Eine Geschäftsidee für Blattmacher, die immer noch daran glauben, dass Männer vom Mars und Frauen von der Venus sind und nach einem Rezept für mehr Leserinnen suchen: Die Tageszeitung, die sich nach dem weiblichen Zyklus richtet. Mit viel Emotionalem in der ersten Zyklushälfte, besonders knackigen Männerfotos rund um die fruchtbare Phase und schonender Nachrichtenauswahl mit Rücksicht auf die prämenstruelle Reizbarkeit.
Aber Achtung, die Sache ist gefährlich. Es könnte einem ergehen wie dem Chef der französischen Journalistin und Berlin-Korrespondentin Stéphane Roussel, der sich in den 30er-Jahren mit Hinweis auf ihr „weibliches Problem“ weigerte, sie einzustellen. Und den sie überzeugte, mit dem Trick, wenn er ihr nachweisen könne, wann ihr Problem anstehe, könne er sie rauswerfen. Die Dame machte Karriere. Denn der Herr versagte.
So kommts, wenn man zu klischeegläubig ist. Was Journalisten und -innen natürlich niemals sind, und schon gar nicht bei der Arbeit. Dass jede Woche wieder eine neue Meldung über ach so emotionale, harmoniestiftende, kommunikationstüchtige Frauen und gefühlsverkrüppelte Männer auf den Panoramaseiten dieser Republik prangt, ist selbstredend Wissenschaftsjournalismus, es stand doch so in der Pressemitteilung der Uni. Die Redaktion ist sich einig, dass zu Hause und bei den Nachbarn und bei den Kindern das alles doch genau so ist und der Artikel wandert ins Blatt. Getreu dem Hühnerzüchtervereins-Berichterstattungs-Prinzip, nach dem sich der Leser (und die Leserin erst recht, wegen der emotionalen Bindung) in der Zeitung wiederfinden möchten.
Die Sache mit dem Risiko ist zum Beispiel so etwas. Frauen sind ja eher risikoscheu, kennt man ja, vor allem beim Geld, schließlich wollen sie immer möglichst viel Sicherheit, evolutionär bedingt, wegen der Sache mit dem Kinderkriegen und so. Stimmt aber gar nicht, fand eine Finanzwissenschaftlerin der Uni Bern heraus: Frauen, die sich für Geld interessieren, sind bei Anlageentscheidungen genauso risikofreudig wie Männer. Nicht das Geschlecht, sondern das Interesse macht den Unterschied.
Ähnliche Ursachenverwirrung gibt es in einem Großteil der Männer-sind-ganz-anders-als-Frauen-Studien. Um darauf zu kommen allerdings müsste man überlegen, ob Unterschiede auch aus anderen Gründen als mannfraulichen entstehen können. Zum Denken aber ist erstens im Redaktionsalltag kaum Zeit, zweitens sagt der Instinkt ja etwas anderes und drittens würde man ja damit auch die Leserin vor den Kopf stoßen, die nicht hören mag, dass sie ganz schön blöd ist, wenn sie sich nicht um die Kohle kümmert, und dann bestellt sie das Abo ab und dann schimpft der Verleger und dann aber hallo.
Der Trend geht nun mal zum Wohlfühl- und Wellness-Journalismus, und was Frauenzeitschriften perfektioniert haben, ist inzwischen sogar in die „Sportschau“ geschwappt. Nichts mit Analyse, Taktik, Strategie, stattdessen müssen verschwitzte Spieler Auskunft über Dinge geben, über die sich echte Männer bis vor Kurzem noch nie Gedanken gemacht haben: „Was für ein Gefühl ist der Sieg?“ „Wie haben Sie das Tor erlebt?“ „Wie geht es Ihnen jetzt nach der Niederlage?“
Wahrscheinlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Politiker nach Reden nicht mehr zum Inhalt, sondern zu ihrem emotionalen Erleben gefragt werden: „Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie die Irak-Politik von George Bush angegriffen haben?“ Irgendwie drängt sich der böse Verdacht auf, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen medialer Gefühlsduselei und dem Flirt mit der weiblichen Aufmerksamkeit: Der Versuch, sich weibliche Kundschaft zu sichern, führt zur intellektuellen Verflachung. Zumindest dann, wenn die Marschrichtung lautet, dem angeblich so emotionalen, irrational veranlagten schwachen Geschlecht nicht so viel Vernünftiges zuzumuten, sondern eher Leichtes für das Schaumbad am Abend zu servieren.
Aber, ehrlich gesagt, Frauen sind gar nicht so. Emotional, unberechenbar und irrational und so. Sie reagieren im Vergleich sogar geradezu beängstigend beherrscht und vernünftig – denn nach allen Statistiken sind Männer die wahren Gefühlsgetriebenen. Sie pöbeln und prügeln, sind aggressiv und unbeherrscht, morden 25 Mal so häufig wie Frauen und bringen sich zudem auch viel öfter selbst um. Frauen haben, das ist in der Wissenschaft unbestritten, ihre Gefühle eindeutig besser im Griff.
Allerdings: Auf die Beherrschtheit von Frauen ist nur so lange zu rechnen, wie sie sich als Frauen outen müssen: Bleibt ihr Geschlecht geheim, reagieren sie in Experimenten genau so aggressiv wie Männer. Das heißt weitergedacht allerdings auch: Wer Klischees hinterfragt, gefährdet den Weltfrieden. Das kann ja keiner wollen. Deshalb entwickeln wir jetzt die Zyklus-kompatible Zeitung weiter und hoffen auf den Friedensnobelpreis. Der Titel des Blatts ist ja klar: „HormonSPIEGEL“.
Erschienen in Ausgabe Journalistin 2008/20Journalistin 2008 in der Rubrik „Schlusspunkt“ auf Seite 20 bis 20 Autor/en: Eva-Maria Schnurr. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.