Blasen und Phrasen

Das Brevier für mehr Klartext, Teil 53. Die Sprachkolumne in medium magazin.

„Wir wollen zusätzliche Potenziale erschließen.“

Ein bisschen Luft nach oben ist immer. Darum ist es nie verkehrt,
öffentlich zu erklären, man wolle „zusätzliche Potenziale
erschließen“. Denn eigentlich handelt es sich bei dieser
Absichtsaerklärung um eine Selbstverständlichkeit. Fast jeder möchte
gerne mehr Zeit haben, mehr Geld verdienen, besser Englisch sprechen –
eben „zusätzliche Potenziale“ nutzen. Die Botschaft dahinter lautet ja
auch, dass diese Potenziale vorhanden sind, aber brachliegen. Wären
Sie nicht da, gäbe es keine Entwicklungsmöglichkeiten und damit
Stillstand. Übersetzt lautet die Phrase also: Unser Unternehmen hat
alles, was es braucht, um noch besser und schneller zu wachsen. Aber
es gelingt noch nicht, das auch rauszukitzeln (andere würden sagen:
rauszupressen). Denn mehr Potenziale erschließen bedeutet nicht nur,
dass die Mitarbeiter Motivationsseminare absolvieren dürfen, um auf
umsatzsteigernde Ideen zu kommen. Es bedeutet leider oft auch, dass in
allen Ecken und Winkeln nach Möglichkeiten gesucht werden, Kosten zu
sparen. Davon ist offiziell natürlich selten die Rede. „Potenzial“
klingt halt besser als „Einsparmöglichkeiten“. Der Gebrauch des Verbs
„erschließen“ signalisiert zudem die aktive, nach vorne orientierte
Verfassung eines Unternehmens. Wo erschlossen wird, gibt es einen
Schlüssel, und wenn es ihn noch nicht gibt, wird er angefertigt.
Verschlossene Türen gibt es für Menschen, die „zusätzliche Potenziale“
aufspüren wollen, nicht.

„Business Summit“

Zum Auftakt einer jeden professionell organisierten Veranstaltung
gehört eine möglichst hochkarätig besetzte Diskussionrunde, auch
„Panel“ genannt. Weil allein dieser Begriff zu langweilig daherkommt,
scheint es Event-Spezialisten angebracht, eine solche Runde
beispielsweise „Business Summit“ zu nennen, also „Geschäftsgipfel“.
Damit ist zweierlei sichergestellt: Die Besucher der Veranstaltung
wissen, dass hier die Branchengrößen beisammenhocken und womöglich
Bedeutsames zur Zukunft der jeweiligen Branche absondern. Die
Diskussionsteilnehmer wissen ihrerseits, dass sie zu den big shots
ihrer Unternehmenswelt gehören. Sie sind also schon qua ihrer Rolle
und Funktion ganz oben angekommen, unabhängig davon, was sie sagen
werden. In der Praxis sitzen dann meistens acht bis zehn Männer,
manchmal sogar eine Frau, in schwarzen Lesersesseln auf einer Bühne,
von denen jeder rund 5 Minuten redet und sich anschließend eine kleine
Diskussion anschließt, bei der bereits vorher bekannte Positionen
dargelegt werden. Dann ist Schluss und es werden kleine Schnitzelchen
oder Meeresfrüchte verzehrt. Der Gipfel ist erklommen.

Die Kolumne „Blasen und Phrasen“ erscheint regelmäßig in der gedruckten Ausgabe von medium magazin – diesmal ausnahmsweise online zur Ausgabe 10-11/2010. Die zurückliegenden Folgen sind über Stichwortsuche nachzulesen in unserem online-Archiv.

Die Autoren: Christian Meier und Stefan Winterbauer sind Medienjournalisten.