Spieglein, Spieglein

Ohne Zustimmung der Mitarbeiter-KG wäre die Entlassung der Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias von Blumencron nicht möglich gewesen. Denn zu 50,5 Prozent gehört der „Spiegel“ seinen Mitarbeitern (der Print-Mutter, nicht der Online- und TV-Töchter!), Umso bemerkenswerter, dass die Redaktion ihren langjährigen Kollegen und abgesetzten Chefs (beide seit über 20 Jahren im „Spiegel“) nicht mal eine anständige Würdigung im Blatt gönnte. Wer also hat in der Redaktion das Sagen und steht wofür? Ein Sittenbild nach Aussagen von Freunden und Feinden (die wie so oft beim Thema „Spiegel“ ungenannt bleiben wollen):

Die Geschäftsführer der Mitarbeiter-KG:

Gunther Latsch: Reporter im Ressort Deutschland und frisch berufener KG-Geschäftsführer, hat sich angeblich als Einziger in der Mitarbeiter-KG zunächst gegen die Abberufung der Chefredakteure ausgesprochen, weil es ihm eigentlich zuvorderst um den neuen Sparkurs von Verlagsgeschäftsführer Ove Saffe ging. Am Ende stimmte auch er gegen die Chefredaktion. Latsch hat mit Stefan Aust die Regale bei Spiegel TV aufgestellt, wurde später Chef von Spiegel TV und hatte nach seinem Wechsel zum Print-„Spiegel“ anfangs Akzeptanzprobleme, schreibt aber jetzt immer öfter, wird geschätzt, steht zu dem, was er sagt und tut, übt Distanz zu Online und ist auf KG-Linie, nach dem Motto: „SpOn ist zu gut, um umsonst zu sein, und das schadet dem Heft.“ MACHTFAKTOR: ist qua Amt gegeben.

Marianne Wellershoff: Die Chefin des „Kultur-Spiegel“ (und einzige Ressortleiterin außer Britta Sandberg) sitzt schon seit 2007 als Redaktionsvertreterin in der Geschäftsführung der Mitarbeiter-KG. Austs Rauswurf damals hat sie unterstützt und Mascolo immer wieder die Stirn geboten – so bei seiner Verweigerung der Frauenförderung; kommt gut mit Jakob Augstein klar, zumindest in seiner Funktion als Sprecher der Erbengemeinschaft.

MACHTFAKTOR: Der Zeitgeist und das Imageproblem des „Spiegel“ als Machoblatt spielen ihr in die Hände.

Die Vize-Chefredakteure und Ressortleiter (in der Reihenfolge des Impressums):

Die Stellvertreter: Martin Doerry (57), seit 1987 beim „Spiegel“, wirkte schon unter Stefan Aust als Vize (seit 1998); ist der konservative unter den Blattmachern, gilt als solide, hochkorrekt und traditionalistisch, von der (alten) „Spiegel“-Bedeutung durchdrungen und stets elegant gekleidet, ein Intellektueller mit Renommee. MACHTFAKTOR: ohne Ambitionen, weil aussichtlos.

Klaus Brinkbäumer (45) gilt als einer der besten Schreiber, die der „Spiegel“ je hatte, und als Vertrauter Mascolos, wurde aus den USA als Textchef geholt – eine Position, die es zuvor nicht gab und die auch schnell wieder abgeschafft wurde; wurde dann Mascolo-Stellvertreter und hat Gefallen daran gefunden; ist klassische Printschule, twittert aber immerhin @Brinkbaeumer und forciert Social-Media-Schulungen. MACHTFAKTOR: würde gerne, fügt sich aber.

Politischer Autor: Dirk Kurbjuweit (51), begnadeter, exponierter Schreiber mit unfassbarem Pensum – auch als Schriftsteller neben seiner „Spiegel“-Arbeit –, war ab 2007 mit Georg Mascolo Büroleiter in Berlin und blieb es nach dessen Aufstieg in Hamburg allein bis Ende ’11, keine Online-Ambitionen. War aber Mitglied der Arbeitsgruppe, die 2012 über eine Print-Online-Strategie nachdachte (u. a. mit Klaus Brinkbäumer, Cordt Schnibben, Georg Dietz und Elke Schmitter). Das Arbeitspapier liegt seit Herbst 2012 vor bzw. in der Schublade. MACHTFAKTOR: Konzentriert sich lieber aufs Schreiben als auf Personaldebatten.

Deutsche Politik – Hauptstadtbüro: Konstantin von Hammerstein (51), ein Mann mit exzellenten Manieren und bewegter Karriere (kommt vom Hörfunk, seit ’98 beim „Spiegel“, Wirtschaft, D1, war Vize im Hauptstadbüro unter Steingart und Kurbjuweit). Als Chef (seit Anfang ’12) aber leidenschaftlich umstritten. Die einen halten ihn für führungsstark, die anderen sagen das Gegenteil. Sicher ist: Die Berlin-Berichterstattung erlebt unter ihm keine Blütezeit und das Büro einen Exodus von gleich drei Redakteurinnen in wenigen Monaten. Mascolo hielt trotzdem an ihm fest. Haltung zu Online? Nie gehört. MACHTFAKTOR: gefährdet.

Meinung: Gerhard Spörl (63) wurde 2010 vom Auslands- zum Meinungsschef, oder anders gesagt: zum König ohne Land gemacht: Der „Spiegel“ pflegt traditionell keine Kommentar-Kultur. Die einen sagen: er hat nichts draus gemacht, die anderen: er konnte nichts draus machen. MACHTFAKTOR: unauffällig.

Deutschland: Alfred Weinzierl (52) gilt als integer und „reizender Mensch“, was im „Spiegel“ für eine Führungsposition eher abträglich ist, bringt aber Ruhe in den Laden und fördert seine jungen Stellvertreter. Die kooperieren gern mit „Spiegel Online“, während Weinzierl wahrscheinlich nicht mal weiß,wo SpOn sitzt. MACHTFAKTOR: gering.

Deutschland – Berliner Büro: Holger Stark (42) fleißiger, guter Rechercheur und Vielschreiber, bestens befreundet mit Georg Mascolo (so gut, dass er auch „IM Holger“ von nicht so guten Freunden genannt wird), aufgeschlossen gegenüber Frauen-Quote und Online, twittert unter @holger_stark (u. a. am 16. April: „Kaum beurlaubt, schon aus dem Impressum getilgt. #SPIEGEL @DerSpiegel“). MACHTFAKTOR: belastet, weil einschlägig positioniert.

Wirtschaft: Armin Mahler (58)„Urgestein“, nach außen eher unauffällig, nach innen sehr machtbewusst; kam ’91 vom „manager magazin“ zum „Spiegel“, ist der längstdienende Wirtschaftschef in der „Spiegel“-Geschichte und war fast zehn Jahre Chef der Mitarbeiter-KG – bis er Anfang 2013 zu seiner eigenen Überraschung „geputscht“ wurde –, gilt als konservativ und als schwieriger Chef mit Hang zum Snobismus, traditioneller Print-Vertreter mit kritischer Distanz zu Online (im Gegensatz zu seinem Vize Marcel Rosenbach, treibende Kraft hinter dem „Spiegel Blog“ und Protagonist einer engeren Verzahnung von Print & Online). MACHTFAKTOR: abnehmend, leidet unter der KG-Wahl zu seinen Ungunsten.

Ausland: Clemens Höges, Britta Sandberg (beide erst seit Herbst 2012 im Amt); Höges (52) war vorher Chef Deutschland und Auslandsreporter, durchdrungen von seiner Bedeutung: Wolf-Schneider-Schüler mit anfangs (seit 1990) exzellenten Aufstiegs-Aussichten und vielen Titelgeschichten, in den letzten Jahren aber auf fallendem Kurs. MACHTFAKTOR: keine große Rolle. Sandberg gilt als offensive Frauenförderin und gute Ratgeberin in der „richtigen“ Mischung: keine Haare auf den Zähnen, sagt aber deutlich, was sie denkt.

MACHTFAKTOR: steigend.

Wissenschaft und Technik: Johann Grolle (52)und Olaf Stampf gelten beide als klassische „gute Spiegelware“. Das Ressort ist intern für seine gute Stimmung, ebenso schöne Geschichten wie Ausflüge bekannt, könnte aber etwas mehr zum investigativen Jagen getragen werden. MACHTFAKTOR: unauffällig.

Kultur: Lothar Gorris (52) hat sich im „Spiegel“ wie schon zuvor (u. a. „Zeit“, „Stern“, „Tempo“ „Die Woche“ und „Spex“) durchgemendelt: war Co-Chef des Ressort Gesellschaft, Sportchef, ist seit 2009 Kulturchef, zählt zur Schnibben-Seilschaft, aber mit Emanzipationsbestreben, gilt als sehr gut vernetzt. MACHTFAKTOR: nicht zu unterschätzen.

Gesellschaft: Matthias Geyer/Cordt Schnibben/Stephan Willecke: Das „Luxusressort“ der Edelfedern ist ebenso geliebt wie verhasst, genießt eine Sonderstellung dank Cordt Schnibben (60), Kreativitätspool und die Reporter-Instanz des Hauses, gilt als Meister des Drehbuchs auch bei internen Machtspielen, typischer Alt-68er, mit allen dialektischen Wassern gewaschen, macht gern sein eige
nes Ding ( z. B.: gründete 2007 das Reporterforum – als Antwort auf die Abwertung des Kisch-Preises als Teil des „Henri“). Sollte mal Leiter der Nannen-Schule werden, entschied aber nach dem Aust-Abgang mit typischem Selbstbewusstsein: „Ich kann die Redaktion in einer so schwierigen Situation nicht allein lassen.“ Wird gerade planmäßig von Stefan Willecke abgelöst, kümmert sich jetzt vorrangig um die Multimedia-App-Redaktion, schottet sich aber von „Spiegel Online“ ab (wäre mit einer Namenskolumne vielleicht anders). MACHTFAKTOR: ausgeprägt, aber gefährdet.

Matthias Geyer (51): echter Rheinländer, der gern Karneval feiert, kann gut mit starken Kollegen und jungen Leuten, setzt sich ohne Schleimen ins rechte Licht, exzellenter Schreiber, mehr Teamplayer als Egomane. MACHTFAKTOR: wichtig als Mittler zwischen Edelfedern und Schwarzbrotarbeitern. Stefan Willecke (49): kam gerade erst im Januar von der „Zeit“. MACHTFAKTOR: noch im Werden.

Sport: Gerhard Pfeil, Michael Wulzinger. Das Ressort spielt traditionell keine große Rolle im „Spiegel“ – es sei denn, man nutzt es als Sprungbrett wie Lothar Gorris. Ist hier aber nicht der Fall. MACHTFAKTOR: nachrangig.

Sonderthemen: Dietmar Pieper, ehemals Frankfurt-Korrespondent und D2-Ressortleiter, fühlt sich wohl in seiner kreativen Nische, weil unbelastet vom Heftgerangel; Ist der Chef von Annette Bruhns, „Pro Quote“-Vorsitzende. MACHTFAKTOR: bei beiden gering.

Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 12 bis 12. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.