Mit den Augen einer Frau

Frau Horn, gibt es den weiblichen Blick bei Blattgestaltung und Layout?

Anja Horn: Ja und nein. Unbestritten gibt es den ästhetischen Blick, der sich in den letzten Jahren bemerkenswert verbreitet hat und sich auch in der Nische oder im Corporate Design weiter durchzusetzen scheint. Was wir aber durch Ihre Frage viel deutlicher betrachten sollten ist, dass es Unterschiede in der männlichen und weiblichen Kommunikation gibt. Wodurch sich wiederum Visualisierungen darstellen, die unabhängig davon sind, ob diese von Frauen oder Männern gestaltet werden. Insofern gibt es tatsächlich den „weiblichen Blick“, den aber interessanterweise auch namhafte männliche Designer pflegen und bedienen. Umgekehrt trifft natürlich das Gleiche zu. Ganz abstrakt: Die Blickrichtung wird nicht vom Geschlecht der Person, sondern vom Geschlecht der Ästhetik bestimmt.

Was meinen Sie mit „Geschlecht der Ästhetik“?

Die Reize an sich (Emotion, Kraft, Erotik, Witz …) scheinen vordergründig für Mann und Frau gleich zu sein. Erst der zweite Blick offenbart, dass die Machart, also die Form der Visualisierung des optischen Reizes, entscheidend ist. Ehrliche Fotos von „harten Jungs“, z. B. verschwitzte Fußballer (s. „Player“), statt glamouröse Retorten-Stars können bei Frauen punkten. Auch pure Erotik (s. „Playboy“) oder kunstvolle Nacktheit (s. „Monopol“) ist für Frauen längst nicht mehr abstoßend, wenn sie wunderbar ästhetisch oder besser noch mit einem Augenzwinkern inszeniert wird. Dabei geht es natürlich um Frauen (auch um Männer) mit einem gewissen ästhetischen Potenzial, also mit weiblicher Ästhetik, wenn man so will. Anders, oder eben noch nicht anders, sieht das beim Hardcore-Boulevard aus, die nach wie vor mit harten, plakativen Mitteln in Headlines und Fotoschnitten arbeiten, was Frauen eher nicht anspricht.

Frauen sind eine begehrte Zielgruppe. Woran fehlt es denn in der Ansprache weiblicher Leser?

Einfach an der gewissen weiblichen Ästhetik, die, wie wir ja nun wissen, auch in Männern stecken kann. Vielleicht ist es auch ganz einfach der fehlende Mut der männlichen Zeitungsmacher, ihre ästhetische und damit auch weiblichere Seite kennen und lieben zu lernen und vor allem, sie auch ohne Scheu in die Außenwelt zu kommunizieren. Aber da scheinen wir ja in den letzten Jahren auf einem positiven Weg zu sein.

Können Sie ein Beispiel nennen für gelungenes Design für Frauen?

Ich denke, dass wir uns alle sehr in den „Guardian“ verliebt haben. Er verbindet die Glaubwürdigkeit des Qualitätsjournalismus mit Lebensthemen auf eine fast simple Art und Weise. Und geht dabei extrem unkonventionell mit Farben um.

Gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen hinsichtlich der Farben?

Die Farben stehen da nicht für sich selbst. Es kommt immer auch auf den Kontext an. Ein rosa Gummireifen ist genauso wenig weiblich, wie ein verchromtes Tutu Männlichkeit vermitteln kann. Im Ernst: das gesamtästhetische Bild wird nicht nur von der Farbe geprägt. Es kommt immer auch auf die inhaltliche Ansprache an.

Gilt das auch für Schrifttypen?

Wenn man denkt, dass eine verschnörkelt Schrift eher dem Typ Frau entspricht, befindet man sich schnell auf dem Holzweg. Genauso wenig funktioniert die geschlechtliche Zuordnung einer Antiqua oder einer Grotesk. Typografie dient in erster Linie dem Lesekomfort und in zweiter Linie kann sie Exaltiertheiten der gewünschten Zielgruppe bedienen. Daher sollte Typografie immer eher den Charakter einer Marke prägen.

Portionierung von Texten war ja lange ein Trend. Haben Frauen da andere Vorlieben als Männer?

Das kommt immer auf unser Zeitbudget und die Frage nach den Inhalten an. Fast jeder Mensch, der mit der Kultur des Lesens groß geworden ist, liest gerne längere Texte, vorausgesetzt, sie sind reizvoll geschrieben. Aber ob Mann oder Frau, wir lieben alle auch die kleineren, unterhaltsamen Randerscheinungen, die dem Leben einen gewissen Reiz geben. Würden wir dieses immer durchdacht und klug leben, ohne das Beiwerk von Brüchen oder Humoresken, würde gähnende Langeweile vorherrschen.

Beherrschen Frauenzeitschriften die Ansprache weiblicher Leser besser als andere Medien?

Und wenn, dann müsste man genauso fragen, ob Männer die besseren Männermagazine machen. Ist „Brand Eins“ ein Wirtschafts- oder ein Männermagazin oder warum wird „Gala“ auch gern von Männern gelesen? Die Gefahr, alle Klischees bedienen zu wollen, ist immer recht groß. Und welche Feinheiten den Unterschied zwischen Klischee und ehrlicher Visualisierung ausmachen können, haben wir ja eben besprochen.

Erschienen in Ausgabe Journalistin 2008/20Journalistin 2008 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 6 bis 9 Autor/en: Interview: Annette Milz / Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.