einerseits…andererseits: Hat Journalismus im Fußball überhaupt noch eine Chance?

Wenn Medien im Milliardengeschäft rund um Fußball mitmischen, wie kritisch können sie dann überhaupt noch sein? „[…] dieser Diskurs, den Medien organisieren, ist ein unverzichtbares Korrektiv und darüber hinaus auch der Garant für gute Unterhaltung“, sagt Philipp Köster. Tanjev Schultz kommentiert im neuen „medium magazin“ den Impuls – und Köster reagiert.
Der Impuls von Philipp Köster
„Weite Teile des Fußballestablishments haben für unabhängigen Journalismus nicht einmal mehr Verachtung übrig. (…) Kritische Nachfragen und unabhängige Berichterstattung sind unerwünscht. Wer hingegen kuschlige Erkundigungen vorbringt und brav die PR-Narrative weiterverbreitet, darf in die Küchen und Wohnzimmer der Stars und deren Plattitüden mit serviler Note (‚Gänsehaut!‘) kommentieren. (…) Dahinter steht die schon vielfach in Klubs und Agenturen gehörte Überzeugung, dass es eigentlich auch ohne die Medien ginge. Was natürlich sehr bequem wäre, nur leider nicht funktioniert (…). Weil zu einer lebendigen Fußballkultur auch der offene Dialog mit der Gesellschaft gehört, der manchmal auch anstrengend und enervierend sein kann, weil Nichtigkeiten zu großen Schlagzeilen aufgeblasen oder falsche Gerüchte für bare Münze genommen werden. Aber dieser Diskurs, den Medien organisieren, ist ein unverzichtbares Korrektiv und darüber hinaus auch der Garant für gute Unterhaltung.“ (Aus „11 Freunde“ am 9.5.2025)
Der Kommentar von Tanjev Schultz: Dann spielt mal schön
Fußball ist ein Milliardengeschäft – und die Medien mischen kräftig mit. Spiele werden zu Dauerwerbesendungen, Interviewer mutieren zu Mikrofonständern. So schafft sich der Journalismus sein Stadionverbot selbst.
Es ist ja nicht besonders überraschend, dass Fußballfunktionäre es am liebsten haben, wenn die Presse zahm und brav ist. Das haben sie mit vielen Akteuren in der Gesellschaft gemein, ob es Politiker, Showstars oder die Manager großer Konzerne sind. Was im Sport und speziell im Fußball ein bisschen anders sein könnte als in anderen Branchen und was Philipp Köster in seiner ansonsten sehr berechtigten Klage noch stärker berücksichtigen könnte: Die Medien sind zu großen Teilen selbst schuld. Zu viele Journalistinnen und Journalisten degradieren sich freiwillig zu PR-Nachbetern.
Shocking News: Eine gute Gesellschaft ohne Fußball ist möglich, ohne unabhängigen Journalismus nicht. Einen schweren Stand haben jene, denen das sehr bewusst ist, die aber trotzdem große Freude daran haben, wenn 22 Menschen kunstvoll einem Ball nachjagen. Viele mediale Beiträge lösen kleine oder große Qualen aus, es tut manchmal richtig weh. Bereits jedes Mal, wenn ein Reporter dem schwitzigen Stürmer eine dusselige Frage stellt („Wie fühlen Sie sich nach dieser Niederlage?“, „Wieso haben Sie diese Chance nicht genutzt?“), und jedes Mal, wenn simpelste Sachverhalte des Sports zu Menschheitsrätseln aufgebauscht werden („Wie wichtig ist mentale Vorbereitung?“), zwicken die geschundenen Nerven. Dann aber kommen erst die echten Grausamkeiten: die Homestorys und Dating-News zu „unseren“ Ballathleten und ihren sogenannten „Spielerfrauen“ (lesen Journalisten ihre Beiträge abends eigentlich ihren „Schreiberfrauen“ vor?). Und natürlich der ganze Profi-Profit-Rummel, den viele Medien willfährig mitmachen.
Die Kolumne“einerseits…andererseits“

„Süddeutschen Zeitung“. Zu seinen Schwerpunkten in Lehre und Forschung gehören Qualität und Ethik des Journalismus.
Foto: JS Uni Mainz
Es sitzt tief drin und geht nicht weg: „einerseits“ und „andererseits“ haben im Journalismus nicht viel verloren. Entscheide dich, sei stark in deinem Urteil – und bitte kein Wischiwaschi! So lernen es viele Journalistinnen und Journalisten in ihrer Ausbildung. Wir meinen: Schluss damit. Gerade medienethische Debatten brauchen mehr Mut zur Mehrdeutigkeit, eine größere Freude an der Differenzierung – und keine Kapitulation vor der Komplexität. Die Kolumne „einerseits … andererseits“ greift deshalb Impulse aus der Branche, von Expertinnen und Andersdenkenden auf. Und arbeitet sich im Kommentar nicht an den schwächsten, sondern an den stärksten Argumenten der anderen ab. Weil wir es komplex mögen, bitten wir den Impulsgeber oder die Impulsgeberin vor der Veröffentlichung um eine Reaktion – die wir ebenfalls abbilden.
Warum lassen es sich die Sender gefallen, dass sie Spieler und Trainer vor lächerlichen Stellwänden mit zugepflasterten Logos und Firmennamen interviewen müssen? Wieso blenden sie nicht „Dauerwerbesendung“ ein, wenn sie Spiele mit Bandenwerbung übertragen? Weshalb sprechen auch Journalisten von „Allianz Arena“ oder „Signal Iduna Park“, anstatt kurz und treffend vom Stadion in München oder Dortmund zu reden, gern auch vom Westfalenstadion? Haben sie Angst davor, dass Uli Hoeneß orange anläuft und die Medien bestraft wie Donald Trump die wackeren Rebellen, die seinen „Golf von Amerika“ weiterhin Golf von Mexiko nennen? Wie schlapp kann man sein?
Sich nicht zum Komplizen des Kommerzes zu machen, sollte bedeuten, tiefer zu bohren, um das Geschäftsgebaren der Spieler und Vereine ans Licht zu holen – und natürlich auch das Geschäftsgebaren von DFB, Uefa und Fifa. Zum Glück hat es dazu in den vergangenen Jahren durchaus einige gute Recherchen gegeben. Oft wirkt es allerdings so, als liefen sie in einer Parallelwelt. Der Rest des Medienbetriebs lässt sich davon seine gute Laune nicht verderben – und schon gar nicht das exklusive Interview mit Stars, die nicht verärgert werden dürfen. Wenn Journalistinnen und Journalisten sich selbst so klein machen, ist es kein Wunder, dass die Mächtigen des Sports auf sie herabschauen.
[…]
Den ganzen Kommentar von Tanjev Schultz und wie Philipp Köster darauf reagiert, lesen Sie im neuen „medium magazin“ 03/25.
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