„Jeder Journalist sollte mal ins Gefängnis“

Das Brot hat ihn beeindruckt – im negativen Sinne. Darum schmuggelte Philipp Maußhardt eine Scheibe aus dem Tübinger Knast heraus, als vergängliches Andenken.

Maußhardt, 60 Jahre, Leiter der Zeitenspiegel-Reportageschule, musste im Oktober drei Tage ins Gefängnis. Der Grund dafür ist skurril: Er hatte via Ebay ein Handy gekauft, der Verkäufer hat es nie geschickt. Maußhardt klagte, ein Gericht verhandelte, der geschädigte Maußhardt verpasste den Gerichtstermin und wurde dadurch zum Übeltäter: Ordnungsgeld, weil er unentschuldigt fehlte. Maußhardt fand das falsch, zahlte nicht und bekam schließlich die „Ladung zum Antritt der Ordnungshaft“.

Interview: Jens Twiehaus

Herr Maußhardt, was haben Sie mitgenommen aus Ihrem Gefängnis-Aufenthalt?

Philipp Maußhardt: Mitgenommen habe ich den Rat an jeden, so etwas auch mal zu machen. Um den Wert der Freiheit zu begreifen, aber auch um zu sehen, wie Gefangene hier in Deutschland behandelt werden. Das Essen war unterirdisch. Ich bekam zwei Tage hintereinander nur trockenes Brot zum Frühstück.

Wasser und Brot, das Klischee stimmt?

Ja, das Brot wurde durch eine Klappe in der Tür in die Zelle gereicht. Ich hätte auch fünf oder zehn Scheiben haben können – aber eben nur Brot. Keine Butter, kein Belag. Das Brot war so trocken, dass es sich wellte. Und es gab nur wenig Flüssigkeit in Form von Tee. Kein Lappen für den Abwasch, sehr eklig. Im Kongo habe ich als Reporter einmal ein Gefängnis besucht. Daran hat mich das Tübinger Gefängnis erinnert.

Maußhardt – hier in Freiheit (als Laudator bei der Preisverleihung für die Journalisten des Jahres)

Wie sah die Zelle aus?

Wir saßen auf acht Quadratmetern zu zweit, mit offener Toilette. Das Gebäude ist um die 200 Jahre alt. Wir hatten 23 Stunden am Tag Zeit zum Quatschen oder zum Lesen, ich habe „Krieg und Frieden“ von Tolstoi halb geschafft. Eine Stunde Hofgang pro Tag war erlaubt, aber keine Arbeit. Mein Mitgefangener sitzt schon über ein Jahr. Er hat ein Fernsehgerät und die Hoheit darüber. Deshalb lief ständig RTL2, das war eine zusätzliche Strafe.

Wissen Sie, weshalb Ihr Mitgefangener einsitzt?

In Tübingen sitzen fast nur U-Häftlinge. Mein Mitgefangener aber war schon verurteilt und aus einem anderen Gefängnis verlegt worden, weil er auf ein weiteres Gerichtsverfahren wartete.

Weshalb?

Eine Regel im Gefängnis lautet: Man fragt nicht. Auch nicht, weshalb jemand sitzt. Beim Hofgang haben einige über Drogen und Gewalt geredet. Aber es gibt kaum Umgang miteinander, weil bei den meisten der Prozess oder die Ermittlungen laufen – da ist die Isolation verschärft.

Wussten die anderen Häftlinge, wer Sie sind?

Kurz vor meinem Haftantritt ist ein kleines Interview mit mir im „Schwäbischen Tagblatt“ erschienen. Einer der Häftlinge hat es in der Zeitung gelesen und es den anderen erzählt. Die fanden es gut, dass ich da war, weil sie wollen, das jemand über die schlechten Zustände im Tübinger Gefängnis schreibt.

Für Sie gab es keine Sonderbehandlung?

Nein. Ich habe auch die Aufnahmeprozedur mitgemacht. Nackt ausziehen, vorbeugen und gucken, ob ich was im Hintern hab.

War es das wert – wegen eines nicht bezahlten Ordnungsgeldes?

Es kommt darauf an. Wenn mir der Grund für das Ordnungsgeld nicht einleuchtet, ziehe ich die Ersatzhaft vor. Es eröffnet ja auch den Blick in eine sonst verschlossene Welt. Ich habe während des Hofgangs spannende Geschichten gehört. Journalisten können so eine Zeit auch als Akquise-Instrument sehen.

Sie raten Ihren Reutlinger Reportageschülern also künftig, auch mal einzufahren?

Ich würde es nicht nur den Reutlingern raten, sondern jedem Journalisten.

 

Philipp Maußhardt leitet die Zeitenspiegel-Reportageschule in Reutlingen und schreibt für Zeitungen und Magazine. Auch in der Schweiz verbüßte er Ersatzhaft – und schrieb darüber. Aus der Zeit im Tübinger Knast sollen Texte für „Stern Crime“ und Vice entstehen.

 

 


Das Interview erschien in der „Medium Magazin“-Ausgabe 06/2018. Weitere Themen darin u.a.: der große Generationendialog „Was hat Zukunft“, „Journalismus der Dinge“, Change-Anforderungen an Journalisten, die Debatte um die Nationalitätennennung von Tätern in Berichten, Blockchain-Modelle für Medien, Wolf Schneiders neue Sprachkritik, Special Umwelt & Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt „Nature Writing“ sowie eine 16-seitige Werkstatt „Erfolgreich gründen“. Das Heft ist digital (per Sofortdownload) und gedruckt im Shop sowie digital im iKiosk verfügbar.