Ist die Berichterstattung über Nahost einseitig?
Wer über den Konflikt in Nahost berichtet, kann sich eigentlich nur in die Nesseln setzen. Jedem Bericht folgt der Vorwurf, nur eine Sicht in die Welt zu tragen oder zumindest der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht nachzukommen. Auch beim Verband Jüdischer Journalistinnen und Journalisten (JJJ), der sich im November 2024 in Frankfurt am Main gründete, schaut man genauer hin.
Nach dem Attentat auf zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Washington am 21. Mai etwa ging eine Pressemitteilung raus mit dem Titel: „Kein guter Tag für die ARD.“ Kritisiert werden darin „mindestens verunglückte Formulierungen“ wie „jüdische Botschaft“ (es gibt nur eine israelische) und „Krieg gegen Palästina“ (Krieg gegen die Hamas). Die „Tagesschau“ und andere aktuelle ARD-Magazine fordert der Verband zu mehr redaktioneller Aufmerksamkeit und Verantwortungsbewusstsein auf, auch zu mehr internen Schulungen, um „sprachliche Verzerrungen und Entgleisungen zu minimieren“, da sie den Konflikt anheizen könnten, statt ihn zu beruhigen.
Laut Lorenz Beckhardt, Co-Vorsitzender des jüdischen Journalistenverbands und langjähriger WDR-Wissenschaftsredakteur, ist es allerdings nicht so, dass nur die ARD solche „Fehlleistungen“ produziert, was er auf Zeitdruck, mangelndes Hintergrundwissen und die „problematische Quellenlage“ zurückführt. Auch bei anderen Medien erkennt er „sich häufende Einzelfälle von einseitiger, handwerklich schlecht gemachter Berichterstattung“, die sich „langsam zu einem Muster“ fügten. Strukturellen Antisemitismus oder strukturelle Israelfeindlichkeit sieht Beckhardt zwar nicht. Aber das tägliche Trommelfeuer an unüberprüfbaren Meldungen und Bildern von Leid und Zerstörung im Gazastreifen einerseits und von Israels militärischer Potenz andererseits wirke sich auch auf die Berichterstatter aus: „Bei Kindern, die mit leeren Aluminiumschüsseln vor der Kamera klappern, halten irgendwann auch die Nerven der geschultesten Kollegen nicht mehr durch. Da haben wir schon einen gewissen Drall.“
Beckhardts Beobachtungen werden von aktuellen Zahlen der Langzeitforschenden an der Uni Mainz gespiegelt, wonach lediglich 27 Prozent der Befragten angaben, den Berichten über Israel und Gaza „voll und ganz“ oder überwiegend zu vertrauen. Dieser Entwicklung will der jüdische Journalistenverband mit Fortbildungen für Journalisten ganz allgemein zu jüdischen Themen und zum Nahostkonflikt entgegenwirken. Auch eine regelmäßige deutsch-israelische Journalistentagung ist geplant ebenso wie eine Pressereise zu den Stätten des 7. Oktober 2023, um Bewusstsein dafür zu schaffen, wo der aktuelle Krieg in Gaza eigentlich begonnen hat. Anders als in Israel sei das hierzulande aus der Berichterstattung „ein bisschen raus“, sagt Beckhardt.
Im JJJ-Vorstand sind mit ihm die Co-Vorsitzende Susanne Stephan („Focus“) sowie Tamara Land (SWR), Katja Garmasch (WDR u.a.) und Gerald Beyrodt (WDR) als Beirat. Wegen „unerwarteter bürokratischer Hürden“ erfolgte die Eintragung ins Vereinsregister nun Anfang Juni, weshalb erst jetzt mit Aufbau und Finanzierung der Strukturen begonnen werden kann. Das Finanzamt zweifelte, ob ein Verein, dem nur Juden angehören, gemeinnützig sein kann. Restzweifel sollen in einem für Ende Juni verabredeten Gespräch ausgeräumt werden.
Vereinsziel nach innen ist: den Kolleginnen und Kollegen, die wegen ihrer jüdischen Identität Schwierigkeiten haben oder sogar Anfeindungen ausgesetzt sind, Austausch und Beratung anzubieten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Meldestelle RIAS gerade einen Anstieg antisemitischer Vorfälle um 77 Prozent verzeichnet hat. Die JJJ-Spitze erreichen vermehrt Rückmeldungen aus Medienhäusern, wo das Narrativ der jüdischen Weltverschwörung wieder salonfähig zu sein scheint. Lorenz Beckhardt hat das Gefühl, „dass eine junge Journalistengeneration dabei ist, die Lasten der deutschen Vergangenheit mit großem Schwung abzustreifen“. Und er befürchtet, dass der 7. Oktober etwas getriggert hat, „was uns erhalten bleibt, selbst wenn dieser Krieg schon Geschichte ist.“
Text: Senta Krasser

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