„Feminismus ist nur eine Frage des Blicks“

Frau Kolb, Sie sind Anfang der 1960er zu einer Zeit in den Journalismus eingestiegen, als das für junge Frauen noch sehr untypisch war.

Ingrid Kolb: Der große Unterschied zu heute war, dass es damals praktisch keine Informationen gab. Wie wird man Journalistin? Heute sitzt ja jeder vor seinem Laptop und sieht gleich die verschiedensten Wege: Journalistenschulen, Volontariat … Ich wusste nur, dass ich das werden will, hatte aber keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte. Ich habe dann zwei Semester Zeitungswissenschaft studiert, weil ich dachte, das hätte was mit Zeitung zu tun. Stimmte aber nicht. Stattdessen habe ich dann einen Job bei einem Korrespondenten in München angenommen, der allerdings nur jemanden für das Sekretariat suchte. Als er merkte, dass ich es ernst meine mit dem Schreiben, hat er mir Themen gegeben und mich ausgebildet. Nach einem Jahr habe ich mich dann bei der Tageszeitung „Die Welt“ um ein Volontariat beworben und bekam einen Brief, sie nehmen grundsätzlich nur Männer.

Wie bitte?

Heute wäre das natürlich gar nicht mehr möglich, aber so war das damals. Dabei hatten die schon große Artikel von mir gedruckt! Ich glaube, dass solche Erfahrungen für Frauen, die in den 1940ern geboren sind und in den Journalismus wollten, typisch sind. Ich habe gerade die Autobiografie von Alice Schwarzer gelesen, bei ihr war es ja ähnlich. Auch sie ging erst als Tippse in ein Büro, bevor sie ein Volontariat bei einer Tageszeitung anfing. Der entscheidende Punkt war damals, dass wir alles noch korrigieren konnten, was sich als falsch herausstellte. Man zog weiter, klopfte an die nächste Tür und sie wurde einem aufgetan. Wir mussten einfach keine Angst haben, dass wir nicht gebraucht würden.

Das klingt ja fast, als würden Sie die Generation heute bemitleiden. Glauben Sie wirklich, junge Journalistinnen haben es schwerer als Sie damals noch?

So eine Absage, die hat man perplex zur Kenntnis genommen. Aber eine wirkliche Bremse war das nicht, es ging ja für mich gleich weiter bei einer anderen Tageszeitung. Meine Generation ist berufstätig geworden in einer Zeit, in der noch alles möglich war. Es gab überall Chancen! Auch später dann beim „Spiegel“ und beim „stern“. Wir arbeiteten unter Bedingungen, um die man heute wirklich nur beneidet werden kann. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Heute muss man ja für jede S-Bahnfahrt einen Spesenantrag stellen. Und ich habe recht schnell ganz gut verdient.

Das ist heute anders.

Ja, heute müssen sich junge Journalisten viel mehr durchbeißen. Ich sehe das bei den Absolventen der Zeitenspiegel-Reportageschule, an der ich unterrichte. Viele müssen sich erst mal mit weniger arrangieren und auch mal einen nicht so tollen Job annehmen – das ist gar kein spezifisches Problem von Frauen in dieser Phase, in der man in den Beruf einsteigt. Es betrifft beide Geschlechter gleichermaßen. Man braucht eine enorme Beharrlichkeit, um an seine Ziele zu kommen. Zum Glück klappt es dann doch nach einer Zeit. Vor allem, wenn die jungen Leute sehr gut ausgebildet sind. Bei den neuen Formen des Erzählens werden Text, Fotos und Videos zu einer Geschichte verwoben. Das Internet macht das möglich. Ich betrachte das mit großem Interesse, finde das aber schwer nachvollziehbar. So viele Dinge gleichzeitig zu tun, wie sie das heute machen – für ein Magazin schreiben, nebenher für Online-Portale arbeiten, Veranstaltungen organisieren, Workshops geben: Das würde mich überfordern.

Heute strömen viele junge Frauen in den Journalismus, der Frauenanteil in diesem einstigen Männerberuf liegt in Deutschland mittlerweile bei über 30 Prozent, seit den 80er Jahren ist die Hälfte der Berufsanfänger/innen weiblich. Doch die meisten Redaktionen und Ressorts werden immer noch von Männern geleitet. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Tageszeitungen sind einfach eine traditionell männliche Bastion. Die wenigen weiblichen Ausnahmen an den Spitzen fallen da eigentlich nicht ins Gewicht. Bei den Magazinen ist es mir dagegen unerklärlich, weil es dort mindestens so viele geeignete Frauen für die Führungspositionen geben würde, wie wir Männer haben. Ich habe in meinem langen Berufsleben so viele Dummköpfe an mir vorbeiziehen sehen, dass man sich schon fragen muss: Wie funktioniert das?

Die berühmten Männerbünde?

Ja, ohne dass man es belegen kann natürlich. Die verbünden sich ja nicht per öffentlichem Gelöbnis. Trotzdem passiert es dann, dass ein ehemaliger Chefredakteur vom „stern“ einfach mal seinen Schulfreund mitbringt, und der dann stellvertretender Chef wird. Das wäre mit einer Frau undenkbar! Höchstens, dass einer mal seine Sekretärin mitbringt.

Die Zeiten, in denen noch derart offen geklüngelt werden konnte, sind ja zum Glück vorbei. Benachteiligung ist heute doch weniger offensichtlich und geschieht meist gar nicht bewusst. Männer in Führungspositionen wählen einfach andere, mit denen sie sich gut verstehen – also in der Regel andere Männer.

Genau, deshalb ist es ja so schwierig, das aufzudecken. Es gibt eben nicht den Straftatbestand der Verschwörung, sondern ein unsichtbares, strukturelles Problem, das nur in Statistiken sichtbar wird. Ich bin deshalb von Anfang an eine Verfechterin der Quote gewesen. Ich kenne die Gründe, aus denen Frauen das ablehnen, aber es gibt meines Erachtens kein anderes Mittel, um voranzukommen.

Wie wichtig sind weibliche Netzwerke?

Ich plädiere dafür, dass es in allen Bereichen, wo Männer und Frauen arbeiten, Räume gibt, in denen Frauen sich regelmäßig treffen und austauschen können. Ich habe mal versucht, beim „Spiegel“ eine Frauengruppe aufzubauen. Das ging schief. Es sind von sieben Kolleginnen nur zwei zu dem Treffen gekommen. Aber das Interessanteste war die Reaktion der Männer: Die waren total aufgeregt. Die Vorstellung, bei etwas nicht dabei sein zu können, wo sich womöglich etwas tut, worauf sie keinen Einfluss haben, das macht die ganz kirre.

Bei Ihrer ersten Station, dem „Münchner Merkur“, sind Sie sehr früh stellvertretende Ressortleiterin geworden, ganz ohne Quote. War das damals nicht sehr ungewöhnlich?

Ich habe überwiegend im Lokalen gearbeitet, da gab es durchaus Frauen. Die Ressorts wurden aber natürlich alle von Männern geleitet und die Tatsache, dass ich stellvertretende Ressortleiterin wurde, war schon aufsehenerregend. Mein damaliger Chefredakteur hat sich dafür auch ganz schön auf die Schulter geklopft. Er fand sich toll. Dabei war ich einfach zu ihm gegangen und hatte die Position für mich gefordert! Vom „Merkur“ aus ging ich dann für kurze Zeit zum Münchner Frauenmagazin „Jasmin“, bis das Blatt eingestellt wurde, und 1974 dann zum „Spiegel“. Das war eine wichtige Station für mich, weil ich toll finde, wie der „Spiegel“ arbeitet, und ich unheimlich viel machen konnte. Mein Ressort hieß Kultur 1 und war kein klassisches Kulturressort, sondern ein Sammelbecken für Psychologie, Wissenschaft, Medizin, Gesellschaftsthemen. Das waren die Startjahre der Frauenbewegung, da kamen so viele Themen neu auf, das Recht auf Abtreibung, Kindesmissbrauch, Gewalt in der Familie, die Themen lagen auf der Straße und wir konnten das alles in unser Ressort einbringen.

Hatten Sie sich das Ressort selbst ausgesucht?

Nein, da war eine Stelle frei. Ich hätte durchaus auch in einem Deutschlandressort arbeiten können, aber ich fühlte mich in dem vielseitigen Kultur-Ressort von Anfang an zu Hause. Wir haben die Themen gemacht, die die Gesellschaft bewegten, und die sind ja nie unpolitisch. Es stimmt allerdings, dass es Frauen in bestimmten Ressorts immer noch schwerer haben. Auch heute noch. Ich weiß von einer ehemaligen Schülerin, die von Anfang an unbedingt in ein Auslandsressort wollte. Sie spricht vier Fremdsprachen, hat alle Qualifikationen, schaffte es aber nicht, dort zu landen. Sie schreibt jetzt für große
amerikanische Zeitungen.

Der „Spiegel“ galt damals als absolute Männerbastion.

Natürlich, ich hatte auch eine persönliche Auseinandersetzung mit Rudolf Augstein, der von dieser aufkommenden Emanzipationsbewegung überhaupt nichts hielt. Der hatte damals gerade eine junge Frau geheiratet, die dafür sehr empfänglich war. Das passte ihm überhaupt nicht. Wir hatten den Auftrag, die Anfänge der Frauenbewegung zu einer Titelgeschichte zu verarbeiten, eine Korrespondentin berichtete aus den USA, ich über die junge deutsche Szene, Frauencafés, Frauenbuchläden, Aktionen, die autonomen Gruppen. Augstein wollte beide Beiträge nicht und beauftragte einen Redakteur, das Ganze noch mal neu zu schreiben. Am Ende – das finde ich bis heute sehr witzig – verkaufte er den revolutionären Aufbruch der Frauen auf dem Titel mit der Zeile „Zurück zur Weiblichkeit“. Das Heft habe ich heute noch.

Sie lachen jetzt, aber sind Sie damals nicht wütend oder entmutigt gewesen angesichts solch krasser Missstände?

Am Montag, als die Ausgabe erschien, wusste ich, ich muss in der großen Konferenz etwas dazu sagen. Sonst könnte ich mir nicht mehr in die Augen schauen. Die große Konferenz beim „Spiegel“ sieht bis heute so aus, dass die Ressortleiter in einem inneren Kreis sitzen und außenrum das Fußvolk. Ich wusste, dass es schwer sein würde, von außen da reinzugrätschen, habe es aber geschafft, ohne mich zu verhaspeln, eine längere Rede zu halten, in der ich die Titelzeile und die Titelgeschichte auseinandernahm. Das hat mir großen Respekt eingebracht, auch den von Augstein. Das rate ich übrigens allen jungen Kolleginnen in der Ausbildung: Trauen Sie sich, mit einer Meinung aufzutreten und mitzureden. Nicht zu viel Angst haben, präsent sein, sich zeigen. Das fällt anfangs allen wahnsinnig schwer, wenn es aber mal einer schafft, fällt das immer positiv aus.

„Missy“ haben wir unter anderem gegründet, weil uns die bestehende Frauenmagazin-Landschaft so sehr missfiel, dass wir eine bessere Zeitschrift für junge Frauen machen wollten. Sie haben damals beim „Spiegel“ gekündigt, um dann für kurze Zeit zur „Für Sie“ zu gehen.

Ja, das galt damals als Blasphemie! Ich wollte aber nicht bis zur Rente als eines der vielen Rädchen in dieser gut geölten Maschine sitzen bleiben. Die „Für Sie“ hatte ich mir schöngeredet, nach dem Motto: Warum soll man denn so wichtige Medien, die sich an Frauen wenden, immer nur denen überlassen, die den Frauen gar nicht so viel zu sagen haben? Aber die Wahrheit war: Es war schrecklich, ein ganz konservatives Frauenblatt. Nach zwei Wochen sah ich zu, dass ich wieder wegkam, und das war dann der „stern“.

Sie waren in den 1970er Jahren sehr aktiv in der Hamburger Frauenbewegung. Wie wurden Sie zur Feministin?

Feminismus ist ja im Grunde nur eine Frage des Blicks. Ich schaue auf das, was passiert, und frage nach den Folgen für die Frauen. Wenn das einmal Klick gemacht hat, kann man nicht mehr zurück. Bei mir war das eine Recherche zum Thema Vorurteilsforschung. Dabei stieß ich auf eine neue Studie aus den USA, die zeigte, dass Meinungen, die von Frauen geäußert wurden, automatisch als emotional und unsachlich abgewertet wurden. Von Männern und von Frauen! Das hat mich tief getroffen.

Mir scheint, dass sich heute viele jüngere Frauen nicht benachteiligt fühlen, den Feminismus für überholt halten. Was sagen Sie jungen Kolleginnen, die meinen: Ist doch alles kein Problem?

Ich habe etliche Frauen kennengelernt, die mit so einer Einstellung in den Beruf gegangen sind. Spätesten wenn ihnen die Tatsache, dass sie sich noch ein zweites Kind „leisten“, vom Vorgesetzten als Affront ausgelegt wurde – weil man „doch noch so viel mit ihnen vorhatte“ –, merkten sie, dass da was nicht in Ordnung ist.

Finden Sie die jungen Frauen von heute denn undankbar?

Nein, ich würde nie auf die Idee kommen, dass sie uns etwas schulden. Ich bin da ganz gelassen, wir leben immer noch in einer Welt, in der Frausein bedeutet, an bestimmte Grenzen zu stoßen. Was ich eher beobachte, ist, dass heute nicht mehr so viele junge Leute mit der Leidenschaft in den Journalismus gehen, noch etwas verändern zu wollen. Das hängt sicher auch mit den wirtschaftlichen Sparmaßnahmen zusammen. Diese ganzen Blütenträume – lange Recherchen, Enthüllungen – scheitern ja schon am Geld. Wenn man merkt, dass man viel besser dafür bezahlt wird, leichte Geschichten zu schreiben, die ein ideales Anzeigenumfeld abgeben, bremst das wahrscheinlich den Idealismus. Meine Generation hatte da noch das Glück, mit Leuten wie Augstein und Nannen zu arbeiten. Das waren Journalisten, die aus dem Krieg kamen und fest entschlossen waren, ein anderes, demokratisches Deutschland mit aufzubauen.

Vermissen Sie solche Vorbilder?

Ich frage mich manchmal, ob es heute überhaupt noch Vorbilder in diesem Sinne gibt. Die heutige Generation in den Führungsetagen, das ist jetzt gar nicht despektierlich gemeint, aber das sind ja eher Getriebene. Die müssen Auflage und Quote machen. Und wenn man dann nach weiblichen Vorbildern sucht, wird es noch enger. Ines Pohl an der Spitze der TAZ fällt mir da vielleicht noch ein, und ein paar sehr gute Autorinnen, sonst wird es schwierig. Klar gibt es Frauen wie Anne Will, aber ich frage mich oft: Hat sie eigentlich eine Haltung? Wofür steht sie? Es geht schließlich nicht nur darum, dass jemand Karriere gemacht hat.
DIE PERSONEN

Ingrid Kolb, geboren 1941, lebt als Autorin in Hamburg. Von 1995 bis 2005 leitete sie die Henri-Nannen-Schule als Nachfolgerin von Wolf Schneider, inzwischen ist sie Kuratoriumsmitglied an der Zeitenspiegel-Reportageschule und unterrichtet dort auch. Kolb begann ihr journalistisches Arbeiten 1965 beim „Münchner Merkur“, danach wechselte sie zu „Spiegel“, „Für Sie“ und „stern“. 1980 erschien ihr Buch über den „Mythos von der sexuellen Befreiung“.

Chris Köver, geboren 1979, lebt als freie Journalistin und Chefredakteurin von „Missy Magazine“ in Hamburg. Sie studierte Kulturwissenschaften, danach volontierte sie bei „Zeit Online“. 2008 gründete sie mit Stefanie Lohaus und Sonja Eismann „Missy Magazine“ als Politik- und Kulturzeitschrift für junge Frauen. Sie schreibt für „Zeit“, „Zeit Campus“, „Neon“ und lehrt Kulturwissenschaften. www.missy-magazine.de

Erschienen in Ausgabe Journalistin 2011. Protokoll: Chris Köver | Fotos: Franziska Sinn/Missy Magazine, Wolfgang Borrs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.