Fünf Lehren für Journalistinnen

Genau zwanzig Jahre ist es jetzt her, seit ich meinen ersten Artikel über die Grenze zur Berliner taz trug: „Ham Se noch mehr davon?“, fragte mich der Chef. „Nehm‘ wa, aber nich mit dem Namen. Katrin Müller. Damit wer‘n Se nie wat! Ab heute heißen Sie Maike Overbeck.“

Ich nickte und dachte: Ob Mimi, Maike oder Mutz – ich hab jetzt schon mal den Fuß in der Tür zu einem Land, das zwar noch nicht meines ist, aber meines werden soll.

Vier Jahre später saß ich als Ossi im Westen, schrieb und moderierte auf dem Mainzer Lerchenberg Nachrichten und genoss jeden Tag einen ganz anderen Redaktionsblick auf Deutschland. Nirgends konnte ein integrationswilliger Neuzugang wie ich schneller lernen, warum die Republik sich geografisch und politisch so zerrissen fühlte, ja schon Frauen zwischen Köln und Düsseldorf bei dem Begriff Mutter zur Lagerbildung neigten. Emanzipation. Frauenförderung. Anfang der 90er Jahre war das für mich kein Thema.

Ich hatte nicht erlebt, wie verheiratete Frauen im Westen regelrecht darum kämpfen mussten, arbeiten gehen zu dürfen. Frauen in meiner Familie waren, solange ich Fotoalben zurückverfolgen kann, immer berufstätig – und zugleich Mutter. Der logische Schluss daraus: Kind und Karriere – warum sollte das jetzt im endlich vereinten, grenzenlosen Deutschland ein Problem sein? Ich zog vom grauen Berlin ins grüne Rheintal – und dann das: Meine neuen Nachbarn zischten „Rabenmutter aus dem Ural“ und Wolf von Lojewski fragte mich mal beim Mittagessen in der ZDF-Kantine: „Woll‘n Sie nun Karriere machen oder Kinder kriegen?“ Während eine Nudel auf meiner Gabel zitterte, erwiderte ich: „Entschuldigung, die Entscheidung ist bereits sieben Jahre alt, geht in die Schule und kommt um halb zwölf nach Hause.“

Ich wollte es nicht glauben – dieses Entweder-Oder, hatte ich das nicht gerade hinter mir gelassen? Ich wollte den ganzen Himmel, ja, nicht nur den halben, und ich war bereit dafür hart zu arbeiten. Aber ich merkte schnell, der Wille allein reicht nicht gegen Jahrhunderte alte Denk- und Verhaltensmuster.

Andere Länder, andere Chancen.

Während ich drei Jahre in Washington lebte und arbeite, veränderte sich mein Blick auf Deutschland nochmals. Gut ausgebildete Amerikanerinnen, Französinnen, Asiatinnen oder Skandinavierinnen in den USA betrachteten die Entscheidung für oder gegen Kinder damals wie heute als eine höchst private – und völlig selbstverständlich sind sie weiter berufstätig, auch nach dem zweiten oder dritten Kind. Auf meine Frage nach dem ‚Wie‘? bekam ich vor allem zwei Antworten: „Wieso nicht?“ und „Ohne Quote läuft gar nichts.“

Da war es, dieses Wort, das ich mich seit Jahren scheute, auszusprechen, geschweige denn dergleichen zu fordern – während ich als Journalistin, Geschäftsführerin und Uni-Dozentin gearbeitet und auf ein zweites Kind verzichtet hatte. Doch meine Erfahrungen in den verschiedenen beruflichen Stationen und Ländern haben mich sensibilisiert für geschriebene und ungeschriebene Gesetze, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Systemen, Organisationen, Kulturen und Menschen. Daraus ist ein zweites berufliches Standbein erwachsen: Heute trainiere und berate ich neben meiner journalistischen Arbeit sowohl für die Medienakademie von ARD und ZDF als auch für das Personalberatungsunternehmen von Rundstedt HR Partner Führungskräfte in Fragen interkultureller Veränderungen.

Mein Fazit

… nach 20 Jahren Berufserfahrung: Wir brauchen in Deutschland nicht nur mehr Frauen in Führungspositionen. Wir brauchen vor allem lebenskluge Frauen, die die Besonderheiten eines immer noch stark männlichen Berufsumfeldes früh in ihre Karriereplanung einbeziehen, die gezielt die Regeln männlichen Umgangs erlernen und selbstbewusst fordern, was sie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie brauchen. Denn sie wissen: Es ist nicht leicht, aber es ist möglich – nur eben nicht gegen Männer, sondern mit ihnen -, Sachverstand und Frauenquote im Rücken.

Zweifellos stehen junge Journalistinnen heute vor anderen Herausforderungen als ich damals. Manches ist leichter geworden. Eines, so erlebe ich es immer wieder, scheint sich aber kaum verändert zu haben. Viele Frauen wissen immer noch häufiger sofort zu sagen, was sie alles n i c h t wollen, statt klar zu formulieren, w a s sie wollen, und dieses Ziel konsequent zu verfolgen. Deshalb:

1. Werte:

Werden Sie sich der Werte bewusst, die Sie antreiben: Möchten Sie zum Beispiel in erster Linie unabhängig, innovativ oder gut bezahlt arbeiten? Sind Status, Kinder oder Abenteuer für Ihr Leben wichtig? Und wenn ja, mit welcher Priorität? Suchen Sie sich die Arbeitsstelle, die es Ihnen ermöglicht, Ihre drei wichtigsten Werte konsequent zu leben. Ignorieren Sie sie, geraten Sie früher oder später mit ihrem Arbeitgeber in Konflikt. Das verzögert Karrieren.

2. Ziele:

Klären Sie für sich, welche Vorstellungen Sie mit dem Begriff Karriere verbinden. Als Journalist ist Erfolg nicht zwangsläufig an eine steigende Anzahl von Mitarbeitern geknüpft. Wollen Sie aber Führungskraft werden, fragen Sie sich kritisch nach Ihren Motiven: Wegen des Geldes, der Vorteile oder weil „man das karrieretechnisch so macht“? Die langfristig erfolgreichste Führungskraft ist die, die bewusst Verantwortung für Menschen und Prozesse übernimmt, verändern und gestalten möchte; die Spaß daran hat, Menschen in ihrer Persönlichkeit über sich hinaus wachsen zu lassen. Diese Qualifikation kann erlernt werden, hat aber mit den originären Aufgaben eines Journalisten nur wenig zu tun.

3. Fähigkeiten:

Nehmen Sie möglichst nur Angebote an, die Ihre Stärken bedienen, mit denen Sie scheinbar mühelos gute Ergebnisse erzielen. Das Erfolgs-Prinzip heißt: Effortless Excellence – nicht weil Faulheit direkt zum Erfolg führte, sondern weil unser Gehirn, wie Neurologen herausgefunden haben, im sogenannten Flow-Zustand am effizientesten arbeitet, Sie also mit weniger Aufwand den größeren Nutzen erzielen. Spaß an der Arbeit ist also ein guter Gradmesser. Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Ansonsten wechseln Sie den Job.

4. Unterschiede:

Beschäftigen Sie sich aktiv mit soziologischen Unterschieden. In einer zusammenwachsenden Welt wird das Erlernen von Regeln des Zusammenlebens immer wichtiger im Verhältnis zur eigentlichen Fachkompetenz. Erkennen Sie innerhalb dieser Regeln spezifisch „männliches Rudelverhalten“. Wenn Männer sich Ihnen „in den Weg stellen“, meinen sie zumeist nicht Sie persönlich, sondern reiben sich an Ihrem konkreten Verhalten, das geschlechtsbedingt, religiös beziehungsweise ethnisch anders geprägt ist. Männliche Journalisten in Deutschland agieren, wie sie es von Kindesbeinen an als Jungen gelernt haben. Sie profilieren sich über den Unterschied. Frauen profilieren sich tendenziell eher über den Gemeinsinn. In Konkurrenz mit Männern haben sie deshalb immer noch häufiger das Nachsehen.

Lernen Sie, was aus männlicher Führungskräftesicht als erstrebenswert gilt. Eine repräsentative Umfrage der Personalberatung von Rundstedt (08/2010) hat ergeben: 1. Geld. 2. gezielte Personalentwicklung 3. Lob und Motivation. Weibliche Führungskräfte präferieren 1. flexible Arbeitszeiten 2. leistungsbezogene Bezahlung und 3. Work-Live-Balance.

5. Kontakte:

Bauen Sie sich ein Netzwerk auf. Pflegen Sie es. Scheuen Sie sich nicht, andere, auch Männer, um Rat zu fragen. Vor allem aber: Warten Sie nicht darauf, dass jemand zu Ihnen kommt und Ihnen einen Job anbietet. Übernehmen Sie für sich Verantwortung, bringen Sie sich ein – stets im Bewusstsein für die Organisationskultur, in der sie tätig sind – mit Sachverstand, Selbstvertrauen und Humor. Dann klappt‘s auch mit der Chefetage.

Dankbar bin ich heute vor allem meiner Familie und den Menschen, die mich auf meinem Weg unterstützt haben. Besonders stolz bin ich dabei auf meinen Sohn Tilman. Er wandelt heute scheinbar mühelos zwischen Ländern und Kulturen. Er studiert Maschinenbau. Seine Freundin Helen will Journalist
in werden und beides: Kinder und Karriere. Sie ist so selbstbewusst, kein Chef würde ihr einfach so einen neuen Namen verpassen. Recht so … dieses Land gefällt mir.

Erschienen in Ausgabe Journalistin 2010/20Journalistin 2010 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 16 bis 16 Autor/en: Katrin Müller-Walde. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.