8 Hacks für die Recherche bei Telegram
Text: Veronika Völlinger
Telegram ist längst eine Recherchequelle für Journalistinnen und Journalisten – ähnlich wie X, Youtube oder Instagram. Auf der Plattform findet sich Augenzeugenmaterial aus Konfliktgebieten, sie bietet Einblicke in die Vernetzung von Extremisten oder Belege für kriminelle Machenschaften wie die gewaltvollen, frauenverachtenden Männergruppen, die Isabell Beer und Isabel Ströh in ihrer Recherche über Vergewaltiger-Netzwerke offenlegten.

Kriminalität, Justiz und Missständen. Seit mehreren Jahren gibt sie Workshops über Recherche auf Telegram und war zum Thema u. a. Speakerin bei der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche. Foto: Hannah Quentin
Solche Themen haben Telegram den Ruf des „Darknets für die Hosentasche“ eingebracht. Wer mehr über die Hintergründe der 2013 von einem in Dubai lebenden russischen Internetunternehmer gegründeten Plattform erfahren will, dem sei die aktuelle Arte-Doku „Telegram – Das dunkle Imperium von Pawel Durow“ empfohlen.
Doch Telegram ist nicht nur düster. In Ländern wie Belarus oder dem Iran ermöglicht die App, sich abseits staatlicher Kontrolle zu organisieren und Informationen zu verbreiten. Für Journalistinnen und Journalisten eröffnet sie vielfältige Wege, relevante Inhalte und spannende Personen aufzuspüren. Ein Grundverständnis der Plattform und ihrer Suchmechaniken ist daher essenziell – und leicht zu erwerben.
1. Grundorientierung
Ist Telegram ein Messenger für private Kommunikation – oder eine Social-Media-Plattform mit Reichweite? Beides. Es gibt private Chats wie bei klassischen Messengern. Dazu kommen offen zugängliche oder private Gruppenchats, die bis zu 200.000 Mitglieder fassen können. Und es gibt Kanäle, in denen ein oder mehrere Betreiber Nachrichten an ihre Abonnenten senden. Sie sind ebenfalls öffentlich oder privat; teils ist eine Kommentarfunktion freigeschaltet.
Für die Recherche wichtig: In Gruppen lässt sich beobachten, wie sich Diskussionen entwickeln, und Beiträge einzelner User können wertvolle Details liefern. In Kanälen lässt sich nachvollziehen, wie Themen gesetzt werden.
Diese Begriffe und Funktionen sollte man kennen:
- Forward: Nachrichten lassen sich direkt weiterleiten. Wichtig: Die Quelle bleibt sichtbar. Das ist hilfreich, um Ursprünge und Verbreitungswege nachzuverfolgen.
- Pinned: Ein Beitrag wird oben in Kanal oder Gruppe angepinnt. Das ist oft spannend für Rechercheure: Regeln, FAQ, Kontaktmethoden, Spendenaufrufe, Ideologie-Statements oder der „Einstiegslink“ zu weiteren Gruppen.
- Bots: Automatisierte Accounts, die Aufgaben erledigen: Moderation, Suchen, Kontaktaufnahme-Optionen, Umfragen etc.
- @Username: Kanäle, öffentliche Gruppen und manche Profile haben eine feste @-Adresse, die sich wie eine URL teilen lässt.
- Invite-Links gewähren Zugang zu Gruppen oder privaten Kanälen. Sie können offen geteilt werden, aber auch zeitlich / mit Mitgliederlimit beschränkt sein.
Telegram bietet auch eine Bezahlversion mit Zusatzfunktionen. Für Recherchen spielt sie praktisch keine Rolle.
2. Keine Panik – aber Vorsicht!
Telegram wirbt mit Privatsphäre und Zensurfreiheit, die Moderation missbräuchlicher Inhalte ist minimal. Unter Sicherheitsexperten hat der Messenger keinen guten Ruf: Anders als bei Whatsapp gibt es keine standardmäßige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Chats liegen verschlüsselt auf Servern. Ende-zu-Ende gibt es nur in „Geheimen Chats“, die aktiv eingeschaltet werden müssen. Eine Hürde, die viele Nutzer nicht nehmen.
Wer als Journalist auf Telegram recherchiert oder Quellen kontaktiert, kann grundsätzlich die berufliche Nummer nutzen – sofern er sich nur in offenen Kanälen bewegt, die nicht extremistischen oder gewaltbezogenen Milieus zuzuordnen sind. Wichtig: In den Privatsphäre-Einstellungen unbedingt die Sichtbarkeit der eigenen Nummer deaktivieren – es sei denn, man will bewusst erreichbar sein.
Wer mit Recherche-Account und Pseudonym arbeitet, sollte dieselben Privatsphäre-Optionen prüfen. Nutzen Sie am besten eine Handynummer, die sonst nirgends hinterlegt ist. Andernfalls erhalten Kontakte, die diese Nummer gespeichert haben, eine Benachrichtigung über die Neuregistrierung – samt Profilbild und Nutzernamen des Fake-Accounts. Ideal ist eine Wegwerf-SIM aus einem Land ohne Ausweisregistrierung.
Ein VPN verschleiert die IP-Adresse. Telegram ordnet Nutzer aber über die Telefonnummer einem Land zu, was beeinflussen kann, welche gesperrten Kanäle sichtbar sind. Je nach Recherchethema lohnt eine weitere Sicherheitsstufe: etwa Telegram nur auf einem Gerät zu nutzen, das sonst für nichts eingesetzt wird.
Und ansonsten gilt, was immer bei Recherchen im Internet gilt: Links prüfen, bevor man klickt. Keine persönlichen Daten preisgeben. Bewusst entscheiden, mit wem man interagiert.
4. Personen finden
Oft möchten wir bei Recherchen wissen, wer hinter einem Telegram-Kanal steht. Technisch lässt sich das nicht auslesen – man kann es nur gezielt recherchieren. Über diesen Link im Browser springt man zur allerersten Nachricht eines öffentlichen Kanals.
t.me/s/KANALNAME/1
So findet man heraus, wann der Kanal erstellt wurde; oft sieht man dort auch das erste Profilbild und frühe Posts – ein Zeitpunkt, an dem der Betreiber möglicherweise unvorsichtig war. Hilfreich ist auch, einen Kanal nach E-Mail-Adressen oder Telefonnummern zu durchsuchen.
In manchen Kanälen zeigt Telegram links neben der Uhrzeit einen Namen an. Er kennzeichnet den Absender (etwa bei mehreren Administratoren) und kann Hinweise auf den Betreiber liefern.
In Gruppen sind alle Mitglieder samt Profilen sichtbar, wenn man die Gruppeninfo öffnet – sofern der Betreiber die Sichtbarkeit nicht eingeschränkt hat. Owner und Admins sind meist gekennzeichnet; falls nicht, kann ein Blick auf die allerersten Nachrichten oder gepinnten Beiträge und darauf, wer sie geschrieben oder gepinnt hat, helfen.
Auch Accounts einzelner Personen können viel verraten: Usernamen, die sich anderswo wiederfinden lassen; Profilbilder, inklusive älterer, die Telegram weiterhin anzeigt. Ob zu einer Handynummer ein Telegram-Profil gehört, lässt sich prüfen, sofern die Person die Auffindbarkeit nicht deaktiviert hat. Dieser Link (Mobilnummer mit Länderkennung) führt direkt zum Profil und lässt sich in der App öffnen:
t.me/+49XXXXXXXXXX
Telegram lässt sich zudem nutzen, um Protagonisten weltweit aufzuspüren – etwa in Vernetzungsgruppen zu Orten oder Themen. Nutzerprofile kann man über Name oder Bild anklicken und direkt anschreiben, teils sogar anrufen.
Lesen Sie außerdem im medium magazin 06/25:
JdJ 2025: Die Journalistinnen des Jahres. Isabell Beer und Isabel Ströh berichten im Interview von ihren Recherchen in Vergewaltiger-Netzwerken. Alle Journalistinnen & Journalisten des Jahres 2025. Die Ausgezeichneten in sämtlichen Kategorien. Die Unbestechliche. Cathrin Kahlweit erhält den Preis für ihr Lebenswerk.
Medien und Beruf: Top 30 bis 30. So war die Konferenz in München. Meinen die das ernst? Medienschaffende prognostizieren das Jahr 2026 Monat für Monat. „Ein schreckliches Jahr“ für den Journalismus – das sagt Bernhard Pörksen über 2025. Warum sich der Journalismus nicht selbst retten kann, erklärt der Medienforscher im Zukunfts-Interview.
Rubriken: Kurz & bündig und Köpfe & Karrieren. Was sich in der Branche tut. Im Gedenken. Wer 2025 von uns ging. Kiosk. Diese Medien suchen Freie. Presserecht. Wie Medien von Demos berichten und rechtliche Risiken vermeiden können. Innovationscheck. Was und wer hinter „Gerda“ aus Gera steckt. Kurznachrichtendienst. Gavin Karlmeier kommentiert, was sich bei X und Co tut. Einerseits … andererseits. Geht’s bei True Crime überhaupt noch um Journalismus? Tanjev Schultz kontert Pascal Biedenweg. Der reagiert. Fragebogen. Friederike Hofmann: „Keine Entscheidung gegen die ARD …“
Praxis: Sie fanden Jan Marsalek. Weltweit per Haftbefehl gesucht, spürten ihn Journalisten in Moskau auf. Werkstatt-Gespräch mit Jörg Diehl aus dem „Team des Jahres“. 8 Hacks für Telegram. Im „Darknet für die Hosentasche“ finden sich starke Geschichten und Quellen – wenn man weiß, wie. Toolbox. Schick mal schnell: Dateien und Texte auf kurze Distanz von Gerät zu Gerät senden – ganz ohne Kabel und Plattformen.
Um Praxis geht es auch in der neuen „Journalisten-Werkstatt“ von Marius Elfering: Die Langzeit-Recherche. Die „Werkstatt“ liegt im „medium magazin“-Abonnement gratis bei. Einzeln ist sie zudem im Shop erhältlich.

