Redakteure in Rudeln

Die Tür geht auf, ein Mann kommt rein. Es ist mein erster Tag. Ich denke, der Redakteur an meiner Seite wird mich gleich vorstellen. „Das ist unsere neue Praktikantin.“ – „Schön, herzlich willkommen.“ So was in der Art. Aber stattdessen passiert etwas ganz anderes: Der Mann, der neu dazugekommen ist, zeigt auf den Platz, auf dem der Redakteur sitzt, und sagt: „Da wollte ich sitzen.“ Der Redakteur sagt: „Jetzt sitze ich hier.“ Dann schaut er aus dem Fenster. Stille.
Der Mann bleibt stehen, der Redakteur bleibt sitzen. Ich schaue mich um. Bis auf uns drei ist der Raum noch leer. Mindestens 15 Plätze in der ersten Reihe um einen runden Tisch herum, an die zehn in der zweiten. Was nur ist an diesem so besonders? „Aber ich bin extra früh gekommen“, insistiert der eine jetzt: „Ich sitze immer hier.“ Mein Redakteur schaut weiter unbestimmt aus dem Fenster. „Heute nicht“, sagt er dann. Während die anderen Herren ihrer Position im Unternehmen nach zur Konferenz einritten, fragte ich mich zum ersten Mal, ob Journalismus wirklich das Richtige für mich ist.

Männliches Turnierverhalten

Männer in Redakteursrudeln. Ich glaube, niemand hat dieses archaische Gehabe so schön auf den Punkt gebracht wie die Schriftstellerin Elke Schmitter. In dem Sammelband „Herrschaftszeiten“ zieht sie eine „schwankende Zwischenbilanz“ über männliches Turnierverhalten in der Redaktionskonferenz. „Je länger man lebt“, schreibt sie da, „umso einfacher werden die Dinge: in Konferenzen abwarten, bis jeder Mann, der auf sich hält, sein Teil geredet hat. Mit anderen Frauen Blicke tauschen; manche lächeln still, manche verdrehen die Augen. Die inneren Konferenzen werden kürzer, doch der Kometenschweif glüht nach: Warum lassen wir uns das bieten? Die andere Seite pariert mit melancholisch-narzisstischem Lächeln: Lass sie doch, die Jungs, die brauchen das.“ Elke Schmitter schreibt für den „Spiegel“; als ich den Text zum ersten Mal las, war ich bei der TAZ. Zwei sehr unterschiedliche Medien, sollte man meinen. Die Breitbeiner sind dieselben.

Warum aber brauchen die Jungs so viel Platz? Objektiv betrachtet wirkt ihr Verhalten ja lächerlich. Klar. Aber eben nicht aus der Perspektive des Chefs – die beiden Gockel, die damals vor der Konferenz aufeinander einhackten, waren Ressortleiter. Der eine ist inzwischen sogar Mitglied der Chefredaktion. Außer mir gab es nur eine andere Frau am Konferenztisch: die Fotoredakteurin. Andere Ressortleiterinnen? Fehlanzeige. Als Frau, so schien es mir, hatte man in dieser Branche nur im allergrößten Notfall eine Chance, oben mitzuspielen, Macht zu haben, zu bestimmen. Mein erstes Praktikum ist vierzehn Jahre her. Heute arbeite ich für drei Zeitungen auf einmal. Das ist mehr, als sie zusammen Ressortleiterinnen haben. Andrea Ketterer, seit über zehn Jahren Chefin in verschiedensten Medien, aktuell bei der Zeitschrift „Glamour“, hat mir mal in einem Interview erklärt: „Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Mann mit Stift und Zettel in die Konferenz kommt. Nie. Sie wissen, da sind ohnehin Frauen im Team, die das Wesentliche mitschreiben und diese Infos nachher an den gesamten Verteiler geben.“ Wenn man Frauen das erzählt, wissen sie sofort, wovon man spricht. Männer jedoch reagieren in der Regel ungläubig. „Ich arbeite am liebsten mit Frauen zusammen“, hat mir mal ein Ressortleiter eines der auflagenstärksten deutschen Medien erklärt, „die kann man am besten ausnutzen.“

Frauen verderben den Ruf

Ein paar Frauen eines besonders breitbeinigen Mediums haben letztens, so hört man über den Flurfunk, mal die Gehälter der Kollegen, die auf der gleichen Position wie sie selbst waren, vom Betriebsrat anonym durchchecken lassen. Das Ergebnis: Die Männer verdienen zwischen 30 und 50 Prozent mehr. „Deine breitbeinigen Kollegen schützen einfach den Ruf der Branche“, erklärte mir jüngst ein Mann. „Seit es in der Schule immer mehr Lehrerinnen gibt, hat der Ruf der Institution extrem gelitten. Seit es immer mehr Professorinnen gibt, leidet die Bedeutung der Universität. Die wollen einfach nicht, dass es den Printmedien genauso geht“, sagte der Mann. Und als ich schmallippig reagierte, erklärte er mir: „Das Problem bei Frauen ist außerdem, dass sie keinen Humor haben.“

„Im Journalismus ist die Unternehmenskultur besonders prekär“, tröstet mich meine Freundin, die Unternehmensberaterin ist und gerade zwei Zeitungen miteinander verschmelzen musste. „Leute zu führen gehört einfach nicht zur Ausbildung eines Schönschreibers, deswegen können die wenigsten Ressortleiter auch leiten.“ Was dazu führt, dass sie nicht unbedingt Begabungen fördern, sondern eben häufiger Schmeichlern erliegen.

Eine ehemalige Kollegin von mir hat übrigens lange sehr konsequent um eine Führungsposition gekämpft. Vergeblich. Dann hörte ich auf einmal, sie sei schwanger. „Ein Verzweiflungskind“, erklärte mir ein Bekannter, der mit ihr zusammenarbeitet. Sie hatte keine Lust mehr, sich aufzureiben, heißt es. Jetzt investiert sie ihre Energie eben, wo das geschätzt wird, findet ihre Erfüllung als Mutter.

Aha. Erfüllen die Breitbeiner also indirekt den unbewussten Kinderwunsch der Karrierefrauen? Außerordentlich reizend. Kavaliere quasi. Am Ende wird dank ihnen in den Redaktionen endlich die bundesdeutsche Sehnsucht nach mehr Akademiker-Nachwuchs gestillt. Absurd? Absurd ist, dass Frauen auf den entscheidenden Posten einfach zu selten sind, Quotendebatte hin oder her. Vielleicht hilft uns da nur noch ein Breitbeinertraining: Einfach bei der nächsten Redaktionskonferenz auf einen der begehrten Stühle setzen und sagen: Hier sitze ich.

 

ZUR PERSON:
Judith Luig ist Redakteurin im Reportage-Ressort der „Welt“-Gruppe. Zuvor leitete sie das Ressort „tazzwei“ der TAZ. Gerade erschien ihr Buch „Breitbeiner“ über Machismo in der heutigen Gesellschaft.


Judith Luig:
„Breitbeiner. Warum wir Machos trotzdem mögen“,
Bastei Lübbe 2011, 208 Seiten, 14,99 Euro.

 


Erschienen in Ausgabe Journalistin 2011 in der Rubrik „Standpunkt“. Foto: privat. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.