Herlinde Koelbl: „Keiner musste für mich eine Show machen“

Ihre Fotos kennt jeder: Herlinde Koelbl fotografierte Angela Merkel, als die damalige Kanzlerin erstmals die berühmte Raute zeigte. Bis heute arbeitet die 85-jährige Koelbl ohne Team und festen Auftraggeber – dafür mit viel Freiheit. Das gesamte Interview können Sie im „medium magazin“ 03/2025 lesen.
Interview: Wolfgang Scheidt
Frau Koelbl, was war Ihre Rettung?
Herlinde Koelbl: In meinem Leben gab es einige solcher Momente. Etwa, als die Fotografie mich gefunden hat und ich die Fotografie gefunden habe. Aber ich würde es nicht Rettung, sondern Liebe nennen.
Mehr als 150-mal haben Sie für die „Zeit-Magazin“-Kolumne „Das war meine Rettung“ die Knackpunkte im Leben Prominenter in kurzen, prägnanten Interviews ausgeleuchtet. Normalerweise nutzen Sie ja die Kamera. Wie kamen Sie zu der Interview-Serie?
Ganz einfach: Die „Zeit“ hatte mich angerufen und gefragt. Ich fand es spannend, dass ich die Menschen, mit denen ich die Interviews geführt habe, alle selbst aussuchen durfte. Das war schön.
Zur Fotografie kamen Sie erst mit 37 Jahren. Wie ist das damals passiert?
Meine Kinder waren im Garten beim Gummihüpfen. Normalerweise schauen Eltern ihren Kindern einfach zu. Ich habe mich dagegen sofort mit ins Gras gesetzt, war auf derselben Ebene – und habe von dort aus fotografiert. So entstanden wunderbare Bilder, an denen man heute noch meine Richtung erkennen kann. Ein Freund sah die Bilder und meinte: „Du bist wirklich talentiert. Ich könnte dir zeigen, wie man Filme entwickelt.“ Das Fotografieren brachte ich mir dann selbst bei und entwickelte schnell eine eigene Handschrift. Als Autodidaktin musste ich keine Vorbilder, keinen Lehrer abschütteln. Von Anfang an arbeitete ich zweigleisig: Einerseits nahm ich Aufträge an, um Geld zu verdienen, andererseits arbeitete ich immer an eigenen Projekten. Das „Deutsche Wohnzimmer“ war mein erstes Buch, ein Thema, das mich interessierte. Dazu fotografierte ich Menschen aus allen Schichten – eben in ihren Wohnzimmern. Hinzu kamen zwei, drei prägnante Sätze über ihre Lebens- und Wohnphilosophie. Viele Leute fanden es langweilig. Aber ich blieb dabei. Das Buch und die Ausstellung waren wie ein Augenöffner: Ein Wohnzimmer kann so unterschiedlich eingerichtet sein, Möbel, Bilder verraten viel über die Personen und ihre soziale Schicht. Zudem gab ich keine Anweisung, was sie tun sollten, alle Menschen konnten sich selbst präsentieren.
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Das gesamte Interview können Sie im „medium magazin“ 03/2025 lesen.
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Für „Spuren der Macht“ fotografierten Sie über acht Jahre hinweg 15 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft wie Heide Simonis, Gerhard Schröder oder Heinrich von Pierer. Welche Personen verstellten sich, wer verhielt sich vor der Kamera authentisch?
Als Politiker will man am nächsten Tag in der Zeitung stehen, doch keiner musste eine Show machen für mich. Denn der Erscheinungstermin des Buchs lag in weiter Ferne. Ich überlegte mir: Wie schaffe ich es, Personen und ihre Veränderung möglichst objektiv über diesen langen Zeitraum zu fotografieren? Zuerst dachte ich daran, die Personen im jeweiligen Zimmer, mit Schreibtisch, teurem Stuhl oder mit einem neuen Bild hinten an der Wand zu fotografieren. Also den Aufstieg zu dokumentieren. Dann dachte ich an einen schwarzen Hintergrund. Schließlich entschied ich mich für eine weiße Wand, einen einfachen Stuhl und sonst nichts.
Warum haben Sie sich für die weiße Wand entschieden? Und was entgegnen Sie Kritikern, die Ihnen vorwerfen, Authentizität zu inszenieren?
Vor einer weißen Wand kann sich niemand verstecken, man sieht nur den Menschen, er ist auf sich selbst zurückgeworfen. Authentizität kann man nicht inszenieren, entweder ist jemand authentisch – oder nicht. Als Gerhard Schröder 1998 Kanzler wurde, hatte ich für meinen jährlichen Fototermin mein Licht im Kanzleramt aufgebaut. Er kam, stellte sich hin und nahm eine Zigarre, hielt sie neben sein Gesicht und die andere Hand war in der Hosentasche. Er zeigte, wie stolz er war, dass er es zum Kanzler geschafft hat. Sein ganzer Körper strahlte es aus, er kam ja von ganz unten. So ein Bild könnte man gar nicht inszenieren. Es ist ein Moment, der aus seinem Inneren kam. Man darf solche Momente nicht durch Anweisungen zerstören. Meine Entscheidung für die weiße Wand war das richtige Konzept. Um alle Veränderungen festzuhalten, hatten wir ein Ritual: Zuerst fotografierte ich immer ein Porträt, dann ein Foto im Sitzen und dann eines im Stehen. Am Ende habe ich mich für das Foto im Stehen entschieden, weil man dort mehr von der Veränderung der Körpersprache sieht.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Als ich die junge Angela Merkel fotografierte, steht sie nur da, lässt die Hände und Arme herunterhängen. Allmählich sieht man, wie sie sich entwickelt und selbstsicherer wird, wie sie Stand- und Spielbein einsetzt. Das zeigt, wie sich Personen selbst darstellen, wenn ich als Fotografin keine Anweisungen gebe. An ihrer Körpersprache sieht man, wie sie an Selbstvertrauen und Erfahrung gewann. Schon 1998 hat Angela Merkel bei mir erstmals die Raute gemacht. Hätte ich ihr Anweisungen gegeben, wäre das nie passiert. Nur weil sie sich wohlfühlte, bei sich selbst war, machte sie die Raute.
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