Laudatio von Klaus Meier auf die „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ 2024 von Correctiv
Am 19. Mai 2025 fand die Preisverleihung der „Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024“ in Berlin statt. Ausgezeichnet vom medium magazin in der Hauptkategorie: Das „Correctiv“-Team hinter der Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ bestehend aus Anette Dowideit, Jean Peters, Gabriela Keller, Justus von Daniels und Marcus Bensmann. Die Begründung der JdJ-Jury finden Sie hier. Eindrücke von der Feier zu den „Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024“ am 19.05.2025 im Hotel Oderberger in Berlin finden Sie hier.
Laudatio von Jury-Mitglied Klaus Meier, 19. Mai 2025
„Wir alle kennen sie. Aber nicht nur wir, sondern Millionen Menschen. Über keine journalistische Recherche ist 2024 und 2025 mehr als zwölf Monate lang so oft und intensiv gesprochen worden. Keine ist so durchleuchtet worden, vor Gericht und in der Medienkritik. Und keine hatte eine solche Wirkung.
Die Recherche zum „Geheimplan gegen Deutschland“ des Correctiv-Teams.
Am 25. November 2023 trafen sich in einem Landhotel nahe Potsdam gut zwei Dutzend Menschen: Rechtsextreme, völkische Ideologen, hochrangige AfD-Funktionäre, Mitglieder der CDU und Werteunion sowie Unternehmer und Juristen, um ein „Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplanes“ – so stand es in der Einladung – des Kopfes der Identitären Bewegung, Martin Sellner, zu diskutieren. Ihr wichtigstes Ziel: Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können.
Dieses Treffen wurde vom Correctiv-Investigativ-Team über Wochen rekonstruiert. Reporter Jean Peters checkte undercover in das Hotel ein. So gelang es ihm zu beobachten, wer an dem Treffen teilnahm. Mit Kameras von außen wurden Fotos gemacht. Es folgten zahlreiche schriftliche und mündliche Recherchen. Durch die enge Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen – von klassischer Recherchearbeit über Faktencheck, KI-Gesichtserkennung und Rechtsberatung – konnte die Recherche präzise durchgeführt und rechtlich abgesichert werden.
Am 10. Januar 2024 wurde die Recherche unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlicht: Rund 26.000 Zeichen in drei Akten und sieben Szenen.
Was ist das Besondere an dieser Teamleistung?
Ist es die investigative Undercoverrecherche? Es war eine riskante Recherche: Jean Peters musste nach der Veröffentlichung untertauchen. Das Team wurde öffentlich auf allen Ebenen angegriffen. Aber das ist leider „normal“. Dieses hohe Risiko haben auch andere Journalistinnen und Journalisten, die investigativ arbeiten, zumal im rechtsextremen Milieu.
Ist es die besondere Darstellungsform, das Erzählen als Theaterstück? Die dramaturgische Zuspitzung erreicht Verstand und Herz der Leser, ist innovativ – aber riskant, weil die Form vom Inhalt ablenken kann und der Medienkritik eine offene Flanke bietet, sich an Kleinigkeiten aufzureiben, aber das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.

Beides kann also noch nicht begründen, warum dieses Team nun als „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ 2024 ausgezeichnet wird. Es geht um mehr. Viel mehr.
Mit dieser Recherche hat das Correctiv-Team geleistet, was Journalismus im Kern ausmacht: Aufklären, ein relevantes Thema aufdecken, das Mächtige unter der Decke halten wollen, als Frühwarnsystem Gefahren für die Gesellschaft thematisieren. Die außerordentliche Recherche hat Anfang 2024 das gesellschaftliche Thema des Jahres gesetzt: die Gefahren des Rechtsextremismus in Deutschland.
Dieser Text traf ein Momentum. Schon lange hatte sich ein diffuses Gefühl verbreitet, was es bedeuten könnte, wenn die AfD Machtoptionen bekommt, wenn sich rechte Kreise auf das, was wir „bürgerlich“ nennen, ausweiten. Doch das Gefühl war noch nicht klar und greifbar. Mit diesem Text ist die völkische Ideologie wie durch ein Brennglas sichtbar und einsichtig geworden. Plötzlich riss der Schleier, der über der Erkenntnis lag – eine im wörtlichen Sinne „Aufklärung“ durch Journalismus.
Der Bericht wurde zur Initialzündung einer bislang einzigartigen Protestwelle in Deutschland: Belegten Zählungen zufolge gab es alleine bis Ende Februar 2024 mehr als 1200 Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mit vier Millionen Menschen. Und andere Journalistinnen und Journalisten griffen das Thema auf und recherchierten zum Rechtsextremismus in ihren Regionen.
Eine weitere Folge des Textes war eine neue Form von SLAPP-Klagen. Wir konnten sehen, wie Menschen wie AfD-Anwalt Vosgerau, denen sachliche Argumente fehlen, vor Gericht klagen, um – wie er es selbst in einer ARD-Dokumentation benennt – „eine Gegenerzählung in die Öffentlichkeit zu bekommen“, – also klagen, nicht um zu gewinnen, sondern um die Glaubwürdigkeit einer Recherche zu beschädigen. Vor Gericht blieb der Kern der Recherche zwar immer bestehen – es ging nur um Wortklaubereien – aber so konnte der Eindruck verbreitet werden, dass „irgendetwas“ nicht stimmt. Und leider haben etliche Medien diese Gegenerzählung aufgegriffen, woraus wir wiederum viel über die so genannte Objektivität des Nachrichtenjournalismus lernen könnten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Liebes Correctiv-Team, liebe Marcus Bensmann, Justus von Daniels, Anette Dowideit, Gabriela Keller und Jean Peters, vielen Dank für Eure exzellente Arbeit! Möge Euch diese Ehrung Kraft und Mut für weitere Recherchen, für weitere Aufklärung geben.“
Klaus Meier ist Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Eindrücke von der Feier zu den „Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2024“ am 19.05.2025 im Hotel Oderberger in Berlin finden Sie hier.