Wirtschaftsjournalistinnen holen auf

Wirtschaftsberichterstattung ist eine klassische Männerdomäne. Dieser Satz ist, so viel ist jetzt auch empirisch sicher, nur noch ein Klischee: Das Wirtschaftsforschungsinstitut „Dr. Doeblin Gesellschaft für Wirtschaftskommunikation mbH“ (Heroldsberg) legt in jedem Jahr eine Studie über die Einstellungen und Kommunikationsbedürfnisse von Wirtschaftsjournalisten aller Mediengattungen – außer reinen Online-Journalisten – vor. Für die „Journalistin“ hat Jürgen Döblin die Umfragen der Jahre 2006 und 2007 in einer Sonderanalyse über Wirtschaftsjournalistinnen ausgewertet:

„Es gibt keine „weibliche Agenda“ in der Wirtschaftskommunikation. Weibliche wie männliche Wirtschaftsjournalisten bearbeiten ähnliche Themen und sie berichten über die gleichen Branchen. Wenn es in der Kompetenz der Nutzung von Kommunikationstechnologien überhaupt einen geschlechterspezifischen Unterschied gibt, dann zugunsten der Frauen: sie nutzen das Internet häufiger und einfallsreicher als die Männer (68 Prozent gegenüber 48 Prozent der männlichen Kollegen mehr als zwei Stunden täglich; und sie sind auch eifriger in der Nutzung konkreter Web-Anwendungen wie Podcasting (35: 21 Prozent).

Strukturdaten. Rund 20 Prozent beträgt der Anteil von Frauen an allen Wirtschaftsjournalisten . 67 Prozent der weiblichen Wirtschaftsjournalisten sind weniger als 16 Jahren im Beruf, gegenüber 39 Prozent ihrer Kollegen. Darüber hinaus dreht sich das Verhältnis fast genau um: Länger als 17 Jahre arbeiten rund 60 Prozent der Wirtschaftsjournalisten, dagegen nur 33 Prozent der Kolleginnen.

Die Folge: In den nächsten Jahren werden überproportional viele Männer aus dem Beruf des Wirtschaftsjournalisten ausscheiden. Der Anteil der Frauen wird daher im Trend ansteigen.

Frauen sind häufiger als Männer als freie Journalisten tätig und seltener fest angestellt (60:77 Prozent) und mit 9 zu 18 Prozent erst recht seltener als Männer in redaktionellen Führungsfunktionen präsent. In Bezug auf die Gesamtheit der Führungskräfte unter den Wirtschaftsjournalisten dürften – dies legen unsere Zahlen nahe – 90 Prozent Männer und 10 Prozent Frauen sein.

Themengleichheit. In den Arbeitsgebieten gibt es praktisch keine Unterschiede mehr, selbst bei Branchen wie Auto bzw. Maschinen- und Anlagenbau haben Wirtschaftjournalistinnen mit den männlichen Kollegen nahezu gleichgezogen. Ausnahmen zeigen sich nur bei Themen aus dem Handel (mehr Frauen) und bei Computer/Telekommunikation sowie Energie (mehr Männer).

Und auch bei den erhobenen Einstellungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen zeigen sich keine gravierenden Unterschiede. Wirtschaftsjournalistinnen sind wie Wirtschaftsjournalisten zu hohen Anteilen über den Klimawandel besorgt und fordern einschneidende politische Maßnahmen; über die Geschlechtergruppen hinweg gibt es eine klare Mehrheit für drastische Einschränkungen der Verfügungsmacht der Energieerzeuger über ihre Netze.

Kommunikationsunterschiede. In der jährlichen Umfrage werden die Wirtschaftsjournalisten aufgefordert, Unternehmen zu nennen, deren Kommunikation sie positiv bewerten bzw. deren Image sie schätzen. Weibliche Wirtschaftsjournalisten erhalten im Durchschnitt von der gleichen Zahl von Unternehmen Presseerklärungen wie ihre männlichen Kollegen. Allerdings verfügen die Frauen in weniger Unternehmen hinein über gute Kontakte. Die Einstellung der weiblichen Wirtschaftsjournalisten zu den Unternehmen ist auch deutlich negativer als die der Männer: sie beurteilen die Pressearbeit schlechter, sie sind seltener von den Führungsteams beeindruckt und ihnen sind weniger Unternehmen sympathisch.

Was könnten die Gründe sein für die größere emotionale Distanz der weiblichen Journalisten zu den Unternehmen, über die sie berichten? Gibt es Unterschiede in der Behandlung weiblicher und männlicher Wirtschaftsjournalisten durch die Pressestellen und das Führungspersonal von Unternehmen? Werden weibliche Journalisten schlechter „bedient“, weil sie häufiger als freie Journalisten tätig sind? Ist die kürzere journalistische Berufstätigkeit im Vergleich zu den Männern ein Grund für die unterdurchschnittlichen Kontakte in die Unternehmen hinein? Die Antwort auf diese Fragen kann wohl nur eine gesonderte Untersuchung liefern, die auch die Pressestellen mit einbezieht.

Interessanterweise schätzen Wirtschaftsjournalistinnen den Kontakt mit Verbänden. Sie wissen durchschnittlich 7,0 Verbands-Pressestellen (von 29 vorgegebenen) zu nennen, deren Arbeit sie als professionell bezeichnen. Männliche Wirtschaftsjournalisten erinnern sich nur an 6,5 Pressestellen mit guter Pressearbeit. In 6,4 Verbands-Pressestellen hinein haben weibliche Wirtschaftsjournalistinnen gute Kontakte – der entsprechende Wert bei Männern beträgt 6,1.

Im Verhältnis zu PR-Agenturen sind weibliche Wirtschaftsjournalisten eher als männliche vom wirtschaftlichen Fachwissen der Agenturen enttäuscht – aber sie haben seltener als Männer ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber PR-Agenturen. Dies mag auch erklären, warum Frauen mit mehr PR-Agenturen zusammenarbeiten als Männer.

Perspektiven. Heute noch klar in der Minderheit, werden sich Frauen in einigen Jahren dem Männeranteil im Wirtschaftsjournalismus nähern. Bestehende Kontaktdefizite in die Wirtschaft könnten sich im Verlauf dieses Veränderungsprozesses durch die zunehmende Berufserfahrung der weiblichen Wirtschaftsjournalisten dann von selbst beheben.

Ob die Frauen die Karriereleiter im Wirtschaftsjournalismus ebenso schnell nach oben besteigen können wie jetzt die Männer, wird die Entwicklung zeigen. Möglich ist, dass Frauen – wie in anderen Bereichen der Wirtschaft – weiterhin besser als ihre männlichen Kollegen sein müssen, um die gleiche Führungsebene zu erreichen. Diese ungleichen Aufstiegschancen wären dann die Folge für die noch zu geringe Reformfähigkeit traditioneller Führungsstrukturen in der Wirtschaftspublizistik.“ Jürgen Döblin

Tipp: Die detaillierten Umfrage-werte sind auf der Website des Instituts unter www.wp-online.de zugänglich.

Erschienen in Ausgabe 9/2007 in der Rubrik „Start“ auf Seite 4 bis 7. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.