„Es wäre naiv zu glauben, der Journalismus könnte sich aus eigener Kraft retten“
Interview: Wolfgang Scheidt
Bernhard Pörksen, Jahrgang 1969, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Für seine Lehr- und Forschungstätigkeit erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter „Professor des Jahres“ 2008 (Unicum Stiftung) und 2024 den Erich-Fromm-Preis. Seine Essays und Kommentare erscheinen regelmäßig in deutschsprachigen Medien; seit August 2024 verantwortet er vierteljährlich eine öffentliche Blattkritik für den „Spiegel“. Sein aktuelles Buch: „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ (Hanser).
Foto: Albrecht Fuchs
Herr Pörksen, war das Jahr 2025 ein gutes oder ein schlechtes für den Journalismus?
Ein schreckliches Jahr, gezeichnet von einem merkwürdigen Widerspruch: Aufklärerischer Journalismus wird in Zeiten der Erosion von Demokratien wichtiger denn je, aber ist doch seiner Existenz bedroht. Big-Tech-Unternehmen wie Meta, Amazon, Google und Tiktok verbuchen laut Zentralverband der Werbewirtschaft rund 72 Prozent aller Werbeeinnahmen in Deutschland. Die KI-Revolution verwandelt Suchmaschinen in Antwortmaschinen. Das offene Netz ist praktisch Geschichte. Die Null-Klick-Suche viel zu oft bereits Realität. Das heißt: Menschen geben sich mit KI-generierten Zusammenfassungen zufrieden, journalistische Angebote bleiben ungenutzt.
Wie informieren Sie sich selbst? Mit Zeitung und Tagesschau – oder über Feeds, AI Overviews und KI-Audio?
Mit eher klassischen Angeboten. Morgens höre ich den Deutschlandfunk, stöbere durch ein paar Newsletter, nutze Digitalabos – von der „New York Times“ bis zum „Schwäbischen Tagblatt“, lurke ein wenig auf Twitter/X, trotz der Desinformationspolitik von Elon Musk. Bei all dem gilt auch für mich: Ich leide unter einer Überdosis Weltgeschehen, verspüre, wie viele andere Menschen, News-Fatigue, Ukraine-Fatigue, Trump-Fatigue. Und ringe um die Balance zwischen selbstfürsorglicher Abgrenzung und engagierter Weltzuwendung. Ein schwieriger Balanceakt.
„Trump-Fatigue“ – im Oktober kehrten Sie von einer mehrwöchigen Forschungsreise aus den USA zurück und bezeichneten den US-Präsidenten als „einen todernsten Sektenführer“, konstatierten, das Land befinde sich im Feldzug gegen die Meinungsfreiheit.
So ist es. Wir erleben einen noch unverstandenen Großangriff auf den Journalismus – die zentralen Hebel: die Dämonisierung kritischer Medien, Einschüchterung durch Milliardenklagen, die Drohung der US-Regierung, bei Bedarf Sendelizenzen zu entziehen. Hinzu kommt: die direkte Attacke auf einzelne Journalisten, missliebige Comedians, den öffentlichen Rundfunk. Hinzu kommt auch: Die Big-Tech-Branche unterwirft sich. So hat Facebook das Fact-Checking in den USA abgeschafft, Jeff Bezos das Kommentar-Ressort der „Washington Post“ auf eine liberal-libertäre Linie gebracht.
Dabei ist die amerikanische Informationslandschaft eh schon geschwächt.
Stimmt. Lokalzeitungen brechen weg, ganze Regionen werden zu Nachrichtenwüsten – Bedingungen, unter denen der Angriff auf die Pressefreiheit besonders direkt wirkt. Das merkwürdige Paradox: Donald Trump, JD Vance, Elon Musk und andere unterstellen Medien eine „woke Meinungsherrschaft“, während sie selbst für sich reklamieren, die Freiheit der Rede zu verteidigen, aber diese gleichzeitig massiv gefährden. Der neue Autoritarismus kommt antiautoritär daher. Die neue Unfreiheit maskiert sich als Engagement für die Freiheit.
Woran viele Medien 2025 vor allem gearbeitet haben, ist der Einsatz von KI. Wir sehen in vielen Häusern die Flankierung durch neue Tools – aber kaum ein klares Konzept, was KI im Journalismus eigentlich leisten soll.
Medienhäuser werden – ob man dies sinnvoll findet oder nicht – KI nutzen, um Personal einzusparen, Layouts zu produzieren, Texte zu redigieren, zu schreiben etc. Aber auch hier gilt das Transparenzgebot: Wer schreibt? Wer spricht? Das gilt es offenzulegen. Wenn ein Newsletter faktisch von einem KI-Programm generiert wurde, dann arbeitet der Journalismus im Bemühen, Geld zu sparen, an seiner eigenen Abschaffung mit. Denn die Unklarheit über die Identität des Absenders verstärkt die Vertrauenskrise nur weiter.
Welche Fehler aus dem Jahr 2025 sollten wir nicht wiederholen?
Ich denke, es macht – im Bemühen um die Adlerperspektive und die lange Linie der Entwicklung – wenig Sinn, jetzt ein paar einzelne Fehler zu nennen. Das wäre mir zu einfach, zu oberflächlich. Im Kern gilt: Der seriöse Journalismus ist in einen gesellschaftspolitisch noch gar nicht verstandenen Kampf um Autonomie und Aufmerksamkeit verstrickt. Er ist gezwungen, sich an einer zunehmend boulevardesken Aufmerksamkeitslotterie zu beteiligen, deren Regeln von ein paar wenigen Big-Tech-Giganten im Silicon Valley geschrieben und nach Gutdünken geändert werden. Man muss sich als Medienmacher an eine journalismusfeindliche Welt anpassen, ohne sich aufzugeben, ohne die publizistische Substanz zu verlieren – das ist aktuell das dramatisch schwierige Dilemma.
Dann drehen wir das mal um: Wo sehen Sie denn Entwicklungen mit Vorbildcharakter?
Es ist eine wirklich gute Nachricht, dass Medien wie der „Spiegel“ oder die „Zeit“ mit digitalen Abos reüssieren. Bedrückend scheint mir hingegen, dass langfristig vielleicht nur ein paar Branchenriesen überleben und der Lokaljournalismus auch hierzulande schwächer und schwächer wird, der doch demokratiepolitisch eine besondere Bedeutung besitzt. Denn wir wissen: Je vitaler der Lokaljournalismus ist, desto geringer die Korruption, desto intensiver das zivilgesellschaftliche Engagement.
Auch das klingt nicht optimistisch.
Stimmt. […]
Das vollständige Interview mit Bernhard Pörksen lesen Sie im medium magazin 06/2025 . Dort geht es außerdem um:
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