Christine Meltzer: „Medien bilden Femizide zu oft als Einzelfall ab“

Kommunikationswissenschaftlerin Christine Meltzer hat zwei Reports zur Femizid-Berichterstattung veröffentlicht. Foto: Alicia Ernst
Junior-Professorin Christine Meltzer hat zwei Reports zur Femizid-Berichterstattung veröffentlicht. Foto: Alicia Ernst 

Christine Meltzer ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Junior-Professorin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Sie forscht dazu, wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten. Wird die Berichterstattung dem gesellschaftlichen Problem gerecht? Dieses Interview ist Teil des Beitrags „Wenn Schlagzeilen Frauenleben gefährden“ im neuen medium magazin 05/25. 

Interview: Olivia Samnick


Seit Jahren berichten Medien immer häufiger zu #metoo, Machtmissbrauch und eben auch zur Tötung von Frauen aus geschlechtsspezifischen Gründen. Wieso müssen wir trotzdem noch genauer hingucken?

Christine Meltzer: Ich bin selbst ein gutes Beispiel. Im Jahr 2016 wurde zum ersten Mal die polizeiliche Kriminalstatistik spezifisch für Partnerschaftsgewalt in Deutschland ausgewiesen. Ich war vollkommen überrascht von dem Ausmaß und davon, so wenig zu wissen. Dabei bin ich Kommunikationswissenschaftlerin! Daran müssen die Medien schuld sein, dachte ich.

Was sind denn die größten Knackpunkte bei Medienberichten?

Es gibt ein Klischee, das sich wacker hält: Ich wurde gewarnt vor dem Fremden im Park, der mir auflauert. Mir wurde aber nie gesagt, dass statistisch gesehen die größte Gefahr für mich als Frau beginnt, wenn ich meine eigene Haustür aufschließe. Das bildet die Medienberichterstattung nicht ab. Im drastischsten Fall tötet ein Mann eine Frau. Solche Femizide sind keine Einzelfälle. Doch oft wirkt das in den Medien so dargestellt und nicht wie ein strukturelles Problem, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist.

Sie haben zwei Reports zur Berichterstattung zu Femiziden herausgebracht. Im Vergleich der Jahre 2021 und 2024 hat sich wenig in der Medienlandschaft verbessert. Wie erklären Sie sich das?

Ich bin davon ausgegangen, dass sich mehr getan haben muss. Es gab ja schon vereinzelt Positivbeispiele online und im Print. Insgesamt sind es jedoch lange Umlernprozesse in Redaktionen und keine Angelegenheit von zwei, drei Jahren. Und es hat sich gezeigt: Es braucht dringend das Feedback vom Publikum als Ansporn.

Wie kommt das Publikum bei Femizidberichten ins Spiel?

Das Publikum lernt durch eine Reihe von Einzelfallberichten über das Problem der Femizide. In sechs von zehn Fällen bleibt es in Medienberichten zu Gewalt gegen Frauen generell bei einem reinen Einzelfallbericht. Medienwirkungsstudien zeigen, dass das Publikum dadurch lernt, die Verantwortung auch nur beim Einzelnen zu sehen. Das ist dann der gewaltausübende Mann oder schlimmer noch: das Opfer.

Stichwort Victim Blaming.

Genau. Entsprechend fällt bei der Opfer-Täter-Umkehr das Feedback aus: Sie hätte sich ja mal einen besseren Mann suchen können. Sie hätte früher gehen sollen. Solche Kommentare liest man dann auch öfter auf Social Media. Wenn man dagegen strukturell berichten würde, sähe das Medienpublikum die Verantwortung zur Lösung über die Einzelperson hinaus bei Gesellschaft und Politik.

Wie sieht eine Medienberichterstattung aus, die Femizide als strukturelles Problem benennt?

Wie häufig passieren Femizide denn? An welchen Stellen wird zu wenig für Prävention getan? Wieso gibt es zu wenig Plätze in Frauenhäusern? Das muss in Berichten stehen. Außerdem gibt es einen überproportionalen Fokus auf Tötungsdelikten in den Medien. Das liegt an der Medienlogik per se: Man liest generell mehr über Ereignisse mit großem Schaden. Das heißt, brutale Frauentötungen werden schneller für einen Bericht ausgewählt. Allerdings hat das in Bezug auf Partnerschaftsgewalt gravierende Konsequenzen.

Die da wären?

Femizide sind die allerletzte Eskalationsstufe von Partnerschaftsgewalt. Das kommt nicht aus dem Nichts, es gibt Vorstufen, die als Signale gelten können: Psychische Gewalt, mildere körperliche Gewalt, das Kontrollieren von Finanzen, das Kontrollieren von Freundeskreisen, das Einsehen von Handys und weiteres. Ich kenne Gespräche aus dem Opferschutz, da wussten Frauen nicht, dass sie Partnerschaftsgewalt erleben. Sie dachten, der Mann müsste ihnen erst mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben, denn das hört man ja aus den Medien. Mit dem ersten physischen Angriff auf eine Frau sinkt ihre Chance, da heil herauszukommen.

Es braucht also ein Umdenken, was als berichtswürdig gilt.

Ja. Würden Medien auch über die Vorstufen berichten und Statistiken einordnen, kämen sie eher ihrem Auftrag nach, die Gesellschaft zu informieren und zu sensibilisieren. Das fehlt noch zu oft, es geht aber auch anders.

[…]  Leitfäden und weitere Ressourcen zur Femizid-Berichterstattung gibt es hier. Dieses Interview ist Teil des Beitrags „Wenn Schlagzeilen Frauenleben gefährden“ im neuen medium magazin 05/25.  


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