Was nun, Herr Weimer?

Text: Christian Meier und Stephan Weichert
Wer Wolfram Weimer zu Gesicht bekommen will, muss keine der öffentlichen Veranstaltungen besuchen, die der neue Staatsminister für Kultur und Medien nahezu täglich bestreitet. Es braucht auch keinen persönlichen Termin mit dem ehemaligen „Welt“- und „Cicero“-Chefredakteur, was sich ohnehin schwierig gestaltet. Denn es gibt eine digitale Kopie Weimers. Sie spricht angeblich hundert Sprachen und schläft nie. Der „Weimatar“, erklärte der KI-Klon des Staatsministers sich selbst in seiner ersten Ansprache, sei „kein Deepfake“, sondern ein „politisches Experiment“.
Das sagen manche auch über das Original: Wolfram Robert Wilhelm Weimer, 1964 geboren im hessischen Gelnhausen, ist kein Berufspolitiker, aber ein überraschend Berufener. Seit Friedrich Merz ihn Anfang Mai zum Staatsminister machte, fordert Weimer Reaktionen und Redaktionen heraus. Für manche im links-grünen Lager stand sofort fest: Weimer ist eine Fehlbesetzung. Eine online hektisch verbreitete „Petition“ setzte sich zum Ziel, Weimer zu verhindern, und charakterisierte den bisherigen Verleger der Weimer Media Group mit Wohnsitz Tegernsee als „westdeutschen konservativen Verleger ohne einschlägige Kulturarbeitserfahrung“. Rund 70.000 digitale Unterschriften sammelte diese eher unterkomplexe Kritik.
Doch selbst aus dem konservativen Lager gab es eine viel beachtete Breitseite. FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube kam zu dem Ergebnis, Weimer sei „der falsche Mann am falschen Platz“. Kaube polemisierte in seinem Text: „Weimer ein Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen, wäre spekulativ.“ Weimer lasse Stallgeruch vermissen, einen direkten Draht ins bundesdeutsche Kulturmilieu, den seine unmittelbare Vorgängerin Claudia Roth durch ihre Vita als Musikmanagerin der West-Berliner Punkrockband „Ton, Steine, Scherben“, aber auch als glühende Bürgerrechtlerin vorweisen konnte.
FAZ-Mann Kaube war nicht der Einzige, der aus der Tiefe des Raumes schoss: Viele nahmen Friedrich Merz übel, dass er seinen angeblichen „Golf-Buddy“ (was nicht stimmt und richtiggestellt werden musste) und Villennachbarn am Tegernsee (die „Villa“ entpuppte sich als kleines Seehäuschen) ins Amt hob, für das es – aus Sicht der Kritiker – doch reichlich qualifiziertere Anwärter gegeben habe, etwa den ehemaligen Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU), die kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Christiane Schenderlein, oder auch den Hamburger SPD-Senator Carsten Brosda.
Andere Kritiker wiederum fanden, Weimer verharmlose die Bedrohung von rechts, zuweilen agiere er polarisierend, da ihm in seiner publizistischen Vergangenheit häufiger erzkonservative Ansichten entglitten seien. Ein Beleg für viele: das 2018 von Weimer veröffentlichte „Konservative Manifest“ – das Weimer, wie er später bekannte, heute „anders schreiben“ würde. Sich selbst positioniert der neue Kulturstaatsminister, der als Publizist gern gesehener Talkshow-Gast war, in einem Podcast so: „Ich bin ein bekennender Wertkonservativer. Ich bin aber in den meisten akuten politischen Fragen ein Liberaler.“ Und war es nicht anrüchig, dass da ein Zeitschriftenverleger und Medienmanager plötzlich in die Politik „rübermacht“, ohne von sich aus die damit verbundenen möglichen Interessenskonflikte zu thematisieren? Immerhin: Er legte die Geschäftsführung der Weimer Media Group Ende April nieder; alleinige Verlegerin ist nun seine Frau Christiane Goetz-Weimer.
Während sich die Mehrheit der Kritiker eifrig am Kulturverständnis Weimers abarbeitete, wurde der gescholtene Seiteneinsteiger längst tätig in Sachen Medienpolitik, sagt Wolfram Weimer gegenüber dem „medium magazin“:
„Ich habe die Medienpolitik bereits in den ersten Monaten zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit gemacht. Aus dem Kulturstaatsminister ist aus Sicht vieler erstmals auch ein Medienstaatsminister geworden.“
In seinem Umfeld herrschte Verwunderung über die Schärfe der Kritik – gerade aus der Medienbranche. Denn der neue Staatsminister sei doch gewissermaßen einer der ihren, könne deren Interessen wahrnehmen, mehr noch als seine Vorgängerinnen.
Nun hat sich der parteilose Weimer ein halbes Jahr in diese Politikerrolle hineingefühlt. Seither hat sich der Ton etwas gelegt, auch wenn der „Spiegel“ in einem großen Porträt kolportierte, Weimer sehe sich als „Propagandaminister von Merz“, und die Frage stellte: „Ist Wolfram Weimer mehr Schein als Sein?“ Ein für das kommende Jahr geplanter Rekordetat von 2,5 Milliarden Euro spricht allerdings für Weimer.
Tatsächlich äußert sich Weimer – ganz im Stil meinungsgetriebener Publizisten, die es gewohnt sind, sich pointiert zu jeder Tag- und Nachtzeit zu einem beliebigen Thema zu Wort zu melden – derzeit häufig. Erkennbar aus eigenem Antrieb, aber auch, weil er gefragt wird. Medien, so sehr sie Weimer inhaltlich kritisieren mögen, wissen schließlich, was sie von einem gelernten Journalisten geliefert bekommen: druckfähige Statements. Ob nun zum Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zur Migrationsdebatte oder zur Cancel-Culture beim Eurovision Song Contest.
Solche Einlassungen seien übergriffig, urteilen wiederum Weimers Kritiker. Der DJV kritisierte Weimer besonders scharf: Bundesvorsitzender Mika Beuster nannte dessen Wortmeldungen „gravierende Kompetenzüberschreitung“ und einen „Eingriff in die Rundfunkfreiheit“. Eine Ausstellung von Jan Böhmermann im Haus der Kulturen der Welt (HKW) geriet zum (programmierten) Politikum. Weimer, der als eine seiner wichtigsten Aufgaben den Kampf gegen Antisemitismus begreift, verurteilte einen geplanten Auftritt des Rappers Chefket im HKW, das über die Kulturstiftung des Bundes finanziert wird, dessen Stiftungsrats-Vorsitz Weimer innehat. Der Auftritt des Rappers am 7. Oktober wurde schließlich abgesagt.
Medienpolitische Insider wie Eva Flecken, Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, attestieren Weimer einen großen Gestaltungswillen, Medienpolitik genieße bei ihm einen hohen Stellenwert. Entscheidend sei aber das gute „Ineinandergreifen“ von Bund und Ländern, die letztlich den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum hätten. Am Föderalismus führt nichts vorbei – ohne Taktung zwischen Bund und Ländern bleibt Medienpolitik Stückwerk. Sie sehe „große Tatkraft und Gestaltungswillen bei den Bundesländern“ und hofft: „Möge es so bleiben, damit wir gemeinsam an einem Strang zur Sicherung unseres demokratischen Diskursraums ziehen können.“
Noch sei es zu früh für ein abschließendes Urteil, sagt Table.Media-Verleger Sebastian Turner und fordert eine Schonfrist: „Die größte Baustelle derzeit ist die Zersetzung der demokratischen Gesellschaft und der freiheitlichen Marktordnung durch die Digitalmonopolisten“, meint er. Weimer erkenne und adressiere dieses Problem auf eine gute Weise. Auch netzpolitik.org-Gründer und Digitalaktivist Markus Beckedahl zeigt sich geduldig – noch:
„Bisher höre ich viel Meinung und bin gespannt auf die konkreten Umsetzungen.“
Philipp Welte, noch bis Ende des Jahres CEO von Burda Media und Vorstandschef des Medienverbands der freien Presse (MVFP), lobt gar Weimers „klares Verständnis für die Bedrohung der freien Presse“. Doch das sehen nicht alle Befragten so.
Der von Weimer im Juni 2025 in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ geäußerte Gedanke, die „freiheitsfeindliche Übergriffigkeit der Linken“ habe „in der Cancel-Culture ihr aggressives Gesicht“, wurde heftig attackiert. Taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann:
„Weimer scheint ernsthaft beseelt von der Idee zu sein, rechtsradikale Diskurse aufzugreifen, um sie zu verbürgerlichen und dadurch aus seiner Sicht unschädlich zu machen.“
Dies sei ein „Zeichen von Selbstüberschätzung und wird nach hinten losgehen“, sagt sie. Mit einer „Rückbesinnung auf die Werte der Aufklärung“ können aber selbst diejenigen wenig anfangen, die einen Vertrauensvorschuss gewähren. Weimer „könnte den interessantesten und relevantesten Job haben, den jemals jemand in dieser Position hatte“, sagt der Münchner Medienunternehmer Marcus von Jordan. Allerdings:
„Bis jetzt habe ich ihn nur wahrgenommen, weil meine Bubble sich über irgendwelche peinlichen Kulturkampfaktionen von ihm aufgeregt hat. Davon fühle ich mich etwa so gut vertreten wie von Nachbars Katze.“
Weimer ist mal Vermittler, mal Agent Provocateur. Und einer, der gerne Duftmarken setzt. Eine Art Masterplan für das Wohl und Wehe von Deutschlands Medienlandschaft wird daraus nicht automatisch erkennbar – obwohl die Erosion journalistischer Geschäftsmodelle durch KI und Co, die darbende Filmbranche oder die durch immer mehr Desinformation und Deepfakes verseuchte Medienöffentlichkeit nach mehr als ein paar kernigen Einlassungen schreien.
Aber kann Weimer das alles leisten und fallen alle diese Aufgaben überhaupt in seine Zuständigkeit?
[…] den gesamten Beitrag lesen Sie im „medium magazin“ 05/2025
 Lesen Sie jetzt im medium magazin 05/25:
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Titelthema: Was nun, Herr Weimer? Der Staatsminister zeigt sich meinungsfreudig, die Branche aber erwartet Handfestes. Eine Inspektion der vier medienpolitischen Großbaustellen..
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