01 – Journalist/in des Jahres 2010

Annette Milz (Chefredakteurin "medium magazin"), Carolin Emcke, Journalistin des Jahres 2010 und Laudator Michael Jürgs (Publizist), Foto: W. Borrs
Annette Milz (Chefredakteurin "medium magazin"), Carolin Emcke, Journalistin des Jahres 2010 und Laudator Michael Jürgs (Publizist), Foto: W. Borrs

„Leidenschaft und Talent sind wesentliche Voraussetzungen unseres Berufes, um dann auf dem zu erlernenden Handwerk von Genauigkeit und Recherche, die Wirklichkeit widerzuspiegeln – anstatt sich in der eigenen Bedeutung zu spiegeln:“ Jurymitglied Michael Jürgs ehrt die „Journalistin des Jahres“ Carolin Emcke:
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„Wenn ich Ihre Texte richtig verstanden habe, dann mag sie grundsätzlich keine großenWorte. Weder eigene noch die der anderen. Sie würde widersprechen, falls man sie preistals eine Journalistin mit all den Eigenschaften, die eine gute Journalistin haben muss. DieDebatte übrigens, ob es einen Preis für DIE Journalistin des Jahres und einen für DENJournalisten des Jahres geben sollte, halte ich für überflüssig. Wesentlich ist, um einenGrößeren zu zitieren, was am Ende hinten rauskommt. Caroline Emcke eigenen Worten
zufolge ist Journalist zu sein der schönste Beruf der Welt, wenn da nicht das Schreibenwäre.Das Schreiben, ach ja. Bekanntlich sind Leidenschaft und Talent wesentlicheVoraussetzungen unseres Berufes, um dann basierend auf dem zu erlernenden Handwerkvon Recherche und Genauigkeit die Wirklichkeit widerzuspiegeln statt sich in der eigenenBedeutung zu spiegeln. Wie ich täglich höre und lese und sehe, ist das in der Arena Berlinvor allem weit verbreitet. Für Caroline Emcke ist in der journalistischen Farbenlehre nichtwichtig die Auswahl unter vielen Farben des Pfaus, sondern die Farbe grau, die Farbedes Zweifels. Wer ihr vertraut, traut dem eigenen Urteil erst dann, wenn es außer denüblichen Selbstzweifeln kaum noch Zweifel geben kann. Genauigkeit ist keine Tugend vonJournalisten, sondern Pflicht.Es gibt, sagt Caroline Emcke und so schreibt sie — egal ob über das Leben und Sterbenim Gaza-Streifen, über die Rituale der Blutrache, über die mordenden Bürgerskinder derRAF oder zuletzt über die Hoffnungslosigkeit in Haiti —nicht DIE Wahrheit, sondern immernur eine größtmögliche Annäherung. Journalismus ohne eine moralische Grundhaltungund ohne, ja doch. Selbstzweifel, ist deshalb für sie nicht denkbar. Journalist zu sein indiesem Sinne ist eben nicht ein Beruf wie jeder andere, weshalb die Manager der sogMedienbranche dankbar sein sollten, dass es uns gibt. Denn ohne uns müssten sie zumBeispiel Nähmaschinen verkaufen oder bei der Hypo Real Estate arbeiten, was ja nichtganz so prickelnd wäre. Caroline Emcke zeichnet Vieles aus: Die Kraft der Recherche. DieKraft der Sprachbilder. Die Kraft des Zweifels. Die Kraft, die daraus wächst, dass man niezufrieden ist mit dem gestern umarmten ersten Satz. Die Kraft, sich allen Umarmungenvon Mächtigen zu entziehen und auch im Erfolg, den sie ohne Zweifel hat, demütiggeblieben zu sein ohne damit zu kokettieren. Sie freue sich riesig über den Preis, hat sieaus Haiti gemailt, wo sie unterwegs war, wisse aber gleichzeitig, wer den Preis ebensoverdient hätte wie siesie. Da will ich dann doch widersprechen. Ich weiß in diesem Jahr niemand, der ihn so verdient hätte wie sie.“

Carolin Emcke, freie Autorin

Die Jury: „Carolin Emcke hat 2010 durch ihre publizistischen Beiträge der gesellschaftlichen Debatte in Deutschland wichtige Impulse gegeben. Ihr ist es gelungen, Themen wie kulturelle Identität und gesellschaftliche Konfliktsituationen aus der nationalen Bauchnabelschau zu holen und in den internationalen Kontext einzuordnen. In der Vielfalt ihres publizistischen Wirkens, als Reporterin, Essayistin, Buchautorin, zeigt sie eine außergewöhnliche Bandbreite mit hoher intellektueller Unabhängigkeit in ihrer Urteilskraft. Beispielhaft dafür stehen 2010 ihre Reportagen aus dem Irak und Europa wie auch ihr Essay „Liberaler Rassismus“ („Die Zeit“/„Zeit-Magazin“). Vor ihrem internationalen Hintergrund erhalten ihre kritischen Reflexionen umso mehr Gewicht, wenn sie warnt: „Mehr als das Internet schreckt mich die zunehmende Neigung unserer Zunft, sich angstvoll mit sich selbst zu beschäftigen und darüber die Auseinandersetzung mit der Welt zu vernachlässigen.“

Carolin Emcke freut sich, für Zweifel und Selbstzweifel ausgezeichnet worden zu sein:
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