Büchners neue Nachricht

"Intensiv reden" will Wolfgang Büchner nicht nur in Interviews, sondern vor allem mit den Kunden .

„Wir wollen Nachrichten-, Kunden- und Ideenagentur sein“

Chefredakteur Wolfgang Büchner krempelt gerade die Deutsche Presse-Agentur (dpa) massiv um. Er will sie damit fit für die Zukunft machen, die nicht zuletzt von der neuen Konkurrenz-Gruppe aus ddp und dem ehemaligen AP-Deutschland geprägt ist. In „medium magazin“ Nr. 6/2010 erklärt Büchner erstmals ausführlich in der Öffentlichkeit, wohin der Kurs geht, was seine Leute und was vor allem die dpa-Kunden erwartet.

Interview: DANIEL BOUHS und ANNETTE MILZ
Fotos: Thomas Strothjohann

Herr Büchner, allenthalben heißt es: „Die Nachricht ist tot!“ Wie wollen Sie als Unternehmen, das mit Nachrichten per se sein Geld verdient, in Zukunft bestehen?
Indem wir unsere Dienste für unsere Kunden wertvoller machen. Schauen Sie: Wir waren schon immer und bleiben auch künftig vor allem Dienstleister. Da geht es nicht nur um die Lieferung von Nachrichten, sondern längst um viel mehr. Kürzlich haben wir etwa ein neues Angebot namens „dpa Notizblock“ gestartet, genau aus dieser Überlegung heraus: Wie werden Nachrichten wieder werthaltiger?

Was sind für Sie drei Kernbegriffe, die Ihre neue dpa auszeichnen sollten?
Wichtig ist, dass zu dem Begriff „Nachrichtenagentur“ der Kommunikationsaspekt hinzukommt. Wir wollen eine Kundenagentur sein. Wir wollen die Agentur sein, die mit ihren Kunden am intensivsten darüber redet, was sie brauchen. Wir wollen Blattmachern, CvDs und Programmverantwortlichen einen Rückkanal anbieten, über den wir in einem stetigen Dialog mit ihnen stehen. Die dpa versteht sich als Gemeinschaftsredaktion der deutschen Presse, sie muss für ihre Kunden gefühlt im nächsten Raum sitzen wie ein Team, mit dem genauso gearbeitet werden kann, wie mit den eigenen Leuten. Dazu kommt, dass generell der Anteil der Blattmacher zurückgeht, die nach dem Prinzip „copy and paste“ arbeiten. Natürlich produzieren wir auch künftig gebrauchsfertiges Material, das 1:1 verwendet werden kann. Es geht aber mehr denn je darum, Unterscheidbares zu produzieren. Da kann eine Agentur viel beisteuern. Das mag erstmal wie ein Widerspruch klingen, ist es aber nicht: Wir reichern unsere Nachrichten mit Material an, mit dem unsere Kunden weiterrecherchieren können. Damit sind wir Nachrichten-, Kunden- und Ideenagentur.

Wolfgang Büchner: "Wir müssen nicht jedes Detail jedesmal neu erklären."

Wie soll das in der Praxis funktionieren?
Nach dem schönen Spruch von Jeff Jarvis: „Cover what you do best link to the rest!” Wir müssen nicht jedes Detail jedes Mal neu und vor allem auch nicht immer selbst erklären. Nehmen wir die Steuerschätzungen. Bei den aktuellen Geschichten dazu haben wir im dpa-Notizblock, der direkt unter den Meldungen folgt, einen Link auf die Unterseite des Bundesfinanzministeriums angegeben, wo der Steuerschätzerkreis erläutert und benannt wird. Das müssen wir nicht in den Dienst geben, wenn es auf einer externen und verlässlichen Seite verständlich beschrieben wird.

Das hört sich nach einer ziemlichen Zerreißprobe an. Sie kümmern sich ja nicht nur um Zeitungen, sondern auch um Sender und Onlinedienste. Sie alle stellen ganz unterschiedliche Anforderungen an „ihre“ Agentur. Wie wollen Sie dem gerecht werden?
Ja, die Spreizung zwischen den Medienkunden ist schon riesengroß. Dieses Problem ist aber nicht neu. Der Unterschied ist: Vor fünf oder zehn Jahren hat eine Nachrichtenagentur einfach vor sich hingesendet und am nächsten Tag geguckt, wie der Abdruck war. Mit diesem Prinzip haben die Agenturen jeden Tag eine Menge an Entscheidungen getroffen, die richtig waren, aber eben auch eine ganze Menge an falschen Überlegungen angestellt, weil sie nicht im Interesse der Kunden lagen. Uns hat ein schneller Rückkanal gefehlt.

Dafür haben Sie bekanntlich die Plattform „dpa News“ gestartet, auf der Sie Ihr Text-, Bild- und Grafikangebot wie ein Onlinedienst aufbereiten, mit Gewichtungen und Ressorts. Ihre Kunden können jeden Eintrag kommentieren, Kritik und Wünsche äußern. Wie läuft dieses Modell an?
Wir testen das im Moment mit rund einem Dutzend Redaktionen, bevor wir im Sommer in den Regelbetrieb gehen. Das Feedback ist sehr ermutigend. Die Testkunden sagen uns: Es ist gar nicht so wichtig, dass wir jeden Wunsch erfüllen. Wichtig ist nur, dass wir ihnen frühzeitig sagen, wenn wir das nicht können, damit die Blattmacher entsprechend planen oder eigene Leute aktivieren können. Das wird dann auch akzeptiert. Und natürlich treffen wir im Tagesgeschäft immer wieder auch Entscheidungen gegen spezielle Interessen einzelner Kunden. Das geht auch gar nicht anders, wir sind ja kein Redaktionsbüro, das ausschließlich Auftragsarbeiten abliefert. Wir müssen immer eine kluge Schneise ins Dickicht der Wünsche und Aufträge schlagen.

Auch mal "Nein" sagen.

Sie sagen also auch mal „Nein“?
Klar, das ist auch wichtiger geworden, seitdem wir stärker in den Dialog treten. Aber wir sagen nicht einfach nur „Machen wir nicht!“, sondern erklären auch, warum wir etwas nicht umsetzen. Als im Frühjahr die polnische Regierungsmaschine abstürzte und der Staatspräsident ums Leben kam, fragte ein Kunde auf dieser Plattform beispielsweise, ob wir ein Stück über die Debatte in den polnischen Medien zur Absturzursache bringen könnten. Wir antworteten, dass unser Korrespondent vor Ort der Einschätzung sei, dass es diese Debatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gebe. Wir schaffen damit Transparenz wo wir können und das auch offensiv. In dieser Dimension ist das neu. Dieser Dialog ist mühsam, er hilft aber auch uns selbst: Wir müssen ständig unsere eigenen Prioritäten überprüfen.

Wie viel Zeit wird dieser neue Stil fressen?
So viel, wie er eben frisst. Ich finde das absolut alternativlos. Wenn damit am Ende von unseren Nachrichtenchefs einer den ganzen Tag über nur mit dem Dialog mit unseren Kunden beschäftigt ist, ist es das wert. Außerdem wird der Dialog nicht bei den Nachrichtenchefs in Berlin hängenbleiben, sondern auch auf der Ebene der Landesdienste ankommen, in der Foto- und der Grafikredaktion. Am Dialog mit unseren Kunden wird am Ende kein dpa-Redakteur mehr vorbeikommen.

Der diesjährige Gewinner des Konrad-Adenauer-Journalistenpreises, der „Weser Kurier“, ist stolz darauf, dass Agenturmeldungen nur zehn Prozent seiner Zeitung füllen. Wenn Sie das Profil der Agentur so aufstellen, dass Sie vor allem helfen, weiterführende und individuelle Recherchen bei den Kunden zu befördern, woran wollen Sie dann noch den Erfolg der dpa messen?
Eben viel weniger an der Abdruckquote. Und ich hätte kein Problem damit, wenn wir in Zeitungen immer weniger Agenturkürzel finden, solange die Kunden auf der anderen Seite feststellen, dass wir für sie eine Goldmine sind, sie also auf der Grundlage unseres Angebotes besser arbeiten können.

Aus meiner Zeit bei „Spiegel Online“ weiß ich sehr gut, dass bei ganz vielen Geschichten, unter denen keine Agenturkürzel standen, trotzdem viel Agentur drinsteckte. Das ist doch auch ganz normal, woher sollen die Informationen auch kommen? Bei vielen Zeitungen basieren gute Autorenstücke auf Agenturmaterial, das mit eigenem Wissen und eigener Recherche angereichert wird. Solange wir auf beiden Seiten ehrlich sind – wir verschmerzen, dass die Agenturen nicht ausgewiesen werden, unsere Kunden auf der anderen Seite eingestehen, dass sie trotzdem viel von uns verwenden – finde ich das prima. Eine Abdruckquote kann also gar nicht mehr der alleinige Erfolgsmaßstab sein.

Multimedialität ist nicht nur Text, Bild und Video.

Redaktionen sehen in den Angeboten von Nachrichtenagenturen zunehmend Rohmaterial. Wie gehen Sie damit um, auch mit Blick auf multimediale Herausforderungen wie dem iPad?
Unter Multimedialität verstehe ich zunächst einmal nicht nur die Verknüpfung von Text, Bild und Video. Die wichtigste Dimension von Multimedialität ist eine kluge Verlinkung des eigenen Materials mit relevanten Webseiten. Das wird meistens ausgeblendet. Mit unserem Notizblock, der viel mehr und vor allem auch tiefer gehende Links enthält als sie früher vereinzelt im Dienst zu finden waren, helfen wir unseren Kunden dabei, ihren Lesern mehr Service zu bieten. Das entspricht ja auch dem normalen Nutzungsverhalten im Web: Wenn Sie etwas gefunden haben, das Sie interessiert, wollen Sie von dort aus schnell zu vertiefenden Informationen gelangen.

Wie sieht es mit dem Videoangebot der dpa aus? Davon war zuletzt ja wenig zu hören.
Wir beliefern derzeit das OMS-Netzwerk, das auf vielen Seiten von Regionalzeitungen zu finden ist, vor allem mit Entertainment-Beiträgen. Gleichzeitig bauen wir eine Videostruktur bei unseren Korrespondenten auf. Dafür verteilen wir sehr einfache Videokameras in In- wie Auslandsstandorten. Ich halte aber nichts davon, wahnsinnige Ressourcen in den Aufbau einer Videoproduktion in der Fläche zu stecken, die wir nicht refinanzieren können. Zum Hintergrund muss man sich nur die Abrufstatistiken der Videos auf den Webseiten von Regionalzeitungen ansehen: Über 80 Prozent der geklickten Filme sind lokales Material. Das ist aber kein Material, das eine Agentur schöpfen würde. Allerdings sollten unsere Redakteure damit experimentieren , wo es sich anbietet. Wer Zeit hat, bei bestimmten Recherchen Videomaterial mitzubringen, sollte das tun. Wir wollen die Videokompetenz in unserem Netz auf- und ausbauen. Das gilt natürlich auch für unsere Fotografen. Wenn etwa ein Auto im Kirchendach landet, wäre das neben einem Bild- auch ein gutes Videoangebot, das auch funktionieren kann. Ich glaube aber nicht, dass die dpa von jeder Pressekonferenz Bewegtbild mitliefern sollte. So etwas will keiner haben.

Eigenes Material ist die eine Sache, Fotos und Videos von Lesern die andere. Wie sieht es damit bei Büchners dpa aus?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir uns in allen Bereichen für User Generated Content öffnen. Das ist aber der nächste Schritt. Es gibt ein paar noch wichtigere Projekte, die wir abarbeiten müssen. User Generated Content ist nichtsdestotrotz aber ein äußerst wichtiger Baustein in der Zukunft einer Nachrichtenagentur. Wir werden uns darum kümmern.

"Ich kümmere mich nicht um Theaterdonner aus München"

Sorgen Sie sich um die Zukunft der dpa? Derzeit formiert sich mit der Allianz aus ddp und dem ehemaligen deutschen AP-Dienst eine nie dagewesene Konkurrenz, die mit Peter Löw und Martin Vorderwülbecke zwei Herren vorantreiben, die mit privatem Kapital nachhelfen.
Egal in welchem Medium man arbeitet, es wäre doch extrem unvernünftig, sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen. Aber ehrlich gesagt lassen wir uns von den Auftritten der Eigentümer unserer Konkurrenz nicht besonders beeindrucken. Wir haben einfach so viele gute und wichtige eigene Projekte. Ich kümmere mich da doch nicht um den Theaterdonner aus München.

Immerhin spricht erstmals ein Konkurrent der dpa nicht mehr davon, ein komplementäres Angebot zu Ihnen zu bieten, sondern die dpa „verzichtbar“ machen zu wollen. Das ist doch eine ganz andere Herausforderung als sie bisher da war, oder nicht?
Ja, aber das ist doch auch nur ein weiterer Grund, uns richtig Mühe zu geben. Wir positionieren die dpa zwar gerade komplett neu, das hat aber mit der neuen Gruppe aus ddp und dem heutigen DAPD gar nichts zu tun. Das müssten wir im Interesse unserer Kunden so oder so machen – ob ddp und AP zusammengehen oder nicht.

Zum Juli starten Sie Ihren neuen Newsroom in Berlin. Auf gut 3.800 Quadratmetern soll auf einem Stockwerk in der Axel-Springer-Passage zusammenkommen, was historisch gewachsen bisher auf Hamburg, Frankfurt und Berlin verteilt war. Welche Mauern sind dabei schwerer einzureißen: die in Ihrem neuen Newsroom oder die in den Köpfen Ihrer Mitarbeiter?
Die Mauern in den Köpfen sind immer härter. Ich setze dabei auf Dialog. Sie werden es gemerkt haben: Ich habe mich in den vergangenen Monaten kaum auf Podien blicken lassen und auch keine Interviews gegeben. Wir arbeiten an unseren Projekten ganz intensiv mit allen Kollegen zusammen. Der Notizblock hat beispielsweise eine sehr intensive Diskussion ausgelöst. Da geht es ja um etliche Details: Nennen wir die Namen von freien Mitarbeitern, auch denen in Krisenregionen, oder setzen wir sie damit einer zu großen Gefahr aus? Oder wie gehen wir mit falschen Telefonnummern und Links um, müssen die genauso berichtigt werden wie Fehler in den Texten? Übrigens: natürlich! Neben Treffen auf unterschiedlichen Ebenen haben wir auch alle Ideen ins Intranet eingestellt, um Kritik und Vorschläge auszudiskutieren, bevor wir in den Entscheidungsmodus umgeschaltet haben. Das hat noch einen großen Vorteil: Wer vorher viel diskutiert, brauch hinterher weniger Schulungen.

Das war der interne Prozess, jetzt geht es an die Kunden und die werden, wenn sie sich über Entscheidungen der dpa ärgern, nicht immer freundlich bleiben. Wie gehen Sie damit um?
Auch das ist nicht wirklich neu. Es hat ja auch früher frustrierte Anrufe gegeben, wenn einem Kunden etwas gefehlt oder nicht gepasst hat. Mit einer Plattform wie „dpa News“ und einem Produkt wie dem „dpa Notizblock“, der die Durchwahlen und E- Mail-Adressen unserer Autoren beinhaltet machen wir uns lediglich leichter erreichbar. Und im besten Fall sorgt der frühe und direkte Dialog zwischen dem dpa-Newsdesk und einem Blattmacher dafür, dass Frust erst gar nicht aufkommt. Für die Kultur im Umgang mit unseren Kunden ist mir vor allem wichtig, dass jeder von uns kommunizieren darf und das man nicht immer die Hierarchie hochwandern muss, bloß weil da ein Kunde anklopft. Alles andere wäre auch gar nicht zu leisten. Wir erteilen deshalb jedem Kollegen eine Art Kommunikations-Prokura.

die neue "Netiquette"

Haben Sie dafür Regeln aufgestellt?
Ja, eine Art Netiquette. Dazu gehören ganz banale Dinge wie das freundliche Antworten auch auf aufgebrachte Kunden. Aber auch, wer zwingend einzuschalten ist, wenn Anfragen eine juristische Qualität bekommen. Für die vielen praktischen und sachlichen Fragen, die direkt mit unserer Berichterstattung zu tun haben, gibt es aber keine Tabus: Da kann der Blattmacher oder Autor auf Kundenseite gerne direkt mit unserem Fachautor oder dem sendenden Redakteur reden.

Was genießt bei Ihnen derzeit bei den vielen Projekten der dpa absolute Priorität?
Alles, was unseren Kunden das Leben leichter macht. Und alles, was dazu beiträgt, dass wir ein besseres Produkt anbieten. Ein koordinierteres Arbeiten im Newsroom, um nicht mehr so stark termin- sondern themenorientiert zu arbeiten. Wir schauen sehr genau, welche Themen wir groß machen müssen und welche als schnelle Meldung. Diese Spreizung muss breiter werden. Dafür haben wir das Projekt „Klasse statt Masse“ ins Leben gerufen.

Das heißt?
Wir machen uns die Probleme unserer Kunden zu eigen. Wir stellen uns dieselben Fragen, vor denen wir als Blattmacher oder CvDs bei TV, Radio und Online auch stehen würden: Welche Themen bieten sich als Aufmacher für unserer Seite 1 oder die Sendung an? Das ist künftig die Klasse 1. Eine Klasse 2 ist hingegen alles, was sonst noch auf einer ersten Seite oder in einer Sendung stattfinden kann. Mögliche Aufmacher von Ressorts stufen wir in die Klasse 3 ein, in Klasse 4 weitere Berichte auf Ressortseiten und in Klasse 5 all das, was in Meldungsspalten wandern könnte. Daran orientieren wir künftig die Länge einer Meldung und auch, was wir zu einem Thema an Features, Reportagen, Hintergründen, Portraits und Statistiken liefern – oder eben nicht mehr. Wenn wir Kleines wirklich sehr klein fahren, wird uns das den nötigen Freiraum bieten, die Dinge groß und in der Tiefe zu fahren, die wirklich wichtig sind.

Aber im Ticker geht das doch alles unter!
Dafür bauen wir ja „dpa News“ auf. Das zwingt uns nämlich, so zu denken wie unsere Kunden: Auch auf „dpa News“ haben wir eine Startseite mit Top-Geschichten, einem Hauptthema, andererseits aber auch Ressortseiten mit eigenen Aufmachern und kleineren Geschichten, die weiter unten stehen. Wenn wir „dpa News“ bestücken, merken wir außerdem sofort, wenn etwas fehlt oder nicht zueinander passt – ob sich Bilder, Grafiken und Texte ergänzen, wie viele Zusatzgeschichten wir schon bei den großen Themen verlinken können – und vor allem: was davon noch fehlt. Dabei werden uns auch unsere Kunden helfen, die Mängel mit einem Klick melden und ebenso einfach zusätzliche Elemente und Themen vorschlagen können. Als Blattmacher bei „Spiegel Online“ hatte mir im Agentursystem immer der Knopf gefehlt, der mir auf einen Blick zeigt, was gerade wichtig ist. Diese Frage stellen sich auch unsere Kunden, wenn sie ihre Seiten zumachen oder ihren Sendungsablauf überprüfen wollen – dann gucken sie plötzlich nicht mehr in den Ticker, sondern auf die Webseiten von „Spiegel“, „Tagesschau“ und „Bild“, die ihnen als eine Art Vorfilter auf das gesamte Agenturmaterial dienen.

Mit Ihrer neuen Plattform wollen Sie aber doch auch dafür sorgen, dass Kunden vor allem Ihr Angebot im Blick haben und alle anderen in der Wahrnehmung nach hinten wandern, oder?

"Ich will, dass die dpa auf einem der ersten Browser-Tabs liegt"

Was ich will ist, dass die dpa auf einem der ersten Browser-Tabs liegt. Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn Reuters und AFP da auch wären. Vielleicht finden wir irgendwann sogar eine Form, wie wir das gesamte Agenturmaterial klug auf einer einzigen Webseite darstellen können, man etwa innerhalb der Seite von einer zur anderen Agentur umschalten kann. Aber in Wahrheit ist ja der Browser schon längst das passende Instrument dafür. Wer mit einer eigenen Plattform nachziehen will, der kann das jederzeit tun. Am Ende geht es darum, dass Kunden mit Agenturmaterial vernünftig arbeiten können.

Zurück zu Ihrem neuen Newsroom. Warum musste es denn diese riesige Fläche auf einem Stockwerk sein, wäre es nicht auch auf mehreren gegangen? Dem politischen Streit, der dpa-Kündigung des „Tagesspiegel“, der Sie nicht in einer Immobilie seines Konkurrenten Axel Springer sehen will, wären Sie so jedenfalls aus dem Weg gegangen.
Ich finde es ungeheuer wichtig, dass unsere Redaktion auf einem Stockwerk arbeitet. Ja, von einem zum anderen Ende ist das ein ganzes Stück, aber wir legen die jeweiligen Ressorts geschickt zu den jeweils nächsten an. Das Fototeam etwa sitzt einerseits dicht an den Nachrichtenchefs und damit an der zentralen Steuerung des Basisdienstes, grenzt gleichzeitig aber auch an den Berliner Landesdienst an – der so auch ständig an Bilder denkt, weil er die zuständigen Kollegen im Blick hat. Hätten wir die Teams auf mehrere Stockwerke aufteilen müssen, wäre doch sehr wahrscheinlich der Fotodesk abgewandert, weil er eine so schön große und in sich geschlossene Redaktion ist. Warum aber hätten wir die Kollegen dann überhaupt von Frankfurt nach Berlin holen müssen? Es macht ja einen großen psychologischen Unterschied, ob ich wenigstens am Rande einer großen Stadt lebe oder aber in einem Nachbarort – auch wenn ich es gleich weit ins Zentrum hätte: Stadtgrenzen, oder aber Treppenhäuser, verhindern das Miteinander.

Was kommt, wenn Sie Ihre Mantelredaktionen in Berlin zusammengeführt haben – die Reform der dpa in der Fläche? Zu hören ist, dass Sie Regionaldesks einführen wollen.
Ja, in diese Richtung denken wir derzeit. Es soll Kollegen geben, die sich auf das Redigieren und Senden der Meldungen konzentrieren können, und andere, die sich stärker ums Recherchieren und Schreiben kümmern als bisher. In diesen Rollen können wir gelegentlich wechseln, aber wir wollen sie stärker auseinanderhalten. Die dpa ist heute so organisiert, dass wir einige große Landesbüros haben, aber in etwas mehr als 20 Städten in der Fläche Meldungen in unsere Dienste geben. Ein Beispiel: Ist unser Landesbüro in München mal nicht so gut besetzt, sind bis zu drei Kollegen im Außenbüro Nürnberg mit dem Senden von Meldungen beschäftigt. Das wollen wir verbessern. Wir wollen die Berichterstattung aus der Fläche stärken.

Sie scheinen einem schier unüberschaubaren Berg an Aufgaben gegenüberzustehen. Nach alledem, was Sie in den vergangenen Monaten als dpa-Chefredakteur gelernt haben: Würden Sie diesen Job noch einmal antreten?
Ja klar! Das ist nach wie vor die spannendste Aufgabe, die man sich als Nachrichtenjournalist vorstellen kann, nämlich die dpa genau so weiter zu entwickeln, dass die Zeitungs- und damit auch die Meinungsvielfalt in Deutschland erhalten bleibt – indem wir eine gute Grundqualität liefern, auf der die Zeitungen, Webseiten, Fernseh- und Radiosender aufbauen können und die den Verlegern den Mut gibt, weiter auf Qualität zu setzen. Wenn wir das hinbekommen, wäre das ganz großartig. Und genau dafür kämpfe ich mit einem tollen und hochmotivierten Team. Der Job ist harte Arbeit, aber er macht wahnsinnig großen Spaß.