Medium Magazin 04/25
EDITORIAL / Frederik von Castell, Chefredakteur
Eine Branche in ständiger Probezeit
KI-Player gefährden die Geschäftsmodelle der Medien. Die finanzielle Unsicherheit müssen vor allem die Jungen ausbaden.
Journalismus, lohnt sich das echt? Warum soll man als junger Mensch in diese Branche? Werden Journalistinnen oder Journalisten solche Fragen gestellt, meldet sich mein innerer Buchmacher blitzschnell und schießt Gewinnquoten durch mein Hirn. Die Phrase, auf die ich wette: „… weil es der schönste Beruf der Welt ist“. Ich gewinne fast immer. Den kleinen Satz vom schönsten Beruf der Welt habe ich selbst schon oft genutzt. Das habe ich mir jetzt verboten.
Nicht falsch verstehen: Ich empfinde genauso. Aber diesen Satz vorzuschieben, wischt Zweifel weg – die fremden wie die eigenen. Idealistische Formeln helfen niemandem, der mit unsicheren Perspektiven hadert. Stattdessen täuschen sie darüber hinweg und tragen dazu bei, dass viele zermürben, weil sie trotz finanzieller Unsicherheit ihr Glück im Journalismus suchen.
Befristungen sind kein Naturgesetz
Was vor allem der Nachwuchs erlebt, hat System – und fängt schon bei Praktika an. Wo war der Aufschrei im Sommer, als Oskar Vitlif zeigte, dass die meisten Praktika in unserer Branche immer noch gar nicht oder kaum bezahlt werden? Und – wir packen uns da an die eigene Nase – warum war und ist das nicht ständig Thema, bis sich etwas ändert?
Die Frage gilt auch für unsere Titelgeschichte dieser Ausgabe. Jede Wette: Sie kennen Kolleginnen und Kollegen, die trotz Qualifikation nur befristet angestellt wurden. Vielleicht haben Sie selbst erlebt, wie aus einem Einjahres- ein Kettenvertrag wurde. Unsere Recherche zeigt: Für Junge sind befristete Stellen nicht Ausnahme, sondern Regel. Viele kennen es gar nicht anders. Die Branche lädt ihre Unsicherheit auf dem Nachwuchs ab – und schadet sich selbst: Nicht Angst und Ideale tragen Redaktionen durch Krisen, sondern Talent und Perspektiven.
Alles hängt mit allem zusammen
Eine Kritik à la „Medienhäuser sind geizig“ griffe aber viel zu kurz. Denn beneidenswert ist die Lage vieler Verlegerinnen, Medienmanager und auch Chefredaktionen wirklich nicht. Die Haltbarkeit der Geschäftsmodelle sinkt rapide, weil die Spielregeln sich immer rasanter verändern: Mit einem einzigen Feature mäht Google binnen weniger Monate ganze Reichweitenalleen einfach um. Was gestern noch als „KI-sicher“ galt, wankt heute unter der Antwortmaschine AI Overviews. Google krallt sich mit den blitzschnell im Alltag angekommenen KI-Zusammenfassungen nicht nur News, sondern kann jetzt auch Service – und der Traffic zu Verlagsinhalten leidet. Der Journalismus wird auch das überleben; aber wer sich nicht anpasst und auch wehrt, verliert weiter. Wir zeigen, welche Antworten deutsche Medienhäuser parat haben, und richten den Blick auf Strategien in den USA, wo neue Bots und Features oft früher einschlagen.
Als Magazin für Journalistinnen und Journalisten bleibt unsere Linie zu KI: Risiken benennen, Chancen nicht verkennen. In unserer Praxisstrecke finden Sie deshalb Teil 1 unserer neuen Serie „KI konkret“: Dort zeigen Kolleginnen und Kollegen ihre Lieblings-Prompts bei ChatGPT und Co. Von den individuellen Morgen-News als Song über den BlaBla-Score der eigenen Texte bis zum Recherche-Hack, um an Mail-Adressen zu kommen, ist alles dabei.
Vor allem Chefredakteurinnen, Textchefs und Redaktionsleitungen empfehle ich David Selbachs Text. Wir waren uns in der Redaktion schnell einig: Von seinen zehn Hacks, mit denen er totgeglaubte Artikel reanimiert, können wir uns eine Menge abschauen. Außerdem möchte ich Ihnen auch den Beitrag von Anna-Theresa Bachmann ans Herz legen. Sie hat mit reflektierten Investigativ-Profis und einem mutigen jungen Mann, der vom Protagonisten zur Zielscheibe wurde, herausgearbeitet, was es braucht, um „Protas“ echten Rückhalt zu geben.
Ihre Mithilfe ist gefragt
Lassen Sie uns bitte wissen, was Sie an dieser Ausgabe gut fanden und was wir besser machen müssen – über die Socials oder an redaktion[at]mediummagazin.de. Wie immer gilt: Lob tut gut. Kritik bringt uns weiter.
Und: Bis zum 1. November 2025 sammeln wir Ihre Vorschläge für die Wahl zu den „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“. Sie können Ihre Favoritinnen und Favoriten jetzt nominieren: mediummagazin.de/jdj25
Herzlich
Ihr Frederik von Castell
Lesen Sie jetzt im neuen medium magazin 04/25:
Titelthema: An der Kette. Befristete Verträge werden zur Regel. Dabei zermürben sie vor allem Talente.
Medien und Beruf: Unbezahltes Praktikum. 55 Prozent der Medien zahlen für Praktika: nichts. Wie Oskar Vitlif das herausgefunden hat. Geld. Wie man als Freier kalkuliert und was man pro Tag und Text verdient? Darüber redet kaum einer. Also tut es Marius Elfering. Klima. Die Branche hinkt ihrer Verantwortung hinterher. Dabei kann jede und jeder einen Beitrag leisten. Patreon. Medienschaffende zeigen, wie sie die Plattform nutzen und was sie verdienen. AI Overviews. Wie sehr schaden Googles KI-Zusammenfassungen den Verlagen? Mit welchen Strategien reagieren US-Publisher? EPC. KI dominiert die Innovations-Trends in Europas Redaktionen. Rückhalt. Was es braucht, damit Protagonisten nicht zur Zielscheibe werden.
Rubriken: Kurz & bündig und Köpfe & Karrieren. Das tut sich in der Branche. Quellencheck. Ist Köln echt einsame Spitze? Presserecht. Welche Quellen sind privilegiert sind? Innovationscheck. Das ist CampfireFM. Kiosk. Welche Medien Freie suchen. Kurznachrichtendienst. Gavin Karlmeier kommentiert, was sich bei Meta, X und Co tut. Einerseits … andererseits. Sollten „User Needs“ wirklich im Mittelpunkt stehen? Fragebogen. Dominik Stawski: „Gutes Geschäft, guter Journalismus.“
Praxis: Zeigt her eure Prompts! KI-Tricks für besseres Arbeiten. Toolbox. Finde die Tippfehler. Texte retten. 10 Hacks vom Profi David Selbach. ChatGPT als Factchecker. Werkstatt-Interview mit Patrick Bernau (FAS).
Um Praxis geht es auch in der neuen „Journalisten-Werkstatt“ von Marius Elfering Frei arbeiten und gut leben. Die „Werkstatt“ liegt im „medium magazin“-Abonnement gratis bei. Einzeln ist sie zudem im Shop erhältlich.