Sagen, was ist, reicht nicht

Der Journalismus muss aufhören, Klimaverantwortung auszulagern und endlich selbst branchenweit CO2 einsparen, Freie einbeziehen und Wissen teilen. Wie jeder einen Beitrag dazu leisten kann. Dieser Beitrag ist im „medium magazin“ 04/2025 erschienen.
Text: Florian Sturm
Die Klimakrise ist fast überall in den Medien angekommen. Also in der Berichterstattung. Nicht im eigenen Handeln. Während Journalistinnen und Journalisten täglich über Kipppunkte, CO2-Bilanzen und Klimaziele berichten, bleiben alle Redaktionen Mitverursacher der Katastrophe: Emissionen werden vermeldet, nicht vermieden. Klimaverantwortung? Bleibt meist eine Forderung an andere.
Ja, es gibt viele Fortschritte, einige davon dokumentiert in seitenlangen Nachhaltigkeitsberichten: Verlage drucken auf Ökopapier, verzichten auf Inlandsflüge, betreiben Gebäudemanagement nach Umweltstandards oder nutzen Ökostrom. Alles gut und schön und wichtig.
Aber oft bleibt es bei Symbolpolitik – oder es wird sogar wider besseres Wissen gehandelt. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Frage, wie die Medienbranche produktionsseitig ökologisch nachhaltiger werden könnte, wollte ich von einem großen deutschen Verlag wissen: Warum zahlt das Haus für (ohnehin fragwürdige) CO2-Zertifikate Dumping-Preise, obwohl faire Preise leicht zu stemmen wären. Die Antwort kam mit einem Grinsen, das ich nur schwer deuten konnte: Wir können froh sein, „dass die Chefetage überhaupt was zahlt“. Dass dieselbe Person überzeugt war, der Verzicht auf Inlandsflüge bringe weder symbolisch noch faktisch etwas, lässt mich schlussfolgern: Das Grinsen war wohl süffisant gemeint.
Freie müssen einbezogen werden
Es muss sich was tun. Dazu gehört: Verlage und Redaktionen müssen ihre Klimaverantwortung auch auf Freie ausweiten. Sie produzieren einen Großteil der Inhalte und bleiben dennoch außen vor.
Genau hier setzte das Projekt „CO2mmitted Media – Journalismus mit Klimaverantwortung“ an. Der von mir und meinem Team mitentwickelte Online-Rechner ermöglichte es, den CO2-Fußabdruck einzelner Recherchen zu bilanzieren und in einen konkreten Klimabeitrag umzuwandeln. Das Geld floss in einem doppelten Kreislauf in lokale Klimaschutzfonds und -projekte, die man mitbestimmen konnte.
Leider stieß die Idee kaum auf Resonanz, das Projekt ruht. Ich mache trotzdem weiter. Heute ermittle ich meine berufsbedingten Emissionen mit einer Excel-Datei der Klimaschutz+ Stiftung. Und ich bin dankbar, dass zahlreiche meiner Auftraggeber (etwa „Geolino“, „Stern Crime“, der Freischreiber e. V., „Science Notes“ und „medium magazin“) diesen Klimabeitrag übernehmen. Die Datei kann jeder nutzen. Sie lässt sich am Ende dieses Beitrags herunterladen. Das Ermitteln der eigenen Klimabilanz funktioniert in wenigen Klicks. Wohin der Klimabeitrag fließt, etwa über den Klimaschutz+ Fonds, entscheidet man selbst. Für diesen Beitrag sind es 0,39 Euro.
Wissen muss geteilt werden
Damit ist es aber nicht getan. Es fehlt der Austausch. Kleinere Redaktionen haben oft weder Personal noch Ressourcen, um sich durch den Dschungel an Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu schlagen.
Es braucht eine zentrale Anlaufstelle für Fragen wie: Welche Druckereien arbeiten nach höchsten Ökostandards? Welche Webserver sind klimafreundlich? Welche Caterer servieren mit Blick aufs Klima? Klassische Rechercheaufgaben, aber für viele im ohnehin überfüllten Alltag nicht leistbar. Wir müssen dieses Wissen teilen. Hürdenlos, praxisnah, konkret.
Vor allem aber müssen wir aufhören, Verantwortung mit Berichterstattung zu verwechseln. Klimaverantwortung beginnt nicht bei einem Text über Nachhaltigkeit. Sie beginnt bei uns. In der Art, wie wir arbeiten. Und darin, ob wir bereit sind, uns selbst zu hinterfragen.
Klimabeitrag selbst berechnen
Mit dieser Excel-Datei (Download) berechnet Florian Sturm den Klimabeitrag für seine Artikel. Das Tool wurde im Rahmen des „CO2mmitted Media“-Projekts entwickelt und wird bereitgestellt von der Klimaschutz+ Stiftung.
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