Alte Zwänge & neue Zumutungen

Auf seiner diesjährigen Jubiläumstagung vergab der Journalistinnenbund seinen Nachwuchspreis „Andere Worte – neue Töne“ zum zehnten Mal und benannte ihn gleichzeitig nach seiner Stifterin in „Marlies-Hesse-Nachwuchspreis“ um. Wie war das für Sie?

Marlies Hesse: Das war für mich eine große Überraschung und Freude zugleich. Ich bin immer mal wieder gefragt worden, ob das Geheimnis, wer denn das Geld gibt, nicht gelüftet werden könnte. Das sollte ja auch eine Ehrung für mich sein. Ich habe es aber abgelehnt, weil ich im Hintergrund bleiben wollte. Nachdem ich nun gemerkt habe, dass bei den wohl 400 Journalistenpreisen viele mit dem Namen von männlichen und kaum weiblichen Personen verbunden sind, war ich nicht mehr so strikt dagegen. So verknüpft sich wenigstens der Preis des Journalistinnenbundes künftig mit dem Namen einer Frau.

Wann dachten Sie zum ersten Mal, junge Journalistinnen brauchen Unterstützung?

Das war in meiner Zeit, als ich 1979 die Leitung der Aus- und Fortbildung des Deutschlandfunks übernahm, und auch später, als ich half, die Geschäftsführung der Aus- und Fortbildung von ARD und ZDF mit aufzubauen. Schon früh sah ich, dass jungen Männern nach Abschluss des Volontariats meistens eine Festanstellung angeboten wurde, den Volontärinnen aber eher selten. Die hatten einen Doktortitel, die besseren Leistungen und kamen doch nicht recht zum Zuge. Ich habe mir dann gedacht, dass es sich im Lebenslauf vielleicht gut macht, wenn sie einen Preis angeben können. Und ich konnte es mir leisten, für Jahre eine Verpflichtung einzugehen.

Das war also eine Geste der Fürsorge. War es Ihnen auch ein frauenpolitisches Anliegen?

Durchaus. Ich habe ja jahrelang frauenpolitisch gearbeitet, mich in der Bonner „Fraueninitiative 6. Oktober“ engagiert und dort bis zum Jahr 2000 den Frauen-Pressedienst „IFPA“ mitverantwortet. Seit den 80er Jahren habe ich die Politik von und für Frauen aufmerksam verfolgt.

Gab es auch Anstöße von außen?

Ich war jahrelang im Vorbereitungsteam für die Vergabe von Stipendien von „Journalistes Europe“. 2000 war schon deutlich, dass dieses Projekt aus finanziellen Gründen auslaufen würde. Ich hatte mehrmals junge Frauen aus dem Journalistinnenbund gezielt ermuntert, sich zu bewerben. Ich bin noch heute stolz darauf, dass es mir gelungen ist, mehr Frauen als Männer für das Fortbildungsprogramm nach Paris zu schicken. Leider war das später ja nicht mehr möglich. Der JB-Preis sollte das ein wenig ersetzen.

Wenn Sie auf die letzten zehn Jahre zurückblicken, was hat sich verändert?

Angesichts der Medienkrise haben es die jungen Journalistinnen noch immer sehr schwer. Ganz abgesehen davon, dass es heute – wie noch zu meiner aktiven Zeit, ich bin Jahrgang 1935 – kaum Seiteneinsteigerinnen gibt, stehen die jungen Frauen mit ihrer qualifizierten Ausbildung ohne Ausnahme vor neuen Zumutungen und Zwängen. Sie hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, bekommen wenn, dann immer nur sehr kurzfristige Verträge in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, Festanstellungen sind kaum noch möglich.

War der Preis denn ein wirksamer Eingriff?

Innerhalb dieser zehn Jahre gab es immerhin etliche junge Frauen, die dann eine beachtliche Karriere machten. Die erste Preisträgerin, Jenny Friedrich-Freksa, ist heute Chefredakteurin einer Kulturzeitschrift, mehrere, wie zum Beispiel Katharina Born oder Hilal Sezgin, sind mit Büchern in den Vordergrund getreten, auch die Filmemacherinnen sind heute an entscheidender Stelle tätig. Ich beobachte genau, wo die Namen wieder auftauchen. So habe ich mich auch sehr gefreut, dass Maris Hubschmid, die bei der Preisvergabe 2010 ja noch Volontärin war, ganz schnell Redakteurin beim „Tagesspiegel“ wurde und jetzt zu den „Top 30 bis 30“ (s. „medium magazin“ 9/2012)gezählt wird.

Würden Sie heute noch einmal einen Preis stiften?

Es gibt inzwischen so viele Preise, dass die Chance für die jungen Frauen, einen zu ergattern, weit größer ist als damals. Der „Marlies-Hesse-Nachwuchspreis“ ist aber immer noch ein gutes Förderinstrument. Und er ist nicht unbeachtet.

Was Ihren Preis neben der einjährigen kostenlosen Mitgliedschaft im Journalistinnenbund von anderen Preisen unterscheidet, ist Ihr Herz und das Engagement von Frauen, die ein Anliegen haben. Aber ist er noch nötig? Inzwischen geht es ja um die höheren Ebenen. Der Verein „Pro Quote“ kämpft darum, dass mehr Frauen Zugang finden zu den Führungspositionen.

Dass Julia Jäkel Erste unter drei Gleichen im Vorstand von Gruner+Jahr geworden ist, ist zwar kein Quotenergebnis, aber sie hat – mit Zwillingen – den Sprung nach oben geschafft! Auf der Karriere-Leiter ist der Nachwuchspreis natürlich nur die erste schmale Sprosse. Dass aber ganz viele nach oben wollen, zeigt sich daran, dass so viele junge Frauen bei „Pro Quote“ mitmachen. Außerdem sehe ich das auch an den Examensarbeiten. An den Hochschulen beschäftigen sich viele Studierende mit dem Thema „Frauen in Führungspositionen“.

Der NDR hat eine neue Dienstvereinbarung zur Gleichstellung von Männern und Frauen abgeschlossen und dabei die alte 50-Prozent-Quote abgeschwächt. Unterrepräsentanz von Frauen oder (!) Männern in einer Funktion gilt ab 30 von hundert. Sehen Sie wieder gefährdet, dass Frauen überhaupt mitmachen dürfen?

Jetzt herrscht zweifellos die Angst vor, dass Männer durch die Quotenforderung vermehrt nach vorn gebracht werden. Insofern kann ich den aufgekommenen Protest durchaus verstehen.

Birgitta M. Schulte

ist freie Journalistin und Coach in Frankfurt am Main.

info@birgittam-schulte.de

Info

Marlies Hesse (*1935) war fast 30 Jahre lang als leitende Redakteurin in verschiedenen Funktionen beim Deutschlandfunk in Köln tätig. Von 1994 bis Herbst 2010 war sie Geschäftsführerin des Journalistinnenbundes. In den Jahren 1995, 2000, 2005 und 2010 koordinierte sie für Deutschland die journalistische Beteiligung an vier weltweiten Untersuchungen zum „Bild der Frau in den Medien“ und publizierte verschiedene Beiträge zu den Ergebnissen.

2003 erhielt sie für ihr Lebenswerk die Hedwig-Dohm-Urkunde des Journalistinnenbundes und im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste zur Gleichstellung der Frauen in den Medien.

Von 2013 an wird der von ihr vor zehn Jahren gestiftete Nachwuchspreis als „Marlies-Hesse-Nachwuchspreis“ vergeben.

Der Journalistinnenbund (JB) vergibt den mit 1.000 Euro dotierten Preis jährlich auf seiner Jahrestagung alternierend für Print-, Hörfunk- und Fernseh-Beiträge, ab 2013 auch in der Kategorie „Online“. Der Journalistinnenbund möchte den differenzierten Blick auf das Leben von Frauen und Männern, von alten und jungen, von Menschen verschiedener Hautfarbe, Herkunft oder Religion fördern. Wie sieht die Realität von Menschen jenseits stereotyper Geschlechterzuschreibungen aus? Ausgezeichnet werden Beiträge, die Unterschiede entdecken – aber nicht als Unterscheidungen festschreiben. Die Altersgrenze für Bewerbungen ist 35 Jahre. Der Preis richtet sich ausdrücklich auch an Journalistinnen aus Österreich und der Schweiz.

www.journalistinnen.de

medium:online

Eine Übersicht über alle bisherigen Preisträgerinnen – und was aus ihnen bis heute geworden – ist dokumentiert unter:

www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 10+11/2012 Journalistin in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 0 bis 0 Autor/en: Interview: Birgitta M. Schulte. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.