Klimathema? Bitte nicht!

Klimajournalistische Beiträge bekommen weniger Sendezeit, rutschen auf den Nachrichtenseiten immer weiter nach unten – und im Print oft ganz aus dem Blatt. Schuld sind die vielen Krisen unserer Zeit.
Text: Sarah Neu, Mia Pankoke und Jeanne Wellnitz
Der Klimajournalismus hat ein Problem. Angesichts von Kriegen, Inflation und zunehmendem Rechtsruck kämpft er um Aufmerksamkeit. Dabei erkennen die Deutschen die Klimakrise durchaus als Bedrohung. Doch viele Menschen sind von all den Krisen seit Covid nachrichtenmüde. Dazu kommt: Die Klimakrise ist abstrakt. Es gibt keinen einzelnen Aggressor, der zum Feindbild taugt, keine einfache Lösung. Und so weisen viele das Megathema Klimakrise leicht von sich, auch Medienmenschen. „Murmelndes Verdrängen“ nannte „Zeit“-Journalist Bernd Ulrich einst die Praxis, sich der Krise durch routinierte Geschäftigkeit zwar zuzuwenden, sie allerdings in ihrer Tragweite dann doch zu ignorieren. Wie kann der Journalismus aus diesem Vakuum ausbrechen?
Zunächst: Bitte keine Panik verbreiten. „Medien stellen den Klimawandel oft zu alarmistisch dar“, sagt Christian von Sikorski. Er ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin und forscht zu Medienwirksamkeit. „Wenn in der Berichterstattung alles zur Katastrophe wird, haben Menschen den Eindruck, alles würde immer nur schlimmer werden – doch einiges wird auch besser“, sagt er.
Aufklärung in Sachen Klima kann nämlich durchaus wirken. So zeigt eine Studie der Universität Hamburg, dass Erklärungen von Profis die Befragten zu effektiverem Klimaschutz bewegten. Ein Beispiel: Privatpersonen haben zunehmend CO2-Zertifikate gekauft und anschließend gelöscht, wodurch die Menge der verfügbaren Emissionsrechte reduziert wurde. Das zwingt große CO2-Emittenten wiederum langfristig dazu, ihre Emissionen zu senken, da weniger Zertifikate verfügbar sind.
Nur muss Klimajournalismus stattfinden, um solche Effekte erzielen zu können. Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Andrew Revkin attestierte dem Klimajournalismus in einem Essay schon 2007 vier Problemfelder, die er „Tyranneien“ nennt: Die „Tyrannei des Neuen“ lasse die Klimakrise mit ihren langfristigen Auswirkungen im Schatten kurzfristiger, sensationeller Ereignisse verschwinden. Die „Tyrannei des Konflikthaften“ verzerre die Berichterstattung, indem sie die Klimafrage zum politischen Streitthema mache, statt parteiübergreifenden Konsens zu betonen. Die „Tyrannei von Raum und Zeit“ lasse komplexe Themen wie den Klimawandel zu oft hinten rüberfallen, da sie nicht in die engen Formate des schnellen Journalismus passen. Und dann sei da noch die „Tyrannei der Balance“ – sie bezieht sich auf die journalistische Praxis der Stimme und Gegenstimme. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Studien belegen, dass der Klimawandel existiert und menschengemacht ist, hat der Klimajournalismus lange von dieser Mechanik gelebt. Immer im Bemühen, neutral zu wirken.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Beatrice Dernbach beobachtet, dass Medienhäuser zunehmend Angst haben, durch Klimaberichterstattung aktivistisch zu wirken. Die Sorge ist berechtigt: „Wir leben in einer hochpolitisierten Gesellschaft, in der nicht konstruktiv diskutiert, sondern gebasht wird“, sagt sie. Schon das Erwähnen von klimatischen Auswirkungen – ein Fakt und keine politische Einstellung – werde als ideologisch oder „linksgrün“ diskreditiert. Ein spezifisch deutsches Problem sei, dass von den großen Parteien einzig die Grünen aus der Umweltbewegung hervorgegangen sind, andere Parteien kaum eigene Lösungen präsentierten. „Das führt dazu, dass viele, die über das Klima sprechen oder schreiben, in eine Linie mit den Grünen gestellt werden. Sie gelten dann als elitäre Träumer, Spielverderber und Gegner wirtschaftlichen Erfolgs.“ Aus Angst, politisch voreingenommen und damit nicht journalistisch objektiv zu erscheinen, fassen Redaktionen das Thema entsprechend mit spitzen Fingern an.
Bei manchen Themen ist vermeintliche Neutralität aber gefährlich. Durch eine kritische Stimme – und die findet sich immer – wird dem Talkshow-Publikum suggeriert, dass es noch Zweifel an der Klimakrise geben könnte. Diese False Balance beobachtet auch Meteorologe und RTL-Wetter-Moderator Paul Heger. Es könne nicht sein, dass in politischen Talkrunden, in denen es etwa um die Energie- oder Verkehrswende ginge, häufig kein Klimaexperte sitze. Wenn ausschließlich Politpromis über Klimafragen diskutierten, ginge es schnell um parteipolitische Ideologien. „Fehlerhafte Aussagen sehe ich zu selten wissenschaftlich eingeordnet“, sagt der RTL-Meteorologe. „Wir dürfen nicht über Feststehendes wie ‚Sind erneuerbare Energien der richtige Weg?‘ diskutieren – dafür haben wir keine Zeit.“
Als Paradebeispiel für solch eine Verzerrung nennt Heger den „CO2-Fußabdruck“. 2006 vom Mineralölkonzern British Petroleum ins Leben gerufen, sollte mit ihm den Menschen gezeigt werden, wie sehr ihre Lebensweise die Umwelt belaste. „Die wenigsten wissen, dass hinter dem CO2-Fußabdruck ein Mineralölkonzern steckt, der es mit diesem Konzept erfolgreich geschafft hat, die Verantwortung für das Klima von sich selbst weg hin zum Individuum zu schieben“, sagt Heger. Unternehmen wie WWF und sogar das Umweltbundesamt sprangen auf, entwickelten eigene Online-CO2-Fußabdruck-Rechner.
Und die Medien? Hegen den charmanten Aufhänger bis heute. So fragte die „Zeit“ 2022: „Welchen CO2-Fußabdruck hinterlässt der Urlaub?“ Und die taz dachzeilte vergangenes Jahr zur Überschrift „Superreich und superschmutzig“ noch: „CO2-Fußabdruck von Milliardär*innen“. Jüngst las man auch bei tagesschau.de erneut, wie Flugreisende „ihren CO2-Fußabdruck verbessern“ können. „Wo sind die Stimmen, die sagen, dass das von British Petroleum erfundene Konzept völliger Quatsch ist, weil es von den großen Stellschrauben ablenkt?“, wundert sich Meteorologe Heger.
Aufklärung allein bewirkt jedoch keine Veränderung. Vor allem jetzt, da die Klimakrise nicht mehr die Hauptsorge der Deutschen ist. In der alljährlichen Umfrage der R+V-Versicherung landet sie nicht einmal mehr unter den Top 5 der relevanten Themen, wurde eingeholt von Angst vor gesellschaftlicher Spaltung und steigenden Lebenshaltungskosten.
Zudem ignorieren Menschen gern auch Fakten, wenn diese ihren Überzeugungen widersprechen. Wie das aussehen kann, zeigt aktuell US-Präsident Trump. Dessen Rückkehr ins Weiße Haus ist niederschmetternd für die globale Klimapolitik. Mehr als 120 Umweltschutzmaßnahmen hat er bereits rückgängig gemacht und den Begriff „Klimawandel“ – für ihn ein „Hoax“ – aus offiziellen Dokumenten und Regierungswebseiten streichen lassen und der Wissenschaft den Maulkorb angelegt. Die Folge: Der Weg der Forschung ist zugestellt und die kontroverse Klimapolitik führt zu einer noch stärkeren Polarisierung in der Berichterstattung. Das hatte sich bereits in der ersten Amtszeit gezeigt. Das ist verheerend, denn die Krise ist so komplex, dass klassische Journalismus-Routinen ihr schon kaum Herr werden können, ohne ständig gegen Falschbehauptungen anzukämpfen. Wird nun eine Vereinfachung attraktiv, konterkariert das die Bemühungen einer ziselierten Debatte.
Um besser über das Klima zu berichten, brauchen wir eine neue Erzählweise. Eine, die den Klimawandel faktisch einordnet, statt zu polemisieren. Eine, die traditionelle Nachrichtenmuster durchbricht.
Klimaprotokolle
„Bei ständiger Panik stumpfe ich ab“
Die Leserin (Sabine Morlon aus Erftstadt): „Mir kommt es so vor, als könnten sich die Medien immer nur auf ein Thema konzentrieren. Gerade ist es Trump, vorher war es die Bundestagswahl. Vor ein paar Jahren waren die Nachrichten voll mit Klimathemen, dafür fiel dann aber auch alles andere unter den Tisch. Auffällig war, wie viel Angst in der Berichterstattung zum Klimawandel mitgespielt hat. Es saßen die immergleichen Aktivisten oder Wissenschaftler in den Sendungen, die panisch davor warnten, dass die Welt unterginge. Hoffnungsvollere Perspektiven – und damit meine ich keine Klimawandelleugner – habe ich nur selten gehört. Dabei mag ich solche Kontroversen, solange sie seriös sind. Ich möchte mir schließlich selbst ein Urteil bilden und keine fertige Meinung vorgesetzt bekommen. Außerdem stumpfe ich persönlich irgendwann ab, wenn ich immer nur höre, wie schlimm alles ist. Viel besser gefallen mir Lösungen, die zeigen: Es tut sich etwas in dem Bereich.“
Ihr Wunsch: „Redaktionen sollten weniger angstgetrieben und stattdessen ruhig und neutral über den Klimawandel berichten.“
„Die Kompetenzen bündeln, formatübergreifend berichten“
Der Chefredakteur (Dirk Kurbjuweit „Spiegel“-Chefredakteur): „Die Koordination der Arbeit zum Thema Klimakrise übernimmt in der ‚Spiegel‘-Redaktion seit 2021 der sogenannte Climate Desk. Er umfasst aktuell rund ein Dutzend aktive Redaktionsmitglieder. Neben den großen schreibenden Ressorts sind etwa auch die Abteilungen CvD, Grafik und Daten vertreten. In diesem Arbeitsgremium teilen wir Themenhinweise und klären Zuständigkeiten. Insbesondere bei erwartbaren Lagen und Terminen wollen wir auf diese Weise eine umfassende Berichterstattung sicherstellen. Die Redakteurinnen und Redakteure sind gleichzeitig Botschafter in ihren Ressorts, was die im Desk besprochenen Themen angeht.
Darüber hinaus konzipiert das Team Schwerpunkte zum Thema. Die Medienkritik von Bernhard Pörksen, die wir als Essay im Magazin unverändert abgedruckt haben, war für uns ein Denkanstoß. Er hat uns zusätzlich darin bestärkt, die Arbeit des Climate Desk engagiert fortzusetzen. Etwa zum Start der neuen Bundesregierung, aber auch zu den Entwicklungen in den USA planen wir in der nächsten Zeit ressortübergreifende Schwerpunkte.“
Sein Tipp: „Ein übergreifender Desk hilft, vorhandene Kompetenzen der Redaktion zu bündeln sowie formatübergreifend zu berichten.“
[…Weitere Protokolle – von der Ahrtal-Bewohnerin über die Klima-Aktivistin bis zur Daten- und Klimajournalistin lesen Sie im „medium magazin“ 02/25…]
Klimaformat? So geht’s!
Wenn die Klimakrise zur politischen Nebensache wird, braucht es innovative journalistische Erzählformen, um sie wieder aufs Tableau zu heben.
Mission Klima
Der NDR-Podcast schaut in Sachen Klima nicht auf den einzelnen Menschen – sondern auf die Wirtschaft.
Autorin: Sarah Neu
Ines Burckhardt möchte den Menschen in der Klimakrise Mut machen. Aber nicht, indem sie clevere Klima-Lösungen für den Alltag von Einzelpersonen vorstellt. Vielmehr prüft die NDR-Journalistin vor jeder Podcastfolge, welche großflächig einsetzbaren und erfolgreich umgesetzten Ideen zum Klimaschutz existieren. Statt um das Balkonkraftwerk für den Privathaushalt geht es um PV-Anlagen für hektargroße Äcker. Statt um die CO2-Einsparung eines Vegetariers geht es um die Rügenwalder Mühle und den wachsenden Markt für Fleischersatz.
Gemeinsam mit ihrem Wirtschaftsressort-Kollegen Arne Schulz hat Burckhardt „Mission Klima“ entwickelt. Der Podcast käme generell gut an – gemessen an den Streams und den positiven Hörernachrichten, sagt Burckhardt.
Das mag auch daran liegen, dass „Mission Klima“ anders als so mancher öffentlich-rechtliche Podcast durchaus Bewegung bietet: Statt sich Fachleute ins Aufnahmestudio einzuladen, nehmen Burckhardt und ihr Team die Hörerinnen und Hörer mit nach draußen – zum Unternehmer, der über seinem Schnittlauchfeld eine Solaranlage installiert hat, oder zur Kommune, die die Abwärme eines lokalen Rechenzentrums zum Heizen mehrerer Tausend Haushalte nutzt.
Moderiert wird der Podcast abwechselnd von Schulz und Kollegin Susanne Tappe. Jede Folge stößt eine Reporterin oder ein Reporter hinzu. „Bei Folgen, die thematisch sehr in die Tiefe gehen, arbeiten wir dafür gerne mit anderen Ressorts zusammen“, sagt Burckhardt. In der Folge zu Seegras und Mangroven war zum Beispiel eine Meeresbiologin aus der NDR-Wissensredaktion zu Gast.
Obwohl individuelle Handlungsempfehlungen für das Team ein rotes Tuch sind, gibt es dennoch eine Folge mit dem Titel „Wie jede und jeder Einzelne die Energiewende beschleunigen kann“. Warum? „Einzelne Konsumenten sind natürlich Teil der Energiewende, auch wenn sie nicht die Hauptverantwortung tragen“, sagt Burckhardt. Damit die Folge ins Konzept passt, zeigt sie, welche persönlichen Entscheidungen einen möglichst großen Unterschied machen und welche nicht.
Zuletzt pausierte der Podcast – und kehrt jetzt im Mai mit neuen Folgen zurück. Denn für Burckhardt und ihr Team wird, drei Jahre nach Gründung, die Themenfindung so langsam herausfordernd. Immerhin: Frische Ideen liefern gelegentlich die ARD-Auslandskorrespondenten, wenn sie von neuen Konzepten anderorts erfahren, oder auch die eigenen Hörer. Und gerade auf die will man in Zukunft noch stärker eingehen, etwa mit Folgen, in denen Hörerfragen beantwortet werden. So soll das Format den Austausch fördern. Oder noch besser im Zuhören werden.
[…Wie sich „Focus Online Earth“ und „Planet A“ schlagen, lesen Sie im „medium magazin“ 02/25…]
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