Exiljournalismus: Fluchtpunkt München

Florian Kappelsberger (Mohammed Abu Saif, oben), privat (Balaban, rechts), Lisa Pham (Al-Hetari, links)
Florian Kappelsberger (Mohammed Abu Saif, oben), privat (Maryna Balaban, rechts), Lisa Pham (Mutasem Al-Hetari, links)

Was bedeutet es, von der Heimat verstoßen zu werden und sich in einer fremden Medienwelt neu finden zu müssen? Dem spürt die Reihe „Fluchtpunkte“ aus der ­Perspektive von Exiljournalistinnen und -journalisten nach. Dieses Mal: von München aus. Dieser Beitrag ist in Gänze im „medium magazin“ 02/2025  erschienen.

Text: Olivia Samnick, Lisa Pham, Laurens Greschat & Florian Kappelsberger


München wirkt auf den ersten Blick nicht besonders wirtlich für Medienschaffende aus dem Ausland, die hier neu Fuß fassen wollen: Schon seit Langem sprengt München mit den Lebenskosten den bundesweiten Schnitt, besonders die hohen Mieten fallen seit Jahrzehnten ins Gewicht. Noch heute führt die bayerische Metropole unübertroffen die Liste der Städte mit den teuersten Mieten an (mit 22,08 Euro pro Quadratmeter Ende 2024).

Zwar zählt der Landkreis München Menschen aus 173 verschiedenen Nationen und ist im Landesvergleich mit vielen Zugezogenen aus Kroatien und der Türkei eher divers, trotzdem: Medien, die in einer anderen Sprache als Deutsch berichten oder dezidiert Angebote schaffen, damit auch exilierte Nichtmuttersprachler publizieren können, findet man kaum. Ausnahmen gibt es: Die „Süddeutsche Zeitung“ schuf etwa das Format „Neue Heimat“, in dem geflohene Journalisten aus ihrem Münchner Alltag berichteten.

Es gibt keine fixen Zahlen dazu, wie viele exilierte Journalistinnen und Journalisten in der bayerischen Metropole jährlich hinzukommen. Der Trend dürfte sich analog den zunehmenden Krisen und Kriegen sowie der Bedrohung der Pressefreiheit weltweit entwickeln: So wie viele andere fliehen, müssen auch immer mehr Medienschaffende ins Ausland gehen. Allein 2022 gab es einen Bevölkerungsanstieg von 1,7 Prozent in München durch ukrainische Geflüchtete, darunter Journalisten.
Stellt sich die Frage, was die bayerische Hauptstadt exilierten Medienschaffenden tatsächlich bieten kann. Immerhin gilt München als eine der Medienmetropolen Deutschlands mit Markenriesen wie ProSiebenSat.1, Sky, Sport1 oder dem BR.

Die Chancen der Stadt zeigt etwa die Ini­tiative „Journalisten helfen Journalisten“ (JhJ) bedrohten Journalisten schon seit Langem auf. Seit 1991 hilft der Verein Medienschaffenden von Afghanistan über die Ukraine bis in den Jemen – und hilft auch Kolleginnen und Kollegen, die neu in Deutschland ankommen. Dafür hat das „medium magazin“ JhJ bei den „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ 2023 den Sonderpreis verliehen. Persönlich, unbürokratisch und solidarisch – das uneigennützige, langjährige Engagement würdigte die Jury besonders. 31 Jahre nach der Gründung der Hilfsstelle hat die Arbeit von „Journalisten helfen Journalisten“ nicht an Relevanz verloren, sie nimmt sogar noch zu. Längst ist die bayerische Hauptstadt trotz der Herausforderungen, die sie gerade für Zugezogene birgt, zu einem wichtigen Ort für Medienschaffende aus aller Welt geworden – sie ist ein Fluchtpunkt, an dem diese vor Verfolgung, Krieg oder politischer Unterdrückung Zuflucht finden.

Während die einen von Hilfsangeboten wissen und diese in Anspruch nehmen können, versuchen es die anderen auf eigene Faust.

Ein Journalist aus dem Jemen bemüht sich auch mit Hilfe von „Journalisten helfen Journalisten“ um regelmäßige Aufträge. Ein anderer versucht, bei den Öffentlich-Rechtlichen den Blick Deutschlands auf seine in den Medien heißdiskutierte Heimat Gaza zu weiten. Nicht alle Exil-Geschichten sind erfolgverheißend, wie wir am Beispiel einer Kollegin aus der ­Ukraine erfahren, die sich in München einen Neustart erhoffte – und am Ende weiterzog. Diese Versuche, im Münchner Exil in den Medien anzukommen, zeigen nachfolgende Por­träts.

 

(c) Florian Kappelsberger; Exiljournalist Mohammed Abu Saif

Mohammed Abu Saif

Kontakt
mhmdsaif28[at]gmail.com

Guten Exiljournalismus macht aus:
„Du musst hart arbeiten und Geduld haben“, sagt er. Journalisten hätten eine Verantwortung, Gerüchte und Falschnachrichten zu bekämpfen – gerade mit Blick auf Gaza. Exiljournalisten könnten hierbei eine Expertise mitbringen, die anderen Medienschaffenden fehlt.

Will gerne …
zurück ins Feld, als Reporter in verschiedenen Ländern unterwegs sein, die Welt entdecken. Filme und Dokumentationen produzieren. „Vielleicht will ich auch wieder in Konfliktgebieten arbeiten“, sagt er. Seine Erfahrungen als Kriegsreporter, der Stress, die ständige Gefahr – all das forme den Charakter. „Ich bin es nicht gewohnt, still am Schreibtisch zu sitzen.“

Wünscht sich, …
dass der Krieg in Gaza bald endet. „Die Menschen dort verdienen Frieden, Sicherheit und eine strahlende Zukunft“, sagt er. Er wünscht sich auch das Beste für Deutschland – „das Land, das mir eine Chance gegeben hat, wieder zu leben, als ich schon die Hoffnung verloren hatte“. Zudem wünscht er sich, dass seine Familie und Freunde sicher sind.

 

(c) privat, Maryna Balaban

Maryna Balaban

Kontakt
marynabalaban112[at]gmail.com

Guten Exiljournalismus macht aus:
„Guter Journalismus hängt nicht vom Standort ab. Ein Journalist arbeitet entweder gut oder gar nicht“, sagt Balaban. Themen im Exil seien allerdings andere als im Heimatland. „In seinem Heimatland hat man Autorität. In einem fremden Land hat man das nicht“, sagt sie – und müsse sich deshalb doppelt so viel Mühe geben. „Man hat einen langen Weg vor sich, bevor man wieder in seine Umlaufbahn eintreten kann.“

Will gerne …
Themen behandeln, die mit der ­Ukraine zu tun haben und für ein deutsches Publikum von Interesse sind: „Kinder, die nach Russland verschleppt wurden, oder Ukrainer, die in Gefangenschaft gerieten – ich kenne viele solcher Geschichten.“

Wünscht sich …
eine Chance bei einem Medienunternehmen, um dort dauerhaft zu arbeiten, vielleicht ein Stipendium, um sich in soziale Themen zu vertiefen. Und einen Verein, in dem sich ukrainische Journalisten in Deutschland in Sachen Förderungen, Netzwerken, Kontakten und etwa Stellenangeboten und Kollaborationen austauschen.

 

(c) Lisa Pham, Al-Hetari

Mutasem Al-Hetari

Kontakt
muatasmalhitari[at]gmail.com

Guten Exiljournalismus macht aus:
Das Exil und die Pressefreiheit ermögliche es Journalist:innen wie Al-­Hetari, kritisch, unabhängig und qualitativ hochwertig zu arbeiten. Zudem stärke die Zusammenarbeit mit einheimischen Journalist:innen die Qualität der Berichterstattung.

Will gerne …
weiterhin als Journalist in Deutschland arbeiten und, auch wenn er gerne frei arbeitet, bald eine feste Anstellung finden. Am liebsten bei einem öffentlich-rechtlichen Sender wie BR oder WDR.

Wünscht sich, …
dass er und seine Familie nicht wieder in Gefahr geraten und ein sicheres Leben haben können. Außerdem sollte es mehr Unterstützung für Journalist:innen in Deutschland geben. Die wirtschaftliche Lage ist im Journalismus hart, auch Exiljournalist:innen bekommen das zu spüren. Es gebe kaum Geld, wenig Jobs. Gerade für Exiljournalist:innen sei zudem digitale Sicherheit wichtig. Al-Hetari wünscht sich, dass Exiljournalisten hierbei unterstützt und angeleitet werden.

[…] Ausführliche Portraits zu den drei Exiljournalist:innen lesen Sie in der neuen Ausgabe „medium magazin“ 02/25.


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