Manch einem deutschen Politiker war die Zeitung schon ein Dorn im Auge. Otto Schily zum Beispiel, der sich in seiner Amtszeit als Bundesinnenminister schon mal bei „Hürriyet“-Herausgeber Aydin Dogan über Hetzkampagnen und einseitige Berichte über die „bösen“ Deutschen und ihre Türkenfeindlichkeit beschwerte. Den „Gastarbeitern“ freilich halfen „Hürriyet“ und andere Blätter, das Heimweh und das Bedürfnis nach Informationen aus der Heimat zu stillen.

Im ersten Jahrzehnt nach dem Anwerbeabkommen wurden die Blätter noch aus Istanbul eingeflogen. Nach und nach bauten türkische Medienunternehmen Redaktionen in Deutschland auf. Ihre Zentralen siedelten sie – auch aufgrund der Nähe zum Flughafen – im südlichen Rhein-Main-Gebiet an. „Tercüman“, „Milliyet“, „Sabah“ und „Türkiye“ konkurrierten mit „Hürriyet“ um die Leser. „Tercüman“ und „Milliyet“ sind längst vom Markt verschwunden, „Sabah“ erscheint seit 2006 wieder, mit einer Auflage von 8.000 Stück. „Wir strengen uns gar nicht mehr an, die Auflage zu steigern“, erklärt Redaktionsleiter Mikdat Karaalioğlu. Er konzentriere sich mit seinem Team immer mehr auf die Online-Ausgabe, auch mit Nachrichten in deutscher Sprache.

Auf die Internetpräsenz setzen inzwischen alle türkischstämmigen Medienunternehmer. Die als reine Abozeitung mit einer Auflage von rund 30.000 Exemplaren erscheinende „Zaman“ zum Beispiel gibt es online auf Türkisch und Deutsch. „Zaman“ wird von der World Media Group herausgegeben – einem Medienunternehmen, das für seine Nähe zum umstrittenen islamischen Prediger Fetullah Gülen bekannt ist. Zur World Media Group gehört auch das „Deutsch-Türkische Journal“, das seit einem Jahr als deutschsprachiges Medium online ist.Dass die gedruckte Zeitung in türkischer Sprache hierzulande langfristig keine Zukunft hat, bezweifelt kaum einer der türkischen Medienmanager. Insofern staunten viele nicht schlecht, als im Januar bekannt wurde, dass der Istanbuler Verleger Burak Akbay seine regierungskritische Zeitung „Sözcü“ nun nach Deutschland bringen und obendrein noch die „Frankfurter Rundschau“ (FR) kaufen wolle. Viele bewerteten Akbays Ambitionen, die FR zu übernehmen, als reinen PR-Gag für die Expansionspläne mit „Sözcü“: „Zwar hat das Blatt in der Türkei binnen kurzer Zeit die Auflage auf rund 300.000 erhöhen können und ist damit eines der erfolgreichsten Printmedien. Daraus Schlussfolgerungen für einen Erfolg in Deutschland zu ziehen, erscheint mir fraglich“, sagt Karaalioğlu.

Rasante Entwicklung

Zum Leserschwund bei „Hürriyet“ und Co. in Deutschland tragen aber auch die vielen Fernsehkanäle aus dem Herkunftsland bei, die durch die Liberalisierung des türkischen Medienmarkts ab den 1990ern via Satellit, Kabel, Internet und inzwischen sogar auf dem Handy zu empfangen sind. Über diese Sender verfolgen Türkischstämmige heute die Entwicklungen in der Türkei und nehmen Anteil am Schicksal von Serienhelden. Von so etwas konnten die Gastarbeiter lange nur träumen. Noch bis Ende der 1980er gab es hier nicht viel mehr als den „Brief aus der Türkei – Türkiye Mektubu“, eine 45-minütige Sendung, die alle zwei Wochen sonntags im ZDF lief und Lagerfeuercharakter für türkische Familien hatte. Neben Nachrichten aus der Heimat gab’s Musik und eine Reportage über eine Region der Türkei. Ab 1988 wurde dann der türkische Staatssender TRT ins hiesige Kabelnetz eingespeist. Das Programm bestand hauptsächlich aus Volksmusik, Dokumentationen zur türkischen Geschichte, einheimischen Filmen und Sendungen mit Staatspropaganda-Charakter. Doch egal, was TRT den Zuschauern bot, in Ermangelung von Alternativen wurde es massenhaft konsumiert. Dem technischen Fortschritt folgte Ende der 1980er Jahre die Auflösung des staatlichen Medienmonopols und türkische Privatsender wurden zur ernsthaften Bedrohung für türkischsprachige Tageszeitungen – und für „Köln Radyosu“. Das erste türkischsprachige Radio in Deutschland ging am 2. November 1964 auf Sendung, um „Informationen und Orientierungshilfe für die türkischen Gastarbeiter“ zu bieten. Abend für Abend schalteten türkische Familien für eine knappe Stunde das Radio ein. Mit einer ähnlichen Faszination wie man den „Brief aus der Türkei“ anschaute, lauschte man noch bis in die 1990er der Stimme aus dem Radio, die den Beginn der Sendung so ankündigte: „Burasi West Deutscher Rundfunk Köln Radyosu. Almanya Radyolarinin günlük türkçe yayinina basliyoruz.“ – „Hier ist der Westdeutsche Rundfunk, Radio Köln. Wir beginnen mit der täglichen türkischsprachigen Sendung.“

Die Relevanz von einst hat „Köln Radyosu“ heute nicht mehr, wiewohl es bis heute ein an der Lebenswirklichkeit von Einwanderern orientiertes Programm bietet. An türkischstämmige Zuhörer wendet sich auch „Radyo Metropol“, das 1999 auf Sendung ging. Das zweisprachige Vollprogramm besteht aus einer Mischung aus Musik und Unterhaltung. Beliebt ist der kommerzielle Sender vor allem bei jungen Leuten. Anfangs auf den Berliner Raum begrenzt, ist „Radyo Metropol“ inzwischen über UKW, digital oder mit App überall empfangbar.

Auf dem hiesigen Fernsehmarkt haben sich nach etlichen Experimenten unterschiedlicher TV-Unternehmen nur ein paar „türkische“ Sender etabliert: Seit 2004 hat der Sender „TGRT EU“ ein Studio in Mörfelden-Walldorf, wo er Programme für türkischsprachige Zuschauer in Europa produziert. Eigene Studio
s hat auch die Peyk Media GmbH, die als Ableger der Samanyolu-Gruppe in Offenbach Programme für zwei Sender produziert: „Samanyolu Avrupa“ und „Ebru TV“. Während Ersteres sich mit Unterhaltungssendungen und Informationen in der Herkunftssprache an Zuschauer im europäischen Ausland wendet, will „Ebru TV“ eine breitere Zuschauergruppe erreichen: Es sendet auf Englisch und mehrere Stunden auch auf Deutsch.

Die Konkurrenz für türkische Zeitungen durch andere Medien und das Internet ist also groß, ein Zeitungssterben auch bei türkischen Medien daher nicht unwahrscheinlich.

Canan Topçu ist freie Journalistin in Hanau.

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Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 66 bis 66 Autor/en: Canan Topçu. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.