Die Misstrauische

Und dass am nächsten Tag sieben Hooligans vor dem Richter stehen, sieben breite Kerle mit tätowierten Armen und bösem Blick, dass ihnen am Amtsgericht Bremen der Prozess gemacht wird – das ist auch Krögers Verdienst.
Sie wird im Gerichtssaal sitzen, eine schmale Frau, 43 Jahre alt, mit schulterlangen dunklen Haaren und warmen, braunen Augen, wird sich Notizen machen, wird gucken, ob von den Kerlen auch Kumpels im Publikum sitzen, wird schauen, wie viel Polizei da ist, in den Pausen wird sie auf dem Gerichtsflur rauchen.

Christine Kröger ist Chefreporterin des „Weser-Kurier“. Eine, die die harten Jungs übernommen hat als Thema. Die Protagonisten jener versteckten Grauzone, die es auch in einer Stadt wie Bremen gibt, wo Gesetze wenig gelten und Probleme mit Fäusten geregelt werden. Seit Jahren schreibt Christine Kröger über Rocker, Neonazis, Hooligans. Über Männerbanden, deren Mitglieder keinen Wert legen auf diese Öffentlichkeit. Weil sie Typen sind, die kriminelle Geschäfte machen. Weil sie dem deutschen Staat insgesamt nicht zugeneigt sind. Weil sie zu einem gewalttätigen Umfeld gehören. Kröger schreibt es ja regelmäßig in der Zeitung.

Die Polizei fuhr wieder weg

Auch diesmal geht es um gefährliche Körperverletzung und schweren Hausfriedensbruch. Im Ostkurvensaal des Weserstadions hatten linke Fußballfans eine Party gefeiert. Plötzlich stürmten etwa 30 rechte Hooligans den Saal. Es gab eine Schlägerei, an deren Ende mehrere Beteiligte schwer verletzt am Boden lagen. Polizei und Notarzt rückten an, zwei Männer mussten ins Krankenhaus. Die Täter sind abgehauen. Opfer und Zeugen haben den Mund gehalten. „Die hatten alle Angst“, erklärt Christine Kröger. Die Polizei fuhr wieder ab, unternommen hat sie nichts.

Der Überfall schrumpfte zum Gerücht, zu dem, was man sich in gewissen Kneipen beim Bier zuraunt. Christine Kröger hat das nicht gereicht. Sie hat diese Art, an Dingen zu zweifeln. Sie hat sich umgehört, sich ans Telefon gehängt, hat rausgekriegt, wie es gewesen ist an dem Abend, hat einen Artikel geschrieben. Jetzt – wenn auch erst knapp fünf Jahre später – ist der Fall vor dem Richter. Kröger hat verhindert, dass die Schläger durchkommen mit ihrem Gewaltausbruch. Sie hat die Ordnung wieder gerade gerückt. „Das Gute siegt“, sagt Kröger und schickt ein verrutschtes Lachen hinterher, so dass nicht sicher ist, wie ernst sie diesen Satz gerade gemeint hat.

Denn das hat sich Kröger angewöhnt: Ein Misstrauen auch gegen die anderen. Gegen Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Behörden.

Kröger sitzt am Schreibtisch in ihrem kahlen, kleinen Büro beim „Weser-Kurier“. Die Wände sind vergilbt. Zwei Topfpflanzen warten auf dem Fensterbrett, es gibt einen Aktenschrank, einen vollen Aschenbecher und eine Thermoskanne mit bitterem Kaffee. Mehr steht zur Ablenkung nicht bereit. Aber vielleicht ist so ein schmuckloser Raum ja eine besonders gute Voraussetzung für einen unverstellten Blick auf die Realität. Es kann sein, dass die Umgebung Kröger hilft beim Misstrauischbleiben.

Spitzname „Bluthund“

Die Skepsis hat sie sich zugelegt, als sie anfing mit ihrem Spezialgebiet. 2003 war das. Der rechtsradikale Anwalt Jürgen Rieger hatte gerade ein ehemaliges Militärgelände in Dörverden bei Bremen gekauft, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender in ganz Deutschland berichteten.

Christine Kröger, damals Niedersachsen-Redakteurin beim „Weser-Kurier“ bekam von ihrem Chef den Auftrag, herauszufinden, ob es auch sonst noch rechte Bewegungen in der Gegend gebe. „Wie die Jungfrau zum Kind“, sagt Kröger, sei sie zu dem Thema gekommen.

Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Sie ging zum Leiter des Bremer Verfassungsschutzes. „Und der erklärte dann: In Bremen gibt es kein Problem mit rechts“, ruft Kröger. Sie rutscht auf ihrem Bürostuhl herum und kann es nicht fassen, sie ist immer noch sauer. Schon damals wusste Kröger, dass der Verfassungsschützer falsch lag. Christine Kröger ist eine Person, die mit offenen Augen durch die Welt geht. Ihr waren Hakenkreuzschmierereien in der Straßenbahn aufgefallen, sie hatte von Rechtsrock-Konzerten in Dorfscheunen gehört, hatte junge Männer mit Glatze und Military-Hosen durch die Straßen laufen sehen. Kröger hat sich dann auf die Suche gemacht, hat Sozialarbeiter gefragt, Eltern, Jugendgruppenleiter, Lehrer und Schüler. Kröger hat die rechtsextreme Szene in Bremen gefunden. Das Misstrauen hat ihr geholfen.

Es hat sie nicht losgelassen seitdem: Das Thema wurde größer, je tiefer sich Kröger einarbeitete. Zuerst ging es nur um Neonazis. Dann um Hooligans. Sie landete bei den Hell’s Angels. Und schließlich bei organisierter Kriminalität. Kröger sah, dass es Verbindungen gab, Überschneidungen, Netzwerke. Sie hat sich hineingewühlt in die Materie.

Es wurde immer mehr. Es kam vor, dass Kröger Wochenenddienste in der Redaktion verschieben musste, wenn irgendwo eine Skinhead-Band spielte oder ein paar Rocker sich trafen; nicht alle Kollegen waren von Krögers Leidenschaft für ihr Thema immer begeistert. Kröger hat begonnen Rockerzeitschriften zu lesen. Sie kennt die Textzeilen bestimmter Hooligansongs auswendig. Manchmal setzt sie sich jetzt auch nach Feierabend zu Hause an den Computer und guckt nach, was sich in den rechten Foren im Internet tut. Eine Kollegin hat ihr den Spitznamen „Bluthund“ verpasst.

Kröger schüttelt die brennende Zigarette in den Aschenbecher. Ihr Spezialgebiet ist ein ziemlich hässliches Terrain. Sie muss aufpassen, dass nicht zu viel an ihr kleben bleibt.

Angst lässt sich nicht abstellen

Und dann natürlich die Sache mit der Angst. Die Eltern, die sich Sorgen machen. Die Freunde, die warnen. „Pausenlos“, meint Kröger. Es ist ein gefährliches Milieu, mit dem sie sich abgibt. „Extrem gewalttätig“, sie weiß es ja selbst. Drohungen hat es immer wieder gegeben. Im Gerichtssaal hat einmal ein Hell’s Angels-Rocker mit dem Finger auf Kröger gezeigt und gebrüllt: „Da isse!“. Einmal hat sie das CD-Booklet einer Rechtsrockband in ihrem Briefkasten gefunden. Wenn man das Booklet aufklappt, ist da ein Foto von etwa 40 kahl geschorenen Hooligans, darunter steht: „Hier sind deine Freunde“. Als Kröger vor fünf Jahren den Theodor-Wolff-Preis gewonnen hat für einen Text über eine rechtsextreme Hooligan-Gruppierung, wurde darauf geachtet, dass keine Fotos von ihr durch die Medien gingen. Um sie zu schützen.

Ein Polizist hat ihr später erklärt, dass das Quatsch sei mit den Fotos. Im Internet sei es kein Problem, ihr Aussehen herauszufinden. Der Polizist hat Kröger empfohlen, die Strategie zu ändern. Er hat ihr geraten: „Öffentlichkeit schützt.“
Es ist ein Spruch, der erst mal stimmt, weil in Deutschland bislang keine Gewalttätigkeiten gegen Journalisten bekannt sind. Bislang. Es ist ein Spruch, mit dem sich Kröger warm zu halten versucht in schwachen Momenten.
Ein Ratschlag, der eine große Hoffnung ausdrückt. Kröger grinst schief. Sie schaut aus dem Fenster. Weil Hoffnung nur eine Möglichkeit bedeutet und keine Gewissheit, ist sie mehrmals umgezogen, weggezogen aus Bremen. Ihren neuen Wohnort verrät sie nicht. Wie sie das alles aushält? „Viel Rauchen, kein Sport“, knurrt Kröger. Es gibt Angelegenheiten, über die sie lieber redet.

Angst ist ein Gefühl, das sich schwer abstellen lässt. Vielleicht ist das Bild, das Kröger am ehesten trifft, das einer Katze auf der Lauer.

Einmal habe sie eine ganz andere Geschichte geschrieben, sagt sie plötzlich. Das will sie erzählen: Ein Text über zwei alte Menschen, die sich wieder treffen nach langer Zeit. Der deutsche Soldat Martin und die Halbjüdin Ruth, die sich Anfang der 30er Jahre verlobten. Ein Liebespaar erst von den Nazis auseinandergebracht, dann vom Eisernen Vorhang getrennt. Beide hatten sich gegenseitig längst verloren und vergessen geglaubt. Aber als al
te Leute haben sich Martin und Ruth wieder gefunden. Nach 60 Jahren. „Die Geschichte ist so schön, so was erzählt sich von selbst. Da ist man einfach nur dankbar, dass man sie aufschreiben durfte.“ Kröger schwärmt fast.

Der Fluch des Wissens

Das Dilemma, das hinter diesem Text steht, ist klar: Die Geschichte von Ruth und Martin war eine Ausnahme. Kröger schreibt praktisch nie Liebesgeschichten auf. Ihr Thema sind gefährliche Motorradrocker, Skinheads oder Hooligans. Kriminelle, die Waffen tragen, mit Drogen dealen, andere Leute verprügeln. „Meistens sehr unspaßig“, gibt Kröger zu. „Klar fragt man sich da manchmal: Kröger, willst du dich wirklich bis zur Rente mit solchen Leuten rumschlagen?“ Sie zieht sich ihr Zigarettenpäckchen heran, guckt aus ruhigen, feuchten Augen, raucht diese Zukunftsaussicht weg in eine matte Unbestimmtheit hinein.

Denn es ist ja auch so, dass sie nicht aufhören kann. Weil ein Motor sie antreibt. Der Fluch, dass sie sich besser auskennt als alle anderen. Tatsächlich weiß keiner beim „Weser-Kurier“ – überhaupt in ganz Bremen und Niedersachsen – besser über Rechtsextreme, Hooligans und Rocker Bescheid als Kröger. „Das kann ich nicht mal eben so anderen Kollegen überlassen. Das ist einfach sehr rechercheintensiv, man muss oft über Jahre mühevoll Kontakte und Vertrauen zu Informanten aufbauen, die sich dann nicht einfach an Kollegen XY verweisen lassen. Und am Ende macht dann keiner mehr das Thema. Das wäre ja auch schlimm“, sagt sie. „Wahrscheinlich ist das so eine Art Verantwortung, die man in sich trägt. Da kann man nicht von weg.“ Sie ist ein pflichtbewusster Mensch. Vielleicht hat Christine Kröger auch eine besonders dicke Haut.

Und sie hat ja auch recht: Es braucht jemand mit wirklich guten Nerven für den Job. Nach fast jedem Artikel hetzen die Kerle mit den Tätowierungen und den Motorrädern Kröger die Anwälte auf den Hals, schneit zornige Anwaltspost beim „Weser-Kurier“ herein: Unterlassungsbegehren, Gegendarstellungen, Klagen. Kröger hat sich angewöhnt, jedes Papier, das ihr bei der Recherche unterkommt, mehrmals durch den Kopierer zu schicken. Sie füllt Kisten mit diesen Kopien. Ein paar Kisten lagert sie in der Redaktion, „für die Anwälte“, brummt sie. Die anderen deponiert sie an einem geheimen Ort. Auch die Polizei hat einmal Krögers Büro durchsuchen wollen. Allerdings haben die beiden zuständigen Oberstaatsanwälte damals den Polizisten keine Genehmigung erteilt. Kröger konnte ihren Aktenschrank zulassen. Kröger sieht zufrieden aus, als sie das erzählt. Aber es war wieder so eine Begebenheit, die ihren Argwohn gegenüber den Behörden wachsen ließ.

Nun lernt‘s der Nachwuchs

Ein Misstrauen, das wohl auch daher kommt, dass Kröger dauernd in einer Männerwelt unterwegs ist. In einer Umgebung, die sie für schwächer hält, als sie ist. „Man wird als Frau dauernd unterschätzt“, sagt sie. Ihre Reaktion: „Aber das kann man ja umdrehen. Dafür müssen sich die anderen dann auch besonders dumme Nachfragen gefallen lassen.“

Kröger hat Karriere gemacht mit dieser Methode, hat fast alle großen deutschen Journalistenpreise bekommen. Sie ist jetzt so was wie der Star beim „Weser-Kurier“, das gute Gewissen der Zeitung. Dass mit Silke Hellwig als neuer Bremer Chefredakteurin gerade die siebte Frau an die Spitze einer der gut 350 deutschen Tageszeitungen rückte, mag ein Zeichen sein, dass man beim „Weser-Kurier“ Frauen nicht so ausbremst wie anderswo.

Vor einem Jahr hat man Kröger zur Chefreporterin befördert, zur Leiterin des Ressorts „Recherche und Ausbildung“. Sie ist nun auch für die 18 Volontäre beim „Weser-Kurier“ zuständig. Für junge Leute, die Artikel schreiben wollen über ihren ersten Bungee-Sprung oder über einen Segeltörn. Einen Hang zu den leichten, unterhaltsamen Themen hat Kröger bei ihnen festgestellt. Sie versucht ihnen nun die Grundzüge des investigativen Journalismus beizubringen. „Dass man nicht nur ins Internet schaut, sondern auch mal selber anruft oder hingeht. Dass man keinen Respekt vor bekannten Namen oder wichtigen Funktionen hat, sondern auch solche Quellen kritisch hinterfragt“, sagt Kröger und guckt ein bisschen verzweifelt. Zwei Volontäre hat sie jetzt kürzlich für eine Reportage auf Rundreise zu 13 verschiedenen Atomkraftwerkstandorten geschickt.

Kröger selbst hält weiter fest an ihrer Skepsis. Es lenkt sie in die richtige Richtung. Im Frühjahr 2009 zum Beispiel machte wieder ein Gerücht die Runde. Kröger hatte davon gehört, nur ein Verdacht. Sie hat mit mehreren Anwälten gesprochen. Sie hat sich mit einem ehemaligen V-Mann getroffen. Einem Mann, der ziemlich halbseiden wirkte mit seinem Versace-Hemd, der rauen Stimme, der Rolex am Handgelenk. Wie ein Zuhälter sah er aus, erklärt Kröger. Der V-Mann kannte sich im Rotlicht-Milieu von Hannover aus, kannte die einschlägigen Kiezgrößen. Er erzählte Geschichten, die ziemlich ungeheuerlich klangen. Kröger hat die Geschichten überprüft, hat gemerkt, dass die Behauptungen stimmten. Kröger witterte einen Skandal.

Sie hat ihre Mutmaßungen einem Polizisten erzählt, hat ihn so lange mit Fragen gelöchert, bis der Beamte ihr irgendwann die gesamten Akten zu dem Fall über den Tisch geschoben hat. Kröger war jetzt dran am Skandal, die Ausdauer trieb sie weiter. Einmal gab sie sich gar als Cousine des V-Mannes aus, um bei einem heimlichen Treffen an einer Raststätte dabei zu sein. Sie hat wieder alle Papiere kopiert.

Ein Jahr hat Kröger gebraucht. Dann konnte sie den Skandal aufschreiben: Ein Staatsanwalt aus Hannover hatte mit einer Bordellbesitzerin gemeinsame Sache gemacht, seine Kollegen hatten ihn gedeckt, Ermittlungen blockiert, alles unter den Teppich gekehrt.

Kröger hat den Fall in die Zeitung gebracht.
Dieses Jahr im Mai hat Christine Kröger den Henri-Nannen-Preis gewonnen für den Text. „Beste investigative Leistung“, fand die Jury.
Das Misstrauen hat sich bewährt.

 

ZUR PERSON
Christine Kröger (43) wuchs im niedersächsischen Cloppenburg auf. Nach einem Volontariat bei der „Nordwest-Zeitung“ in Oldenburg arbeitete sie ein Jahr lang als Pressesprecherin der Handwerkskammer Ostfriesland, bevor sie als Niedersachsen-Redakteurin zum „Weser-Kurier“ wechselte. Dort veröffentlichte Kröger zahlreiche Reportagen und Hintergrundberichte über die rechtsextreme Szene, über Hooligans und über die Netzwerke krimineller Rockerbanden in der Region. Für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus wurde sie im März 2010 mit dem Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen ausgezeichnet. Ihre Artikel werden aber längst auch bundesweit wahrgenommen. Als Chefreporterin des „Weser-Kurier“ hat Kröger mittlerweile fast alle großen Journalisten-Preise im Regal: Theodor-Wolff-Preis, Wächterpreis der Tagespresse, im Mai kam nun auch noch der Henri-Nannen-Preis für die „beste investigative Leistung“ hinzu. Ausgezeichnet wurde ihre mehrteilige Arbeit „Im Zweifel für den Staatsanwalt“, in der Kröger Vertuschungen der Hannoveraner Justiz aufdeckte.
Christine Krögers mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichneter Text steht hier.

DIE AUTORIN:
Kirsten Küppers ist TAZ-Autorin und erhielt 2011 den Theodor-Wolff-Preis.
www.kirstenkueppers.de

Erschienen in Ausgabe Journalistin 2011 in der Rubrik „Titel“. Autor/en: Kirsten Küppers | Foto: Philipp Guelland. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.