Frauenquote statt Quotenfrau

„Wir sind eine Großredaktion mit 300 vorwiegend Testosteron-gesteuerten Bullen“, sagte „Spiegel“-Mann Matthias Matussek unlängst in einem Interview; überhaupt, Journalismus sei nichts für „Zimperlieschen“.

Frauen machen mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung aus, sie sind im Schnitt besser ausgebildet als Männer, und sie bestimmen über den Großteil des Haushaltseinkommens. Und dennoch sind die Entscheiderpositionen, in der Medienbranche wie überall sonst auch, nach wie vor fast durchweg in Männerhand. Von einer „Männerdämmerung“, die FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher 2003 befürchtete, keine Spur. Bislang. Denn es scheint sich etwas zu ändern. Telekom-Chef René Obermann gab im März das Ziel vor, bis 2015 sollen 30 Prozent der Führungspositionen im Haus an Frauen gehen – und begründete es wirtschaftlich: Es sei „vor allem eine handfeste Notwendigkeit für unseren Erfolg“. Nun, ein halbes Jahr später, sollen schon sechs der 60 Top-Manager direkt unterhalb der Vorstandsebene Frauen sein – zuvor waren es zwei.

Quotenwirkung.

Und es scheint, als falle dieser Vorstoß auf fruchtbaren Boden – auch in den Medien: Der einstige Quoten-Gegner, „Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart, bekannte im Juni in einem Kommentar: Eine Frauenquote sei ihm bislang unnötig erschienen „und irgendwie auch lästig“. Aber Frauen würden in Wirtschaft und Politik benötigt, und zwar dringend: „Sie sind nicht das Problem, sie sind die Lösung.“ Bertelsmann-Chefin Liz Mohn erklärte gar: „Quoten auf Zeit können den Boden bereiten.“ Dann schob auch noch Axel-Springer-Vorstand Mathias Döpfner das verlagsinterne Frauenförderprojekt „Chancengleich“ an: In den kommenden fünf bis acht Jahren sollten aus bislang 16 Prozent Frauen in Führungspositionen 30 werden. Dass gar die CSU künftig 40 Prozent der parteiinternen Chefpositionen weiblich besetzen will, überrascht da kaum noch. So viel hat die freiwillige Vereinbarung zur Frauenförderung zwischen Bundesregierung und den Wirtschaftverbänden seit 2001 nicht erreicht.

„Ein DAX-Unternehmen, das eine Frauenquote einführt – das hat Symbolwirkung“, sagt Chris Köver, Mitgründerin und Chefredakteurin des Feminismus-Popkulturhefts „Missy Magazin“. Doch wirkliche Veränderungen werde es deswegen noch lange nicht geben, fürchtet Journalistinnenbund-Vorsitzende Eva Kohlrusch: „Dazu sind 30 Prozent zu wenig. Wir müssen deutlich machen, dass Frauen zu 50 Prozent in dieser Welt vorhanden sind.“ Kohlrusch war die erste Frau bei der „Hamburger Morgenpost“, 1984 die erste Frau in der „Bild“-Chefredaktion. Ein steiniger Weg: „Ich musste jeden Tag von neuem erklären, dass Frauen ganz normale Menschen sind.“

Jedoch, der Begriff „Frauenquote“ scheint bis heute negativ besetzt zu sein. Beim Axel-Springer-Verlag wird offiziell nur von einer „mit den Bereichen einvernehmlich vereinbarten Zielgröße“ gesprochen. „Regulierung von oben geht einher mit Machtverlust für Gruppen, die sonst selbstverständlich Zugriff auf bestimmte Positionen hatten“, sagt Köver. Auch daran mag es liegen, dass nur wenige darüber öffentlich reden wollen. So richtete auf unsere Anfragen ein Pressesprecher aus, der Chefredakteur wolle sich nicht „über den Sinn oder Unsinn von Quoten“ äußern; ein anderer, dass die Senderchefin lieber über „Fachliches“ spreche, sie sei schließlich wegen ihrer Fachkompetenz aufgestiegen. Und dann sind da noch jene, die mit dem Intendanten entscheiden, welche Führungsfrau sich zum Thema äußern darf – und die Antworten für sie schon fertig formulieren.

Ach ja, die Kompetenz: Viele Frauen und auch Männer betonen in schöner Regelmäßigkeit, sie seien gegen die Quote, weil Frauen wegen ihrer Qualifikation, ihrer Leistung Karriere machen wollten, nicht dank eines Chromosoms. Ines Pohl, taz-Chefredakteurin, war auch lange dieser Meinung. Vor einem Jahr sagte sie dem „medium magazin“, auf dem „Quotenticket segeln“ halte sie für „diskreditierend“. Heute sagt sie: „Die Quotenfrage ist einfach sehr komplex. Wenn ich mir die Zahlen anschaue, die unterschiedlichen Durchschnittsverdienste von Männern und Frauen, dann komme ich doch wieder ins Grübeln.“

Und das sind die Zahlen:

Laut aktuellem „Führungskräfte Monitor“ verdienten Frauen 2008 im Schnitt 28 Prozent weniger als ihre Kollegen; und der Frauenanteil an Führungskräften in der Privatwirtschaft war mit 27 Prozent nicht höher als 2006.

Dabei klingt das Qualifikations-Argument ja eigentlich ganz gut. Zu Ende gedacht hieße das aber, es gibt keine qualifizierten, leistungsbereiten Frauen. Sonst müssten sie längst die Hälfte der Top-Positionen füllen. „Das legt nahe, dass Männer generell die Tüchtigeren sind“, sagt Kohlrusch. „Und da können wir doch nur lachen.“ Vor allem: „Frauen sind heute so qualifiziert wie nie“, so die Ökonomin Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, „doch die Chancen von Frauen sind schlechter.” Und auch die These, Frauen wollten sich selbstverwirklichen statt Entscheiderpositionen übernehmen, enthüllte die „Brigitte“-Studie „Frauen auf dem Sprung“ als Mär.

Fakt ist: Die Journalistenschulen sind voller Frauen, doch je höher die Karrierestufe, desto weniger werden es. Übrigens auch in der taz, wo von Anfang an eine Frauenquote von 50 Prozent galt; doch von 16 Ressorts inklusive Online, werden nur vier von Frauen geleitet. Sie sei damit sehr unzufrieden, sagt Pohl: Ich will das ändern.“ Auch im Hause Springer fiel auf einmal auf, dass der Frauenanteil in den Einstiegs- und Nachwuchsprogrammen bei 66 Prozent lag, auf Führungsebene lediglich bei 16. „Dieses Missverhältnis wollen und dürfen wir nicht akzeptieren“, sagt Personalchef Alexander Schmid-Lossberg. Jörg Riebartsch, Chefredakteur vom „Darmstädter Echo“, merkte das bereits 2005: Damals saß in seinem Haus keine Frau auf einem Leitungsjobs. Damit sich das ändert, holte er sich Carmen Thomas zum gezielten Coaching ins Haus (s. a. „Journalistin“ 2007). Heute sind es fünf; in der Redaktion stieg der Frauenanteil von 25 auf 35 Prozent.

Auch Marita Lewening weiß, wie man „das bescheidene Geschlecht“ („Der Spiegel“) fördert. Sie ist die Gleichstellungsbeauftragte des ZDF. Als diese Position 1995 beim Mainzer Sender eingeführt wurde, waren dort zehn Prozent der Führungskräfte Frauen – Anfang 2010 knapp 34 Prozent. „Es ist meiner Ansicht nach dringend notwendig, nicht nur über mehr Teilhabe in Führungsverantwortung zu reden, sondern jetzt auch etwas zu tun”, sagt Lewening. Hilfreich könnte sein, dass es nicht nur normative Gründe dafür gibt. Dass Telekom und Springer wirtschaftlich argumentieren, ist kein Zufall: Es ist längst erwiesen, dass Unternehmen eine höhere Rendite erzielen, wenn Frauen etwas zu sagen haben. Von den Frauen als immer heißer begehrte Zielgruppe (sie treffen knapp 80 Prozent der Kaufentscheidungen) mal ganz abgesehen.

Dass auch unternehmerische Familienpolitik notwendig dazugehört, um die Gleichstellung voranzutreiben, ist längst Konsens – in großen und in kleineren Häusern: Der Münchner „Burda-Bande“, eine der ersten Medien-Kitas in Deutschland, soll bald auch ein Hort für Schulkinder folgen (s. S. 12ff.), in Berlin weihte Friede Springer im Sommer die erste hauseigene Kita ein, in Mainz baut der Rhein-Main-Verlag die Kinderbetreuung aus, bei der klammen taz gibt es 300 Euro extra pro Kind und Elternteil.

Mehr Vorbild als Abbild.

Eine Quote ist ein künstlicher Eingriff in die Realität, um Gerechtigkeit zu schaffen. Eine Realität, die die Medien abbilden. Medien bräuchten daher eine eigene Frauenquote, eine, die festlegt, wie viele Frauen im Blatt oder im Programm auftauchen, in Wort wie in Bild. Und in welcher Funktion. Derzeit gilt: Männer handeln, Frauen kommen vor. Männliche Akteure, weibliches Beiwerk – so steht es schon in der sogenannten Küchenhoff-Studie von 1975. Alle fünf Jahre wird dieses Ergebnis international bestätigt, zuletzt beim „Global Media Monitoring Project 2010“. In den deutschen Medien, so die Analyse, sind nur 21 Prozent der Person
en, über die berichtet wird, Frauen. Initiativen wie „Who Makes the News“ oder das Unesco-Projekt „Women Make the News“( www.whomakesthenews.org) machen seit Jahren auf dieses Missverhältnis aufmerksam. Vielleicht müssen Medien gerade hier ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen – und eine Normalität zeigen, die es so noch nicht gibt, Vorbild sein, statt Abbild.

Man hört schon die Redakteure rufen, es gebe eben zu wenig Frauen, die als Expertinnen taugen. Oh doch, es gibt sie. Man muss nur wollen. Wie das ZDF: Dort lässt sich in einer Datenbank längst gezielt nach Expertinnen mit Bildschirmerfahrung suchen. „Ausreden wie: ‚Es gibt keine‘ oder ‚Ich finde keine Frau für dieses oder jenes Thema‘ sind damit schwerer geworden”, erklärt Lewening.

Schirrmacher bezog seine Männerdämmerungs-These auch auf die Polittalk-Frauen Illner, Will und Co.: Sie seien die „einflussreichsten politischen Vermittlungsinstanzen des Fernsehens” und „im Begriff, die Macht neu zu verteilen”. Die Realität: Die meisten Talkrunden sind Männerrunden. Die Moderatorin in ihrer klischeehaft weiblichen Vermittlerrolle mittendrin. Allein in Anne Wills Sendungen seit der Sommerpause war in den meisten Fällen unter den fünf Gästen nur eine Frau. „Das signalisiert: Frauen haben hier nichts zu sagen“, findet Kohlrusch. Frauen in starken Rollen zu repräsentieren ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Mindestens ebenso essenziell: eine adäquate Sprache. Sätze wie „Bei jedem ist die Schwangerschaft anders“ sollten wirklich nirgends mehr zu lesen oder zu hören sein.

Damit die Medien die heterogene deutsche Bevölkerung gerechter abbilden, muss jedoch mehr passieren. Das Zauberwort heißt Diversity. Die taz macht’s vor: mit einem Volontariatsstipendium explizit für Frauen mit Migrationshintergrund. Marwa Al-Radwany fängt im Januar an.

Erschienen in Ausgabe Journalistin 2010/20Journalistin 2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 8 bis 9 Autor/en: Anne Haeming | Illustration: Corbis. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.