Frau Marx, als man Ihnen den Job der Hörfunk-Nachrichtenchefin beim HR angeboten hat, waren Sie gerade 34 Jahre jung und hatten nach der Geburt Ihrer beiden Kinder drei Jahre ausgesetzt. Wie haben Sie es geschafft, nicht vergessen zu werden?
Katja Marx: Ich denke, durch Persönlichkeit und Kompetenz. Ich hatte mir durch meine Arbeit zuvor einen Namen gemacht. Und ich war auf Positionen, die auffallen, zum Beispiel als Korrespondentin in Moskau und Berlin. Gedanken, ob ich vergessen werde, haben für mich nie eine Rolle gespielt. Die Kontakte zu meinem alten Sender, dem SWR, habe ich gar nicht besonders gepflegt, ich bin sogar von Süddeutschland nach Norddeutschland gezogen – und das Angebot kam dann ja auch vom HR.
Wie lange haben Sie darüber nachgedacht, sich wieder von der Vollzeit-Mutter in eine Vollzeit-Journalistin zu verwandeln – und das gleich in einer Führungsposition?
Eine Woche habe ich schon nachgedacht, und dann hat der Familienrat beschlossen: Wir schaffen das! (lacht) Ich denke, das war beziehungsweise ist eine sehr typische Situation für Frauen in Führungsposition: Es bietet sich eine Gelegenheit und dann kannst du Ja oder Nein sagen. Ich bin nicht in einen neuen Job hineingewachsen, das war ein Sprung ins kalte Wasser.
Wie kalt war das Wasser?
Sehr kalt. Weil dieser plötzliche Wiedereinstieg und diese Position in der Tat nicht geplant waren. Vielleicht wäre der Anfang einfacher gewesen, wenn ich mich in den Jahren davor einmal hingesetzt und überlegt hätte: Was muss ich eigentlich alles können, um Chefin zu werden? Ich musste mich sehr auf mich selbst und meinen Instinkt verlassen, zum Beispiel bei der Moderation von Veränderungsprozessen oder der Umsetzung von Sparprogrammen. Leider gab es damals noch keine begleitenden Führungsseminare, wie das heute hier üblich ist – das hätte mir sicher sehr geholfen. Ich habe das mittlerweile aber alles nachgeholt … (lacht)
Was war es denn, was Sie noch lernen mussten? Worauf sollten Journalistinnen achten, wenn sie Karriere in Hierarchien machen wollen?
Es gibt ganz viele Dinge, die man lernen kann: Wie bringe ich meine Fachkompetenz gut ein? Wie gehe ich strategische Prozesse an? Wie steuert man Veränderungsprozesse? Wie führe ich Gespräche mit Mitarbeitern und in Konferenzen? Und es ist notwendig, sich mit der eigenen Persönlichkeit zu befassen: Wie verbessere ich meine Rhetorik? Wie wirke ich? Wie kleide ich mich, wenn ich mich anderen aussetze? Bei allen Frauen, die ich fördere, schaue ich genau hin: Besteht sie in dieser Männerwelt oder braucht sie noch etwas, das ihr einen sicheren Stand gibt? Das ist wichtig. Denn wenn wir wollen, dass mehr Frauen Führungspositionen besetzen, müssen wir dafür sorgen, dass sie sich in solchen Jobs wohlfühlen.
In welcher Kleidung fühlen Sie sich wohl?
Wenn ich vor einer Männerrunde spreche, ziehe ich gerne einen dunklen Hosenanzug an – das ist Business-Kleidung und lenkt nicht ab. Auf einer Abendgala gerne das kleine Schwarze und im Büro Jeans, Bluse, Blazer.
Sie erwähnten, dass es für Ihre Karriere wichtig war, aufgefallen zu sein. Wie schafft man es, aufzufallen?
Mit dem, was man am besten kann. Man sollte mit einem sehr großen Selbstbewusstsein und einem sehr großen Selbstvertrauen das tun, was man am besten kann. Ich habe meine Karriere nicht danach geplant, wo ich am meisten auffalle. Ich habe einfach das gemacht, was ich gut kann. Ich als Journalist, nicht ich als Frau.
Sie reden von sich selbst als „Journalist“, nicht als „Journalistin“. Wie stehen Sie zu den Forderungen nach einer geschlechtergerechten Sprache, auch in der Berichterstattung?
Das ist mir nicht besonders wichtig. Und Begriffe wie „Landsmännin“ widerstreben eher meinem Sprachgefühl. Ich finde, es hindert den Sprachfluss, wenn ich auch noch die weibliche Form verwenden muss – und ich möchte die Sprache nicht verhunzen, dazu liebe ich den Umgang mit der Sprache viel zu sehr.
Was halten Sie von der Quote?
Ich tue mich mit Quoten schwer, aus verschiedenen Gründen. Ich selbst möchte nicht für einen Job ausgewählt worden sein, nur weil ich eine Frau bin. Ich habe viel mehr zu bieten. Das Problem ist nicht der Zugang zu guten Jobs, sondern die Vereinbarkeit dieser guten Jobs mit dem Familienleben. Wenn man über eine Quote redet, muss man auch über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reden – wie die verlässliche Ganztagsschule. Erst dann werden Frauen ein größeres Interesse haben, in Führungspositionen zu gehen. Und es geht um die Frage: Wie arbeiten und leben Frauen und Männer miteinander, wie teilen sie partnerschaftlich dieses Leben? Die Quote doktert nur an einem Symptom herum, verändert aber nicht die Ursachen.
Sie haben es in Ihrer Position in der Hand, Strukturen zu verändern – tun Sie das?
Ja. Man kann nur verändern, wenn man selbst Vorbild ist. Für mich ist es selbstverständlich, dass Konferenzen und Klausurtagungen an ganz normalen Werktagen stattfinden, nicht an den Wochenenden und nicht abends. Das ist Arbeit und die muss in der Arbeitszeit erledigt werden. Ich möchte keiner Familie ihre Mutter oder ihren Vater wegnehmen. Und es ist genauso selbstverständlich, dass Mütter und Väter in Führungsteam und Redaktion bei Betreuungsengpässen ohne große Erklärungen rauskönnen und wir Lösungen finden.
Gab es auf Ihrem journalistischen Weg Mentorinnen?
Nein, aber das war sicher Zufall. Ich hatte in meinem gesamten Berufsleben (männliche) Chefs, die mich sehr gefördert haben.
Stoßen Sie die Kollegen auch an, umzudenken?
Ganz ehrlich: das ist für mich eine Generationenfrage. Es gibt die Old Boys, bei denen es schwierig ist mit dem Verständnis für die Bedürfnisse von berufstätigen Müttern – in die investiere ich wenig Energie. Und dann gibt es eine neue Generation von Männern, die in den 70er Jahren schon ganz anders frauensozialisiert wurden: Die hatten es mit anderen Müttern, Freundinnen und Schwestern zu tun. Da steht das partnerschaftliche Denken im Vordergrund und das beruflich selbstbestimmte Frausein ist etwas völlig Normales. Und deshalb muss ich diese Arbeit gar nicht mehr leisten!
Als Programmchefin von hr-info leiten Sie eine gut gemischte Redaktion, das Führungsteam aus Ressortleitern ist sogar paritätisch besetzt. War das eine bewusste Entscheidung?
Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich arbeite am liebsten mit gemischten Teams zusammen. Männer und Frauen ergänzen sich im Job sehr gut. Genauso wichtig ist es mir, möglichst viele Mitarbeiter mit Familie im Team zu haben. Die stehen einfach gut im Leben. Und das ist für Journalisten wichtig.
Verändert eine solche paritätische Besetzung den Arbeitsalltag?
Alles verändert sich: der Umgangston, die Themen, der Blick auf die Themen, das Infragestellen von Themen. Ich möchte auf die Ausgewogenheit von Frauen und Männern nicht mehr verzichten.
Wie machen sich die Unterschiede bemerkbar?
Frauen sind in meinen Augen geradliniger – weil sie keine Zeit zu verschwenden haben. Und weil sich ihre Klugheit manchmal direkter Bahn bricht als bei Männern, die sich ja auch gerne mal einen Augenblick länger mit Fragen von Status und Macht beschäftigen. Das empfinde ich als sehr angenehm.
Was bedeutet das konkret, zum Beispiel bei der Berichterstattung über die Quoten-Diskussion in der CSU?
Wenn die CSU-Basis gegen Horst Seehofers Idee einer Quote ist, muss ich das natürlich ernst nehmen und nachhaken: Warum ist das denn so? Unsere ureigenste journalistische Aufgabe ist es, Fragen zu stellen. Und deshalb ist es wichtig, dass Frauen Journalisten sind: Sie suchen den Dialog, sie geben nicht einfach Antworten.
Ich sage Ihnen aber auch, was mich als Journalist noch mehr interessiert, als über die Quoten-Diskussion zu berichten. Neulich hatten wir Kontakt zu einem Unternehmen, das nach dem Prinzip der Vertrauensarbeitszeit arbeitet. Dem Chef dort kommt es nur darauf an, dass die Arbeit getan ist – wann die Mitarbeiter nach Hause
gehen, ist ihm gleich. Das finde ich berichtenswert, nach dem Motto: Schaut mal her, so geht es auch! Das sind zukunftsfähige Ansätze, die Frauen vielleicht besser fördern als eine Quote.
Sie betonen die Dialogfähigkeit von Frauen. Daraus ließe sich im Umkehrschluss folgern, dass Frauen nicht prädestiniert sind für investigative Recherche, weil sie die Konfrontation meiden. Ist das Ihre Linie für hr-info: Dialog statt Konfrontation?
Gerade die investigative Recherche baut nicht auf Konfrontation auf, sondern auf der Suche nach Antworten. Dafür müssen zuallererst die Fragen gefunden und gestellt werden. Die Philosophie von hr-info gründet nicht auf schnellen Antworten und Konfrontation als Selbstzweck, sondern auf Wahrhaftigkeit, Faktentreue, auf Einordnung, Verstehen und Meinungsfreude. Alle dialogischen journalistischen Formen spielen dabei eine große Rolle.
Was halten Sie von der These, dass die Frauen im Journalismus deshalb zunehmend vertreten sind, weil Männern sich lieber Berufe mit höheren Einkommen, mehr Sozialprestige und mehr Entscheidungskompetenz suchen?
Das glaube ich nicht. Dass Frauen im Journalismus immer stärker vertreten sind, liegt wohl daran, dass Journalismus der schönste Beruf der Welt ist. Und dass Frauen mittlerweile toll ausgebildet sind. Nicht zuletzt ist der Beruf als Journalist attraktiv, weil es viele Modelle gibt, Familie und Arbeit zu vereinbaren.
Das mag für fest angestellte Teilzeitkräfte gelten. Aber sehen das Ihre freien Mitarbeiterinnen genauso?
Ja. Wir arbeiten im Hörfunk im Drei-Schicht-Betrieb, weil wir lange Sendestrecken abdecken müssen. In diesen Schichtbetrieb kann man sich sehr gut einfädeln und zu 50 oder 70 Prozent arbeiten, egal ob man fest angestellt oder frei ist.
Schränkt der Spardruck den Spielraum für Teilzeitmodelle ein?
Das sind zwei voneinander unabhängige Angelegenheiten. Klar ist: Wir mussten in den vergangenen Jahren enorme Veränderungen stemmen, auch unter Spardruck. Aber die Gestaltung von Veränderungsprozessen gehört in Führungspositionen dazu, ich kenne es gar nicht anders. Dem muss man sich stellen. Klar ist aber auch: Wir können es uns nicht leisten, auf flexible Arbeitszeitmodelle zu verzichten, weil wir attraktiv sein müssen für gute Journalisten – für Frauen wie auch für Männer.
Welchen Rat geben Sie jungen Kolleginnen mit auf den Weg?
Sie sollen auf keinen Fall die ODER-Frage zulassen: Beruf ODER Familie. Sie sollen sich nicht vor die Wahl stellen und vor die Wahl stellen lassen. Sie sollen alles dafür tun, die ODER-Frage zu einer UND-Frage werden zu lassen.
Ein Ratgeber-Buch für Frauen gibt als Karrieretipp: „Lieber die Letzte an der Bar als die Erste im Büro“. Wie handhaben Sie das?
Ich bin morgens früh im Büro – schon weil ich sonst meinen Tag und meinen Job nicht bewältigen könnte. Und abends an der Bar bin ich nie dabei, auch auf Tagungen und Konferenzen nicht. Dafür bin ich einfach zu müde. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich dort wirklich etwas verpasse.
Erschienen in Ausgabe Journalistin 2010/20Journalistin 2010 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 4 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.