Hauptsache Reizklima

Ernsthafte Männer trugen die Lage vor. Die Lage war noch ernster als sie. Am Golf braute sich etwas zusammen, die Regierung war überfordert, die Stimmung in den neuen Ländern bedenklich. Was noch, grummelte einer von den Chefs und sah in unsere Richtung, dorthin, wo die Ressortleiter für das Lockere saßen. Modejournal, sagte die Modechefin.

Schon war das Lächeln wieder da.
Denn es war Sommer, jene Jahreszeit, in der den Frauen Bikinis wachsen. Erstklassiges Cover, Heft und gute Laune gerettet.

Alles nach Relevanz geordnet

Das ist mehr als 20 Jahre her, mittlerweile ist es beim „Stern“ sicher ganz anders. Damals, ich war 28, fühlte ich mich oft, wie in einen Herrenclub geraten. Die Welt war nach Relevanzkriterien geordnet, Innen- und Außenpolitik, Wirt- und Wissenschaft, Kultur, Sport, Motor, Mode. Und schließlich Erziehung und Gesellschaft. Darunter fiel alles, was Gerd Schröder während seiner Kanzlerschaft mal als „Frauenpolitik und so Gedöns“ abgetan hat.

Es gab brillante Kolleginnen beim „Stern“, aber bis auf sehr wenige Ausnahmen machten sie nicht das Heft. Das Heft war Männersache, oft genug sah man es ihm auch an. Wenn Frauen vorkamen, waren sie Dekorum, damit die Balance nicht zu sehr ins Grau-in-Grau kippte. Nicht schlecht, aber ein irritierend enger Tunnelblick auf die Welt.

Nach dem „Stern“ habe ich zehn Jahre für eine Frauenzeitschrift gearbeitet, die „Amica“, die lange anders war als die meisten Frauenzeitschriften, weil in ihr nie Diäten vorkamen, aber erstaunlich viele Texte, die lieber von der Welt erzählten, als Weltbilder zu bestätigen. Es war eine schöne Zeit, weil wir alle einen gemeinsamen Traum hatten, aber sonst nicht wirklich zueinander passten. In der Redaktion arbeiteten ätherische Moderedakteurinnen, alte Hasen, verrückte Trend-Schnüffler, klassische Reporter, und alle redeten aufeinander ein. Aus irgendeinem Grund klappte das.

Ich bilde mir ein, es lag auch am Geschlechterverhältnis: 60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer. Wir konnten einander in den Arm fallen, voneinander lernen, einander Spuren legen. Und falls wir uns nicht einigen konnten, kam die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmungen und Standpunkte ins Heft.

Nach dem Tod der „Amica“ habe ich noch einige Redaktionen kennengelernt, eine Zeit lang bin ich sogar Chefredakteur eines Männermagazins gewesen (ein Irrtum, sowohl vom Verlag als auch von mir), aber eines ist mir immer wieder aufgefallen: Gut wurden Hefte dann, wenn sie von Teams gemacht wurden, die die unterschiedlichsten Charaktere so zusammenspannten, dass aus der Reibung Funken schlugen.

Die Blätter, die ihre eigene Markenidentität so ernst nahmen, dass sie Themen und Sprechweisen pingelig durchformatierten, kamen mir immer uninteressanter vor als jene, die sich das Tänzeln leisteten. Und je einfacher es uns, den Usern, im Internet gemacht wird, uns unsere Medienströme so zu konfigurieren, dass sie der eigenen Sicht der Dinge entsprechen, desto mehr sehne ich mich nach Medien-Orten, die sich für Stimmenvielfalt, Widersprüche, Brüche interessieren.

Artenvielfalt statt Monokultur

Wenn ich Teams zusammenstellen könnte, würde ich darauf achten, dass ihre Mitglieder einander nicht ähneln, bloß im Interesse aneinander. Dabei wäre es mir einigermaßen egal, ob es sich um Frauen oder Männer handelt, schließlich ist ja längst erwiesen, dass die Bandbreite für Verhaltensweisen innerhalb eines Geschlechts in allem größer ist als der durchschnittliche Unterschied zum anderen Geschlecht. Aber so lange die Welt so beschaffen ist, dass in ihr eher die Männer machen und Macht haben und Frauen eher mitspielen, als gestalten, hielte ich für eine vernünftige Idee, sich selbst eine Frauenquote zu verschreiben.
Ausdrücklich nicht aus Gönnerhaftigkeit. Sondern aus Eigeninteresse. In einem Reizklima entstehen die besseren Produkte.

 

ZUR PERSON:
Peter Praschl war Redakteur und Kolumnist bei „Amica“, Chefredakteur von „Matador“, Kulturredakteur bei „Vanity Fair“ und „Welt“ und ist nun Autor des „SZ Magazin“.

 

Erschienen in Ausgabe „Journalistin 2011“ in der Rubrik „Standpunkt“. Foto: privat. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.