Backstage: Warum die Augsburger Allgemeine ganz oben ein Problem hat

Die stolze Augsburger Allgemeine findet einfach keinen Nachfolger für den zum „Stern“ abgewanderten Gregor Peter Schmitz. Warum das auch etwas mit der Verlagsspitze zu tun haben könnte, erörtert unser Autor René Martens. Aus unserer Kolumne „Backstage – Klatsch & Wahrheiten“. 

Eigentlich geht es der „Augsburger Allgemeinen“ prächtig. Stolz bezeichnet sie sich als ­„viertgrößte Zeitung Deutschlands“, und in der Tat sticht die verkaufte Auflage von 271.000 Exemplaren (Stand: 4. Quartal 2022) auf dem Regionalzeitungsmarkt heraus. Die Umsatzrenditen, zu denen sich das Haus auf Anfrage ausschweigt, sind laut Eingeweihten immer noch traumhaft – auch dank der Monopolstellung in der reichen Region Bayerisch-Schwaben. Auch überregional ist die Zeitung relevant. Laut dem Ranking von Pressrelations war sie nach der „Rheinischen Post“ und dem „Tagesspiegel“ 2022 der meistzitierte Regionalzeitungstitel. 

Dennoch: Der „Augsburger Allgemeinen“ könnte es noch besser gehen, sagen Kolleginnen und Kollegen, die das Haus gut kennen. Die Zeitung nutze ihre Entwicklungsperspektiven nicht, die sie dank ihrer hervorragenden Ausgangsposition habe. Den Grund dafür sehen Insider in einem „Geschwisterkampf“. Die Kombattantinnen sind die beiden Gesellschafterinnen der Mediengruppe Pressedruck, in der die „Augsburger Allgemeine“ (AA) erscheint: Herausgeberin Alexandra Holland und ihre im operativen Geschäft unauffällige Schwester Ellinor Scherer. Beide haben jeweils die Hälfte der Anteile von ihren Eltern geerbt. Holland gehört auch der Geschäftsführung der Mediengruppe an, der wiederum ihr Schwager Andreas Scherer vorsteht.

Hört man sich bei Insidern um, bekommt man folgenden Eindruck: Der vermeintliche „Kampf“ der beiden Schwestern wird noch dadurch beeinträchtigt, dass sie kaum miteinander reden. Auch Holland und Scherer, dem seine Kritiker vorwerfen, er habe „null Interesse an Journalismus“, seien sich nicht grün, heißt es. Die unguten Familiendynamiken führen offenbar unter anderem dazu, dass wichtige Entscheidungen verschleppt werden. 

René Martens ist freier Medienjournalist und regelmäßig Autor des MDR-„Altpapier“. Zudem ist er Mitglied der Grimme-Preis-Nominierungskommission in der Kategorie Info & Kultur.

Unterschiedliche Positionen gibt es bei Verlagsinsidern zu Alexandra Holland. Die einen halten ihr zugute, dass sie schon versucht habe, die blockadeähnliche Situation an der Führungsspitze aufzulösen. Sie soll 2022 vorgeschlagen haben, sich aus der Geschäftsführung zurückzuziehen, wenn auch Schwager Andreas den Rückzug antritt. Das soll der aber abgelehnt haben. Andere kritisieren Hollands Führungsstil als patriarchalisch. 

Die lähmenden Probleme an der Spitze könnten nun auch dazu beigetragen haben, dass die Chefredaktion eine riesige Baustelle ist, seitdem Gregor Peter Schmitz die Zeitung im Februar 2022 Richtung „Stern“ verlassen hat. Eine Situation, die in der Redaktion für Verunsicherung sorgt. Denn der mehrfach ausgezeichnete Journalist Schmitz war ein Aushängeschild der Zeitung und maßgeblich für die überregionale Strahlkraft der AA verantwortlich. Und die Suche nach einem passenden Nachfolger läuft nun schon seit über einem Jahr erfolglos. (Anm. d. Red: Am 5. Juli 2023 hat die Augsburger Allgemeine nun die Besetzung der lange vakanten Chefredakteursposition verkündet. Peter Müller kommt vom „Spiegel“, wo er zuletzt Büroleiter in Brüssel war.)

 Immerhin: Im Dezember hat der Verlag die vorherige Interims-Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck fest an der Spitze installiert – als Hälfte eines geplanten Chefredaktions-Duos. Sie bringt langjährige Kompetenz im Lokalen mit, den liebgewonnenen überregionalen Glanz eines Gregor Peter Schmitz kann sie aber nicht bieten. Die Fahndung nach „Chef Nummer 2“ war bei Produktionsschluss dieser Ausgabe immer noch nicht abgeschlossen. 

Offenbar gelingt es den stolzen Bayern also nicht, geeignete Kandidaten von sich zu überzeugen. Gut möglich, dass dies auch mit den Problemen „ganz oben“ zu tun hat: Eine zerstrittene Geschäftsführung wirkt auf ambitionierte Chefredakteure schließlich eher abschreckend. Aus Kreisen möglicher Kandidaten war zudem zu hören, dass es dem Haus nicht gelinge, für sich zu werben. Vielmehr erwarte man „Bewerber“. Modern und zukunftsgerichtet wirkt das nicht gerade.

Außerdem in Backstage: Warum der BND transparenter als der Spiegel ist und warum der Warburg-Kredit von Springer-Boss Döpfner so brisant ist. Jetzt lesen!

 


Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 02/23 (Mai 23). Dort finden Sie außerdem eine Recherche zu Funke-Chefin Julia Becker, ein Praxis-Special zu KI-Tools für Medienprofis, das Dossier „Macht“ sowie ganz viel Nutzwert für die journalistische Berufspraxis ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk