Das System Befristung

 

In etlichen Redaktionen können neue Angestellte nur für ein Jahr unterschreiben. Den Nachwuchs trifft es besonders. Viele junge Journalistinnen und Journalisten berichten davon, anschließend in zermürbenden Kettenbefristungen zu landen, verbunden mit leeren Versprechungen. Ein System, das Karrieren verbaut und Lebensentwürfe zerstört – und die Qualität des Journalismus gefährdet. Die ganze Titelgeschichte und vieles mehr lesen Sie im neuen „medium magazin“.

Text: Anne Hünninghaus und David Selbach


Als taz-Redakteur Ralf Pauli Anfang des Jahres über befristete Verträge an deutschen Universitäten schrieb, sollte das ein Weckruf an den Wissenschaftsbetrieb sein. Die Berliner Redaktion prangerte prekäre Stellen und Dauerprojekte ohne Sicherheit an. Pauli beschrieb eine Welt, in der selbst hochqualifizierte Nachwuchstalente nach Jahren der Ausbildung und gefeierten Publikationen auf Vertragsverlängerungen warten müssen, von Semester zu Semester. Und er hat recht: In der Wissenschaft sind solche befristeten, wackeligen Jobs ein strukturelles Problem. Gut, dass Journalisten wie Pauli darauf aufmerksam machen.

Kurios ist aber, dass der Blick auf die eigene Branche oft ausbleibt – obwohl er dieselben Probleme offenbart. Studien zeigen: Der Anteil befristeter Verträge im Journalismus in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt. Dem Hans-Bredow-Institut zufolge stieg der Anteil von 7,3 Prozent im Jahr 2014 auf 14,5 Prozent im Jahr 2023. Damit sticht die Berufsgruppe heraus. 2024 waren in Deutschland insgesamt nämlich nur 7 Prozent der Arbeitnehmer ab 25 Jahren befristet beschäftigt.

Besonders hart trifft es junge Journalistinnen und Journalisten: 54 Prozent aller festangestellten Medienschaffenden unter 30 arbeiten laut einer Studie des Netzwerks Recherche auf befristeter Basis. Zum Vergleich: Bei den über 50-Jährigen sind es lediglich 4 Prozent.

„Befristete Verträge sind in diversen Redaktionen bundesweit eine gängige Praxis, gerade beim Berufseinstieg“, sagt Danica Bensmail von der Verdi-Fachgewerkschaft Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). „Und das, obwohl Redaktionen immer wieder Probleme haben, Leute zu finden. Insbesondere dann, wenn sie außerhalb großer Metropolen, wie Berlin oder Hamburg, sitzen.“

Und die taz, die die Zustände im Hochschulbetrieb zu Recht kritisiert? Schreibt Stellen selbst gern als zunächst befristet aus. Wer in die Redaktion will, braucht auf der „Jobs“-Seite der Zeitung gar nicht erst zu schauen. Der Einstieg in die heiligen taz-Hallen läuft über die Ochsentour, die ein Redakteur schon vor mehr als zehn Jahren im taz-Hausblog beschrieb: zuerst ein Praktikum, dann freie Mitarbeit, irgendwann vielleicht eine befristete Vertretungsstelle, weil jemand in Elternzeit geht oder ein Buch schreibt. Und nur wer dann zur rechten Zeit am rechten Ort ist, kommt rein. Auf Anfrage widerspricht die taz-Geschäftsführung der Darstellung nicht grundsätzlich, stellt nur klar: Eine feste Policy zu befristeten Stellen gebe es nicht, und man schreibe keine Stellen aus, die bereits vergeben seien.

„Mich stört die ständige Befristung. Kollegen zittern teilweise noch drei Wochen vor Vertragsende, ob sie einen Anschlussvertrag bekommen.“
REDAKTEURIN (29) im ÖRR

Wir haben junge Journalistinnen und Journalisten gefragt, welche Erfahrungen sie mit befristeten Anstellungsverhältnissen machen. Es stellt sich heraus: Alle sind es gewohnt, dass Verlage, Produktionsfirmen und Rundfunkanstalten sie mit befristeten Verträgen hinhalten, und das nicht selten über mehrere Jahre hinweg – in sogenannten Kettenverträgen. Der Nachwuchs der Branche liegt an der Kette. Ein Redakteur (30) eines großen deutschen Medienhauses gibt zu Protokoll: „Ich hänge selbst in einem befristeten Vertrag fest und höre ähnliche Geschichten von jungen Kolleginnen und Kollegen aus allen Medienhäusern.“ Er würde sich aber wieder auf befristete Stellen bewerben, weil der Arbeitsmarkt nun einmal kaum Alternativen biete.

 


Die Recherche

Die Gesprächspartnerinnen und -partner

Für diese Recherche hat das „medium magazin“ junge Journalistinnen und Journalisten gebeten, ihre persönlichen Erfahrungen mit befristeten journalistischen Stellen zunächst in einem Fragebogen mitzuteilen. Um den Schutz aller Teilnehmenden zu gewährleisten, baten wir die Teilnehmenden, den Grad ihrer Anonymisierung von vornherein festzulegen. Viele der Befragten nahmen das in Anspruch  – aus Sorge, als Nestbeschmutzer zu gelten oder berufliche Nachteile zu riskieren. Um mit weiteren Fragen nicht auf dem Smartphone aufzuploppen, während der Chef direkt daneben sitzt, baten wir die 20 der Redaktion allesamt bekannten Journalistinnen und Journalisten, uns mitzuteilen, ob, wann und wie sie für weitere Gespräche zu erreichen wären. Viele kritisierten ihre Arbeitgeber explizit. Diese Medien haben wir unter Wahrung der Anonymität unserer Gesprächspartnerinnen und -partner teils mehrfach kontaktiert. Die angefragten Arbeitgeber wichen allesamt klaren Antworten aus.


Eine der Personen, mit der wir gesprochen haben, bringt das Dilemma auf den Punkt: Gerade die inhaltlich besonders attraktiven Stellen sind befristet. Und fast alle unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner brennen für ihren Job.

„Das ist ein wirklich toxisches System, das sich selbst am Leben erhält“, sagt Martin Wiens, Mitgründer des Magazins „Neue Narrative“. Seine Redaktion vergebe keine Einjahresverträge, sondern stelle prinzipiell nur unbefristet ein (siehe Interview Seite 24). Andere Unternehmen nutzen laut Wiens aus, dass sie für die meisten trotz allem immer noch ein Traumarbeitgeber sind. Und der Nachwuchs? Muss gute Miene zum bösen Spiel machen, weil am Ende der unsicheren Lehrjahre voller Angst hoffentlich ein fester, gut bezahlter Job winkt. Entsprechend sehen sie aus, die alltäglichen Geschichten, die junge Journalistinnen und Journalisten zu erzählen haben:

Die Producerin aus Berlin

Drei Monate Praktikum, rund zwei Jahre Volontariat – und zur Belohnung? Ein Einjahresvertrag, ausgestellt in der letzten Volowoche. So sah das Angebot aus, das Johanna (Name geändert), Producerin aus einer deutschen Großstadt, auf den Tisch bekam. Das Gehalt war mehr als bescheiden, Überstunden selbstverständlich. Ein Zeugnis stellten die Geschäftsführer erst nach vielfacher Aufforderung aus. „Nicht, dass du dann direkt weg bist“, witzelte der Chef, als sie zum x-ten Mal fragte.25

„Es war das gängige Prozedere, dass jede Person zweimal einen Einjahresvertrag bekommt, bevor der Vertrag entfristet wird.“
REDAKTEURIN (27) bei einer Regionalzeitung

„Es gibt kaum etwas, das so sehr Thema in meinem Journo-Freundeskreis ist und für so viel Druck und Unsicherheit sorgt wie die Art, mit der Redaktionen Befristungen handhaben.“
REDAKTEURIN (28) im ÖRR

„Ich würde mich auch auf befristete Stellen bewerben, weil der Arbeitsmarkt so schwierig ist, dass einem kaum etwas anderes übrigbleibt.“
REDAKTEUR (30) bei einem großen Medienhaus

„Bislang kann ich mir diese Situation noch erlauben“, sagt die heute Anfang 30-Jährige. „Aber spätestens mit 35, wenn das Thema Kinder relevant für mich wird, will ich diese Unsicherheit nicht mehr. Ich brauche eine Stelle, die mir Perspektive gibt.“ Wie beinahe alle Interviewten dieser Recherche will auch Johanna anonym bleiben. Zu groß ist die Sorge, als Nestbeschmutzerin zu gelten, als Querulantin. Viele schaffen es irgendwann doch irgendwie ins System. Diese Chance will niemand aufs Spiel setzen. Dass die Producerin am Ende entfristet wurde, war kein Geschenk, sondern ein hart erstrittener Deal: „Ich wusste, sie brauchen mich mehr, als ich sie brauche. Diesen Umstand habe ich genutzt.“ Doch Johannas Vertrauen in den Arbeitgeber ist zerstört. „Für mich ist klar, dass ich gehe, sobald sich die Chance bietet.“

Die freie Journalistin

Maja (Name geändert) musste schon im Volontariat viel Verantwortung übernehmen, leitete zeitweise die Kulturredaktion in einer hessischen Tageszeitung. Dafür setzte sie immerhin eine Verkürzung des Volo-Zeitraums durch. Danach ging sie in ein anderes Bundesland zu einer Lokalzeitung, bekam aber nur einen Jahresvertrag. Weil dort die schlechteste Arbeitsatmosphäre ihres Lebens geherrscht habe, wechselte sie zu einem Anzeigenblatt. Obwohl man ihre Texte kannte, bestand man auf einer unbezahlten Probearbeit. „Das war entwürdigend“, erinnert sich Maja. Sie wurde auch dort auf ein Jahr befristet. Erst dann hätte sie dauerhaft bleiben können. Doch sie ging.

[…] Die ganze Titelgeschichte und vieles mehr lesen Sie im neuen „medium magazin“.

 


DAS SYSTEM BEFRISTUNG Verträge im Einjahrestakt, mangelhafte Perspektiven: Wie die Branche junge Talente zermürbt und ihre Zukunft gefährdet. KI: Profi-Prompts von Eva Wolfangel & Co. PRAXIS: 10 Hacks zum Retten von Texten. ZIELSCHEIBE: Wie man Protagonisten schützt. AI OVERVIEWS: Was tun gegen Googles Antwortmaschine? Medium Magazin 04/2025 Fotos: AdobeStock/ 優太丸 木戸, Pierre-Yves Massot (Wolfangel)

Lesen Sie jetzt im neuen medium magazin 04/25:

Titelthema: An der Kette. Befristete Verträge werden zur Regel. Dabei zermürben sie vor allem Talente.

Medien und Beruf: Unbezahltes Praktikum. 55 Prozent der Medien zahlen für Praktika: nichts. Wie Oskar Vitlif das herausgefunden hat. Geld. Wie man als Freier kalkuliert und was man pro Tag und Text verdient? Darüber redet kaum einer. Also tut es Marius Elfering. Klima. Die Branche hinkt ihrer Verantwortung hinterher. Dabei kann jede und jeder einen Beitrag leisten. Patreon. Medienschaffende zeigen, wie sie die Plattform nutzen und was sie verdienen. AI Overviews. Wie sehr schaden Googles KI-Zusammenfassungen den Verlagen? Mit welchen Strategien reagieren US-Publisher? EPC. KI dominiert die Innovations-Trends in Europas Redaktionen. Rückhalt. Was es braucht, damit Protagonisten nicht zur Zielscheibe werden.

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