einerseits…andererseits: Nutzen Medien zu schnell das Etikett „Verschwörungstheorie“?

Kristina Schröder (c) Oliver Ruether/laifTanjev Schultz (c) Uni Mainz
Kristina Schröder (c) Oliver Ruether/laif; Tanjev Schultz (c) Uni Mainz

 

Wann ist das Label „Verschwörungstheorie“ in den Medien angebracht? „Wer die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisierte, wurde aus dem legitimen Diskurs ausgeschlossen. Dabei wurden tatsächliche Corona-Leugner bewusst mit Menschen in einen Topf geworfen“, sagt Kristina Schröder. Tanjev Schultz kommentiert den Impuls – und Schröder reagiert.

 


Der Impuls von Kristina Schröder

„Wer die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisierte, wurde aus dem legitimen Diskurs ausgeschlossen. Dabei wurden tatsächliche Corona-Leugner bewusst mit Menschen in einen Topf geworfen, die die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen infrage stellten. Der Bundesverfassungsschutz erkannte ‚Delegitimierung des Staates‘ als extremistisch, NGOs entdeckten ‚Verschwörungsdenken‘ als Betätigungsfeld im ‚Kampf gegen rechts‘. Misslich nur, dass sich so manche ‚Verschwörungstheorie‘ am Ende als zutreffend entpuppte. Dass es eben doch eine Impfpflicht geben könne. Dass Spuren des Impfstoffes eben doch in die Muttermilch übergehen. Und dass das Virus eben doch einem chinesischen Labor entstammen könnte. Letzteres hat offenkundig sogar der BND dem Bundeskanzleramt berichtet.“ (Aus „Welt“ am 16.03.2025)

 


Der Kommentar von Tanjev Schultz: Klarheit vor Wahrheit? Wahrheit vor Klarheit!

In der Pandemie ging es Medien oft nicht um Wahrscheinlichkeiten, sondern um vermeintliche Gewissheit. Das war ein Fehler – und bleibt einer.

Nach einer öffentlichen Aufarbeitung der Pandemie-Politik zu rufen, fällt Journalistinnen und Journalisten leicht. Wie aber sieht es mit der eigenen Branche aus? Eine kritische Prüfung, wie die Medien in der Coronazeit berichtet haben, wäre nur fair. Kristina Schröder nennt in ihrer Kritik zwar nicht explizit die Medien, diese waren aber beteiligt am Erzeugen eines Meinungsklimas, in dem Zweifel wenig erwünscht waren.

Manche Faktenchecks verströmten den faulen Atem falscher Gewissheit. Im März 2020 veröffentlichte das ZDF einen Twitter-Thread, der Corona-Mythen entlarven sollte, darunter die Idee, das Virus sei menschengemacht: „Wurde das Virus in einem Labor gezüchtet? Klares Nein!“ Hm. Diese forsche Ansage so kurz nach Ausbruch der Pandemie sah schnell ziemlich alt aus, als US-Dienste die Laborthese ernsthaft verfolgten. Dass mittlerweile – durch die Enthüllung von „Zeit“ und „Süddeutscher Zeitung“ – bekannt ist, dass auch der BND bereits im ersten Coronajahr einen Labor-Ursprung für wahrscheinlich hielt, macht den ZDF-Tweet nicht schöner.

Wie hätten die Medien berichtet, wenn Angela Merkel das BND-Gutachten öffentlich gemacht und hartnäckig mehr Aufklärung von China verlangt hätte? Die Laborthese hätte ein ganz anderes Gewicht erhalten. Sender und Zeitungen hätten sich überschlagen mit Beiträgen über Merkels Vorstoß, eigenen Recherchen und Weiterdrehs. Nein, die Medien in Deutschland sind keine Staatsmedien, sie liegen mit der Regierung nicht unter einer Decke. Doch es geschieht immer wieder etwas, das in der Kommunikationswissenschaft „Indexing“ heißt: Abgeordnete, Minister, Behörden stecken den Raum der Themen und Argumente ab, die ernst genommen werden und über die dann intensiv und prominent von den Medien berichtet wird.


Die Kolumne“einerseits…andererseits“
Tanjev Schultz ist Professor für Journalismus an der Uni Mainz. Zuvor war er mehr als zwölf Jahre lang bei der „Süddeutschen Zeitung“. Zu seinen Schwerpunkten in Lehre und Forschung gehören Qualität und Ethik des Journalismus.
Tanjev Schultz ist Professor für Journalismus an der Uni Mainz. Zuvor war er mehr als zwölf Jahre lang bei der
„Süddeutschen Zeitung“. Zu seinen Schwerpunkten in Lehre und Forschung gehören Qualität und Ethik des Journalismus.
Foto: JS Uni Mainz

Es sitzt tief drin und geht nicht weg: „einerseits“ und „andererseits“ haben im Journalismus nicht viel verloren. Entscheide dich, sei stark in deinem Urteil – und bitte kein Wischiwaschi! So lernen es viele Journalistinnen und Journalisten in ihrer Ausbildung. Wir meinen: Schluss damit. Gerade medienethische Debatten brauchen mehr Mut zur Mehrdeutigkeit, eine größere Freude an der Differenzierung – und keine Kapitulation vor der Komplexität. Die Kolumne „einerseits  … andererseits“ greift deshalb Impulse aus der Branche, von Expertinnen und Andersdenkenden auf. Und arbeitet sich im Kommentar nicht an den schwächsten, sondern an den stärksten Argumenten der anderen ab. Weil wir es komplex mögen, bitten wir den Impulsgeber oder die Impulsgeberin vor der Veröffentlichung um eine Reaktion – die wir ebenfalls abbilden.


Die Wissenschaft ist für die Medien ebenfalls wichtig; und hatten nicht renommierte Forscher die Laborthese zurückgewiesen und erklärt, das Virus stamme vermutlich von einem Wildtiermarkt? Ja, das hatten sie. Und womöglich haben sie damit sogar recht. Nur sicher ist das eben nicht. Dennoch kanzelten Zeitungen wie die „New York Times“ die Laborthese sogleich als „fringe theory“ ab, als abwegige Idee vom rechten politischen Rand. Dabei beruhten die wissenschaftlichen Stellungnahmen, die der Laborthese widersprachen, nur auf ersten, vorläufigen Analysen, die zudem durch eine bis heute unzureichende Kooperation der chinesischen Behörden getrübt sind.

Mit getrübter Sicht haben Redaktionen ihre Schwierigkeiten. Sie wollen unbedingt Klarheit – auch dann und dort, wo es sie (noch) nicht gibt. „Kann sein, kann nicht sein …“, dafür klickt ja angeblich niemand einen Artikel.

Die Sehnsucht nach Gewissheit ist so groß, dass auch Politiker sie für sich nutzen können. Markus Söder spielte in der Pandemie den Staatsmann, der stets zu wissen schien, was Sache war und wo es langgehen sollte. Wie manche Journalistinnen und Journalisten damals in Ehrfurcht und Bewunderung für Söder zerflossen, ist nicht nur im Rückblick peinlich. Der ausgleichende Ansatz von Armin Laschet dagegen, der ihm den Ruf des Zauderers eintrug, war weniger populär, aber deshalb nicht unbedingt unvernünftig. Auch dazu könnten Redaktionen mal ihr Archiv befragen und danach schauen, wie gut ihre Beiträge gealtert sind.[…]

 

Den ganzen Kommentar von Tanjev Schultz und wie Kristina Schröder darauf reagiert, lesen Sie im neuen „medium magazin“ 02/25.

 


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