Der neue Frey-Stil

Peter Frey, Chefredakteur des ZDF seit 1. April 2010

ZDF-Chefredakteur Peter Frey im ersten ausführlichen Interview über die Ziele seiner Amtszeit: Wie er plant, wen er fördert, was er kritisiert. Die Langfassung des Titelgesprächs in „medium magazin“ 7-8/2010

Interview: Daniel Bouhs und Annette Milz. Fotos: Daniel Biskup

Herr Frey, der Honeymoon für Sie als neuen ZDF-Chefredakteur ist nun vorbei. In wie weit haben Sie denn in den ersten 100 Tagen Ihr Ziel erreicht?
Peter Frey: Das waren sogar drei Ziele. Ich wollte die Köpfe reduzieren, die fürs Informationsfernsehen im ZDF stehen. Dafür haben wir unter Theo Koll unsere Hauptredaktionen „Innenpolitik“ und „Außenpolitik“ zusammengelegt. Bettina Schausten spielt zudem als Chefin des ZDF-Hauptstadtbüros zum Beispiel mit der Moderation der Wahlsendungen eine größere Rolle im Programm als ihr Vorgänger. Und weil Theo Koll zusätzlich zu seinen Aufgaben im „auslandsjournal“ jetzt auch das „Politbarometer“ moderiert, ist klar, wer im ZDF für Politik steht.
Das zweite Ziel war die Weiterentwicklung unseres Nachrichtenstudios. Das lässt sich natürlich nicht in 100 Tagen umsetzen. Ich bin aber zuversichtlich, dass schon bald auf dem Schirm zu sehen ist, wohin es gehen wird, Ende Juli bereits in der „heute“-Sendung, im Laufe des Jahres dann im „heute-journal“.
Zum Dritten bringen wir die Welt von Online und Fernsehen noch näher zusammen. Unsere Hauptredaktionen „Neue Medien“ und „Aktuelles“ werden dafür stärker miteinander verschränkt als früher. Da laufen bereits sehr konkrete Absprachen der beiden Abteilungen.

Nun jährt sich ja gerade die Einweihung der „grünen Hölle“, das neue, viel kritisierte Nachrichtenstudio, in dem Moderatoren teils auf Postkartengröße geschrumpft werden. Was soll sich da ändern?
In der Tat: Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Tisch wichtiger ist als die Moderatoren. Gewünscht war, dass die „Moderatoreninsel“ das Erkennungszeichen unserer Nachrichtenfamilie sein soll. Es dauert aber bisher einfach zu lange, bis wir beim Kopf sind, der die Sendung präsentiert. Deshalb entsteht eine gewisse Distanz beim Zuschauer, wenn er unsere Sendungen einschaltet. Das wollen wir ändern. Wir werden jetzt zu einer anderen Bildfolge beim Opening der „heute“-Sendung kommen, die Bilder des Tages in das Intro integrieren und schneller bei den Moderatoren sein.

Peter Frey, Chefredakteur des ZDF seit April 2010, in seinem Büro. Auf dem Schreibtisch eine Amerika-Fahne als Erinnerung an seine Zeit als ZDF-Korrespondent in Washington.

Und wie wollen Sie künftig mit den 3D-„Erklärräumen“ umgehen? Die große Innovation, als solche sie ja angekündigt war, hat sich dank der komplexen Technik in der tagesaktuellen Praxis bisher als kaum praktikabel erwiesen.
Das sehen wir anders. Wir haben immerhin als erste im deutschen Fernsehen eine solche Technik eingeführt, wir müssen allerdings auch lernen, damit umzugehen. Mein Eindruck ist, dass wir darin immer besser werden. Wir wissen aus der Zuschauerforschung, dass unser Publikum erklärende Elemente in den Nachrichten schätzt. Wir leben schließlich in einer Welt, die immer schwieriger und komplexer wird. Und die kann das Fernsehen mit neuen Technologien besser als jemals zuvor erklären. Wir werden die Dinge formal ein wenig anders umsetzen. Das „auslandsjournal“ zum Beispiel geht da einen guten Weg: Die Kollegen setzen Illustrationen in eine Art große Klammer. So etwas werden wir in den Nachrichten auch machen, damit der Maßstab zwischen dem Moderator und den Dingen, die von ihm erklärt werden, deutlicher wird.

Zu ihrem ersten Ziel, den programmprägenden Köpfen mehr Raum zu geben. Führt das nicht zu Kollisionen – so wie kürzlich als Marietta Slomka im „heute-journal“ ihre eigene nachfolgende Afrika-Doku bewarb?

Hat Sie das gestört?

Das war zumindest seltsam – und wirkte ein wenig wie eine One-Woman-Show.
Das ZDF ist ja nun wirklich keine eine One-Man- oder One-Woman-Show. Und ich finde es gut, wenn ein Moderator seine Weisheit nicht nur aus der Lektüre von Zeitungen und Agenturmeldungen zieht, sondern durch ganz reale Reporter-Erfahrungen in der wirklichen Welt. Das kann seiner Glaubwürdigkeit nur dienen.

Schwebt Ihnen da eine Doppelrolle wie die von Peter Kloeppel bei RTL vor, als Anchorman und Reporter?
Was bei den Konkurrenten oder im Ausland erfolgreich ist, warum sollte man das nicht auch selber machen? Auch Claus Kleber war schon in ähnlichen Rollen unterwegs, mit „Die Bombe“ und anderen großen Reportagen. Das nächste Projekt ist schon auf dem Weg. Steffen Seibert hat viele andere ZDF-Sendungen präsentiert. Und ich selber habe als Hauptredaktionsleiter der Außenpolitik auch Reisereportagen gemacht – zusätzlich zur Moderation des „auslandsjournal“. Das stärkt die Rolle eines Moderators einer Studiosendung.

Mit der Konzentration auf weniger Köpfe schwinden aber doch die Möglichkeiten für Nachwuchskräfte?
Nein. Und Marietta sehe ich keineswegs als alte Reporterin mit angegrauten Haaren. Ihre Reportage „Afrikas Schätze“ war übrigens überaus erfolgreich, mit in der Spitze fast 25 Prozent Markanteil. Übrigens mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an jungen Zuschauern, bei denen diese Form offenbar sehr gut ankommt. So jung wie an diesem Abend war das Informationsprogramm des ZDF schon lange nicht mehr!

Bloß: Wo soll sich jetzt der Nachwuchs ausprobieren können, wenn im Zweiten nur noch handverlesene Allrounder zu sehen sein werden?

Wenn Sie unser Programm anschauen, werden Sie sehen, dass wir viele Flächen haben, auf denen sich auch jüngere Kolleginnen und Kollegen entwickeln können. Das gilt für das „Morgenmagazin“ oder Sendungen wie „heute in Europa“, aber auch für Produkte, die Online und Fernsehen verbinden. Gerade hier – mit den Kurznachrichten „100 Sekunden“ oder Sonderformaten wie „Erst fragen dann wählen“ – geben wir Jungmoderatoren die Möglichkeit, erste Schritte zu machen. Auch im Sport finden Sie sowohl in Hauptprogramm als auch in Begleitsendungen wie „Infolympia“ eine Reihe ausgesprochen junger Gesichter.

Theo Koll haben Sie neben dem Auslands- auch das Inlandsressort unterstellt. Planen Sie jetzt mit Super-Redaktionen?

Diese Zusammenlegung war jedenfalls ein wichtiger erster Schritt. Der lag auf der Hand, als Bettina Schausten nach sieben Jahren die Leitung der Hauptredaktion „Innenpolitik“ abgab. Da ergab sich eine Chance, nicht nur die Köpfe zu konzentrieren, sondern in den Redaktionsbereichen Dokumentationen, Sondersendungen und Europa Kräfte zusammen zu führen.

Die nächste Gelegenheit steht ja bald an, wenn Ekkehardt Gahntz, der Leiter „Wirtschaft und Recht“, im August in den Ruhestand geht. Wird Kolls Reich weiter wachsen?
Nicht in diese Richtung. Wirtschafts- und Finanzpolitik sind eine ganz eigene Disziplin, die spezielle Fachkenntnisse voraussetzt. Aber ich habe zu meinem Antritt gesagt, dass alle Sendungen auf dem Prüfstand stehen, und damit auch ihre redaktionelle Organisation.

Update: Am 9. Juli gab das ZDF bekannt, dass Michael Opoczynski neuer Leiter der ZDF-Hauptredaktion Wirtschaft, Recht, Soziales und Umwelt wird.  Opoczynski übernimmt die neue Aufgabe zum 1. September 2010 und wird weiterhin das Magazin WISO moderieren.  Michael Opoczynski (Jahrgang 1948) arbeitet seit 1980 beim ZDF, wo er zunächst als freier Mitarbeiter im Landesstudio Hessen und später als Redakteur in der Hauptredaktion Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik arbeitete. Anfang 1991 übernahm er in diesem Bereich die Leitung der Redaktion Dokumentationen/Reportagen. Seit Oktober 1992 leitet er die Redaktion WISO und präsentiert das gleichnamige Magazin.

Und ich merke an den Reaktionen auf die Zusammenlegung von Innen- und Außenpolitik, dass vor allem junge Kollegen sehr froh darüber sind, dass sich mit einer solchen Zusammenlegung auch neue Arbeitsmöglichkeiten ergeben. Davor braucht man keine Angst zu haben. Und übrigens: Mit der neuen zusammengefassten Hauptredaktion gewinnt das Thema Politik im ZDF an Gewicht.

Schmuckloser Rahmen: Daniel Bouhs, Annette Milz beim Interview mit Peter Frey (rechts: Assistentin Shakuntala Banerjee) im ziemlich nüchternen Chefbüro.

Wird da der Flaschenhals für neue Ideen nicht immer enger?
Manche Arbeitsaufteilung, die wir bisher praktiziert haben, war nicht besonders sinnvoll: Über US-Präsident Obamas Arbeit in Amerika berichtete die HR Außenpolitik. Traf er die Kanzlerin in Dresden, war die HR Innenpolitik dran. Dass die Kollegen jetzt zusammenarbeiten, sehe ich als Vorteil. Und nochmals zum Nachwuchs: der hat bei uns bessere Möglichkeiten denn je. Wir haben 35-jährige VJs, die schon auf fast allen Kontinenten unterwegs waren. Solche Chancen müssen Sie in anderen Sendern erst einmal finden!

Wie soll sich das im Programm äußern?
Immerhin haben wir jetzt auch die Möglichkeit, beispielsweise das Thema Europa nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch anzugehen – ein Thema, das mich sehr umtreibt. Wir brauchen Sendeplätze, um Themen wie beispielsweise den Streit Merkel-Sarkozy zur Wirtschaftsregierung besser auf den Grund gehen zu können. Bloß in den Polit-Formaten wie „Berlin direkt“ oder „Länderspiegel“ gelingt das nicht, das zeigt die Erfahrung.

Wie groß ist Ihr Spielraum, dafür auch neue Formate zu schaffen?
Der Chefredakteur ist aufgerufen, das ZDF-Hauptprogramm zu prägen. Darüber hinaus hat er den Infokanal und Online. Aber ich glaube, dass wir auch über neue Dinge nachdenken müssen und beim Gespräch über eine Reform des Programmschemas nicht nur Kästchen hin- und herschieben sollten.

Wenn alles auf dem Prüfstand steht: Wie sieht es denn mit dem Profil der Magazine aus? Nehmen wir mal das neue Format „ZDF.reporter unterwegs“, bei dem auffällt, dass es ganz ähnliche Recherchen wie „Frontal 21“ angeht.
Das sehe ich anders. Ich schätze an den „ZDF.reportern“, dass sie lebensnah sind und gesellschaftspolitische Themen mit einer Direktheit angehen, wie man es in anderen Stellen unseres Programms nicht findet. Die neue Form „ZDF.reporter unterwegs“ ist sehr gelungen, wenn sie sich mit mehreren Beiträgen auf ein Thema konzentriert, wie zuletzt zum Thema Gesundheitspolitik. Trotzdem gibt es bei unseren Magazinen – auch zwischen Frontal 21 und den Reportern im Studioformat – in der Tat Überschneidungen, die meiner Meinung nach nicht sein müssen. Deshalb habe ich meine Kollegen gebeten, zu überlegen, was die Einzigartigkeit, der unique selling point, ihrer Magazine ist.

Gleichen die ZDF-Reporter nicht „Panorama – die Reporter“ im NDR-Fernsehen, das früher da war?
Im Fernsehen wird selten etwas ganz neu erfunden. Aber trotzdem müssen Sender neue Formen für sich entdecken und implementieren. Ich finde jedenfalls den Weg erfolgversprechend, den die Reporter eingeschlagen haben.

Was halten Sie eigentlich von einem investigativen Reporterpool, wie ihn der NDR eingerichtet hat?
Ich bin skeptisch gegenüber Organisationseinheiten, die nicht direkt an Sendungen angebunden sind. Wir haben das im ZDF in einem Fall, nämlich dem Reporter-Pool, für kurzfristige aktuelle Einsätze. Ansonsten arbeiten wir mit „Task-Forces“, die sich etwa mit Doping beschäftigen. Mit der Idee einer investigativen Einheit, die freischwebt und sehen muss, wo sie ihre Erkenntnisse unterbringt, kann ich mich nicht so richtig anfreunden. Wir haben mit „Frontal 21“ ja auch ein investigatives Magazin, dessen Recherchen durchaus in andere Sendungen einfließen. Deshalb glaube ich nicht, dass wir noch eine gesonderte investigative Einheit brauchen.

Die politische Berichterstattung des ZDF steht ja nach der „Causa Brender“ unter besonderer Beobachtung. Welche Leitlinie wollen Sie ihr geben?
Da kann ich leider nicht mit Originalität dienen, sondern nur sagen, dass ich mich in der Tradition meiner Vorgänger, von Reinhard Appel über Klaus Bresser bis Nikolaus Brender, sehe: Unsere Glaubwürdigkeit entsteht in erster Linie aus unserer Unabhängigkeit. Und die müssen wir in unserem Programm umsetzen. Das bedeutet: erst einmal muss man berichten, was ist. Zweitens erklären, warum das passiert ist. Und drittens mutig, klar und originell kommentieren. Auch das gehört zur 100-Tage-Bilanz: Wir machen mehr Kommentare und sind deutlicher geworden.

Wie oft wurden Sie denn bisher aus dem Verwaltungs- und Fernsehrat angerufen?
In den ersten 100 Tagen haben mich genau zwei Anrufe erreicht und die hatten jeweils einen Punkt. Damit kann ich leben.

…also noch Ruhe vor dem Sturm? Wie gehen Sie damit um?
Ich sehe das nicht als Ruhe vor dem Sturm. Die Signale, die man aussendet, werden auch draußen gehört. Die Gremien haben die Funktion, unser Programm im Auftrag der Gesellschaft kritisch zu spiegeln. Wenn es da Anmerkungen geben sollte, müssen wir uns dem stellen. Ich folge aber auch in dieser Sache dem Vorbild Brenders: Ich werde mich nicht fest einem der Freundeskreise zuordnen. Der Chefredakteur soll hier unabhängig bleiben und sich nicht verorten lassen.

Dieses Bild mit dem Schriftzug "Freytag" als Anlehnung an seine Internet-Kolumne "Freytag"als Berliner Bürochef erhielt der ZDF Chefredakteur zum Abschied aus Berlin.

Sie wollen ein „sichtbarer“ Chefredakteur werden und haben dafür gleich das Format „Was nun…?“ häufiger ins Programm gehoben. Wird das ein festes Frey-Format?
Ich will nicht sagen, dass dieses Format ausschließlich auf den Chefredakteur zugeschnitten sein soll. Da verstehe ich mich zu sehr als Teamplayer. Und mit Bettina Schausten bringt die Hauptstadtchefin ihre Kenntnisse in die Sendung ein. Mir ging es erst einmal darum, das zugespitzte Gespräch mit einem Menschen in einer Entscheidungssituation, und das steckt ja hinter der Frage „Was nun…?“, wiederzubeleben. Das ist mit den Krisen, die wir durchleben, auch notwendig geworden. Aber auch diese Sendung braucht Erneuerung, und das gehen wir an. Wir verknüpfen „Was nun…?“ mit Online: Die Rubrik der Satzergänzungen spielen wir ins Netz weiter und bitten unsere Nutzer, uns Anfänge für Satzergänzungen vorzuschlagen, samt Ranking. Gleiches gilt für Fragen der Nutzer. Unsere Zuschauer haben diese Möglichkeit, sich über das Internet in die Sendung einzubringen, begeistert angenommen. Gleich bei den ersten beiden Malen waren mehrere Tausend beteiligt.

Die ARD bringt von Herbst 2011 sogar fünf Mal die Woche Talk-Formate und holt sich für den Sonntagabend Günther Jauch an Bord. Ist Talk für Sie überhaupt noch ein Thema – oder ein Format von gestern?
Ich könnte mir denken, dass das, was da in der ARD von montags bis donnerstags geplant wird, zu einem Stück Kannibalisierung führt. Es werden doch sehr gleichartige Kollegen auf ein gleichartiges Talkpersonal zugehen. Ich bin gespannt, ob die sich einigen können, wer zu Beckmann geht und wer zu Plasberg, Will und Maischberger, oder ob’s ein Hauen und Stechen gibt. In meiner Verantwortung haben wir nur eine Talkshow, nämlich die von Maybrit Illner. „Die ist gut für drei“, hat „Spiegel Online“ ausgerechnet zum 60. Geburtstag der ARD geschrieben. Der Meinung bin ich auch!

Wird es ein Problem, wenn Anne Will gegen Maybrit Illner gesetzt wird?
Wir scheuen keine Konkurrenz. Die Gleichförmigkeit könnte für die ARD zum Problem werden. Ich finde, dass wir im ZDF verschiedenartiger aufgestellt sind – und damit interessanter. Und bei uns gibt es auch neue Ideen. Nehmen Sie, was unsere Kollegen vom Infokanal bei den letzten Wahlen gemacht haben: Im crossmedialen Format „Erst Fragen, dann wählen!“ haben sie ein wirklich interessantes Experiment gewagt, in dem sich die Sendung über eine lange Zeitschiene von 90 Minuten mit einer Person auseinandergesetzt hat – Fragen und Einwürfe von jungen Leuten aus dem Web und Studio inklusive. Das fand ich witzig, teils unverhofft. Genau diese Farbe könnte ich mir auch im Hauptprogramm vorstellen.

Im Gegensatz zu ZDFneo, das aktiv auch mit neuen Formaten von der Programmdirektion gepusht wird, nährt sich der Info-Kanal aber im Wesentlichen von Wiederholungen. Warum aktivieren Sie diesen Sender nicht mehr?
Das hängt vom Geld ab, das uns zur Verfügung steht. Deshalb werden nicht alle Blütenträume wahr. Bisher hat die Chefredaktion ihre Kräfte vor allem in den Online-Bereich gesteckt. Aber auch der Infokanal braucht sein eigenes Gesicht und seine eigene Identität. Beides hat er bisher nicht gefunden. Mir schwebt vor, dass der Infokanal Online- und Fernsehwelt intensiv verknüpft, künftig also ein Fernsehkanal wird, der vieles von dem abbildet, was sich bei uns online tut. Und der so oft wie möglich den Dialog zwischen Fernsehen und den Usern ermöglicht. Wir denken auch darüber nach, aus den Zuschauer-Rankings „Am besten bewertet“ und „Am meisten gesehen“ unserer Mediathek automatische Playlists für den Infokanal zu generieren, also ein ständiges Best-of unserer Informationssendungen.

Wie schnell wollen Sie das schaffen?
Wir werden im August zu einer Programmklausur zusammenkommen. Dann müssen wir die nötigen Entscheidungen treffen und umsetzen. Ich hoffe, dass erste Fortschritte Anfang des nächsten Jahres zu sehen sein werden. Ob wir aber für den Ausbau des ZDF-Infokanals so viel Geld in die Hand nehmen können, wie wir das für ZDFneo gemacht haben, kann ich nicht versprechen.

Nun sparen Sie im Hauptprogramm ja Geld ein, mit dem Verzicht auf Boxen …
… was etwa 20 Millionen Euro entspricht. Aber ganz ehrlich: Im Zusammenhang mit Sportrechten vom Sparen zu reden, geht nicht auf.

Sehen Sie andere Bereiche, in denen Sie noch sparen können?
Nein. Wir sind sehr ambitioniert vorgegangen und haben uns breit aufgestellt: Als Ein-Kanal-Angebot funktioniert das ZDF nicht mehr. Deshalb war es richtig, sich auch digital aufzustellen. Dafür ist nach mehreren Sparprogrammen im Haus jetzt der Speck weg. Wir müssen deshalb Strukturen schaffen, die zwischen den verschiedenen Plattformen Synergien herstellen. Wenn uns das nicht gelingt, wird’s schwer!

Das ZDF will ja mit den Spartensendern wie ZDFneo vor allem junge Zuschauer locken. Behindert das nicht eine Verjüngung des ZDF-Hauptprogramms, das schon als „Kukident-Sender“ gilt, auch bei der werbetreibenden Wirtschaft?
Wenn man von der Verjüngung des ZDF spricht, wird man ganz bescheiden. Wobei das uns ebenso geht wie den Kollegen von der ARD, den Qualitätszeitungen, Parteien, Vereinen und Kirchen. Wir sind da Teil eines großen gesellschaftlichen Trends, einer Entkopplung der jüngeren Generation von den etablierten Organisationen unserer Gesellschaft. Allerdings sehen wir auch, dass wir zum Beispiel nach großen Sportstrecken mit Dokumentationen oder anderen qualitativ hochwertigen Programmen junge Zuschauer halten können.

Ihr Rezept?
Verjüngung kann nur funktionieren, wenn wir uns auf die Lebenswirklichkeit der jüngeren Leute im Programm zubewegen. Formal wie inhaltlich: Die Themen, die diese Generation beschäftigen, müssen bei uns vorkommen. Aber wir müssen auch ein Missverständnis klären: Wenn wir von der jüngeren Generation sprechen, dann meine ich die Generation der Vierzigjährigen. Also die Mitte der Gesellschaft, die die Fernsehgebühr zahlen. Wenn wir die halten und neue dazugewinnen, bin ich ja schon zufrieden.

Was muss sich dazu ändern?
Fragen von Partnerschaft, des fairen Ausgleichs der Geschlechter, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch neue Familienmodelle spielen in unserem Programm eine zu geringe Rolle, wenn man mal von der Reihe „37 Grad“ absieht. Im menschlichen Bereich – auch wenn ich an die Beziehung zwischen alten Eltern und ihren mittelalten Kindern denke –spielen sich heute Dramen ab, Stichworte: Pflege, Vereinsamung, Verantwortung füreinander. Da steckt eine Menge Stoff für journalistische Annäherung. Und viele Mitarbeiter im ZDF sind selbst erst zwischen 30 und 45, also jünger als ich. Sie müssen dafür kämpfen, dass die Themen, die sie am Küchentisch oder mit Freunden diskutieren, auch stärker bei uns im Programm vorkommen.

Denken Sie da auch an personelle Veränderungen? Im mediummagazin-Fragebogen haben Sie Anfang des Jahres gesagt, es gebe zu wenig weibliche Führungskräfte. Wie wollen Sie das im ZDF ändern?
Da muss man gar nicht lange überlegen: Indem man Frauen häufiger in Führungspositionen hereinholt. Beispielsweise hole ich jetzt mit Yvette Gerner als Chefin vom Dienst der Chefredaktion eine Kollegin in mein Team. Und dank einer gezielten Förderung schon von Nikolaus Brender sind viele Chefposten der Landesstudios mit Frauen besetzt. Allerdings sehe ich, dass die Frauen mit weniger Push in Führungspositionen drängen und sie häufiger Kompromisse zugunsten der Familie machen. Leider haben wir nach dem Weggang von Bettina Schausten keine Leiterin einer Hauptredaktion mehr, dafür ist mit ihr zum ersten Mal der Chefposten des Hauptstadtstudios mit einer Frau besetzt. Das ist doch schon mal was!

Planen Sie auch neue Formate? Womöglich nach dem Vorbild von „WISO“, das in der „Mitte der Gesellschaft“ ja auch Erfolg hat?
Ja, „Wiso“ ist ein sehr erfolgversprechendes Beispiel. Aber wie in vielen anderen Sendungen sind die Protagonisten, ob Moderatoren oder Ratgeber, häufig älter. Ein entschiedener Schritt würde an dieser Stelle vielleicht helfen. Ich bin übrigens überzeugt, dass auch ältere Leute, das Stammpublikum des ZDF, gerne sehen, wie die Generation ihrer Enkelinnen und Enkel lebt.

Sind auch Formate wie der RTL-Schuldenberater oder die Super-Nanni für Sie denkbar?
Den
kbar ja, aber die Erfahrung lehrt: So etwas funktioniert bei uns schwerer als bei anderen Kanälen. Wir haben längst an verschiedenen Stellen im Programm versucht, in das Thema Coaching einzusteigen. Manchmal haben wir zudem das Gefühl: Je jünger die Machart einer Sendung ist, desto älter wird das Publikum. Die jüngere Generation erwartet solche Formate ganz einfach nicht bei uns. Deshalb sehe ich eher einen Weg darin, traditionelle Markenkerne des ZDF zu nutzen und im Inneren zu verjüngen. Nehmen wir „Berlin Direkt“, das ich bis März selbst betreut habe. Dieses schon rund 30 Jahre alte Politikformat kommt mit seiner Machart auch bei Jüngeren mehr und mehr gut an. Ähnliches gilt für das „auslandsjournal XXL“ oder „Aktenzeichen XY“, das im Bereich meines Kollegen Thomas Bellut liegt.

Was betrachten Sie denn als Treffer in die richtige Richtung?
„Afrikas Schätze“ hatte ich ja schon erwähnt. Auch Claus Klebers „Die Bombe“ lief gut. Wir sehen, dass diese Presenter-Formen, die jetzt auch bei den „ZDF.reportern“ und bei „ZDF.umwelt“ eingesetzt werden, gut bei jungen Leuten ankommen. Da sehen wir Fortschritte. Und ich sage noch einmal: Auch das neue Nachrichtenstudio bewegt sich nicht im luftleeren Raum, sondern ist ebenfalls ein Versuch, das ZDF mit einer modernen, eng an die Ästhetik des Internets angelehnten Präsentation zu verjüngen, und zwar nicht an der Peripherie, sondern an der Wirbelsäule des Informationsprogramms.

Zwei ZDF-Stücke, die hochgelobt wurden, kamen von Ihrem „Frontal 21“-Chef Claus Richter und vom ehemaligen „Spiegel“-Chef Stefan Aust – eine Doku über den Krieg in Afghanistan und die Reihe „Wettlauf um die Welt“. Wollen Sie diese Art einer „Public-Private-Partnership“ fortführen?
Ja. Wir haben mit Aust auch zusammengearbeitet, als er noch bei „Spiegel TV“ war. Mit denen machen wir übrigens sehr gute Erfahrungen. Auch die Slomka-Serie war eine Produktion von „Spiegel TV“.

Stefan Aust ist jetzt aber an N24 beteiligt. Ein Problem?
Wir haben in Kooperation mit Stefan Aust und Frontal 21 schon mehrere preisgekrönte Filme realisiert. „Der Fall Deutschland“ hat den deutschen Fernsehpreis gewonnen, „Wettlauf um die Welt“ hat mehrere renommierte Auszeichnungen erhalten. Wenn interessante Angebote auf meinen Tisch kommen, sehe ich keinen Grund dafür, ihm jetzt den Stuhl vor die Tür zu stellen. Insofern würde ich die Zusammenarbeit gerne fortsetzen. Ich glaube außerdem, dass ihm bewusst sein wird, dass das ZDF als Abspielplattform für seine Hervorbringungen am Ende erfolgversprechender sein dürften als ein Spartenkanal. Gleichwohl muss man feststellen: Der Film „Sterben für Afghanistan“ war von hoher Qualität und entsprechend sehr aufwändig, er hatte es aber auf einem sehr guten Sendeplatz gegen die starke Konkurrenz auch sehr schwer. Das gehört zu den ernüchternden Erkenntnissen, die auch in eine Diskussion um ein neues Programmschema mit einfließen müssen.

Wie soll das aussehen, werden Sie die Dokumentationen von Ihrem Sendeplatz nach Mitternacht befreien?
Na ja, das ZDF muss erfolgreich bleiben. Das heißt auch, Erfolg bei den Marktanteilen, zu dem auch die Chefredaktion einen Beitrag leisten muss. Aber trotzdem: Eine 30- oder gar 45-minütige Dokumentation nach Mitternacht ist nicht der Platz, den ich mir dafür vorstelle. Da fallen einem unterschiedliche Möglichkeiten ein. Die „ZDF.reportage“ beispielsweise läuft sonntags um 18.30 Uhr ganz gut. Es hat sich aber als Illusion herausgestellt, um 20.15 Uhr mit investigativen Dokus hohe Marktanteile zu erzielen. Das schafft man nur mit royalen oder ganz zugespitzten historischen Stoffen.

Peter Frey zeigt im Gespräch sein Smartphone und das Display spiegelt ihn selbst

Sie haben vorhin auch ihre Ambitionen in Richtung online betont. Wie fit sind Sie selbst eigentlich im Umgang mit Online-Diensten?
Ich habe jedenfalls seit einer Weile ein Smartphone (auf dem Tisch liegt ein HTC), allerdings nur ein „iPhone für Arme“ (lacht). Aber ich sehe durchaus mit einiger Irritation, wie da eine Art von Abhängigkeit entsteht. Ich lese jetzt ständig E-Mails und bin pausenlos auf Webseiten unterwegs, bin insofern ein echter Kunde für das mobile Internet. Bei sozialen Netzwerken bin ich aber noch zurückhaltend. Ich weiß momentan nicht, woher ich dafür noch die Zeit aufbringen soll.

Haben Sie schon mal getwittert, nutzen Sie Facebook?
Nein – und zwar bewusst. Ein Leben an der öffentlichen Pinnwand reizt mich persönlich nicht, ich möchte mir ein Stück Privatheit bewahren. Auch wenn mir neulich ein Kollege sagte, die Link-Tipps seiner Freunde auf Facebook seien ihm inzwischen wichtiger als die tägliche Zeitungslektüre. Ich sehe gleichzeitig aber auch, dass Facebook für uns unglaublich wichtig ist: Der „heute“-Sendung folgen gut 50.000 User – als Zuschauer und Kommentatoren unserer Nachrichten und TV-Tipps. Das ist ein ganz wichtiger Gradmesser dafür, was bei den Leuten ankommt. Um das besser zu integrieren, habe ich auch unsere Konferenz umgebaut: Nach der Themenvorstellung für die „heute“-Nachrichten im TV stellen jetzt die Onliner ihre Themen vor und sagen auch, welches Thema beim Facebook-Auftritt der „heute.de“ auf besondere Resonanz stößt. Also, ich werde mir das im Urlaub von meiner Tochter zeigen lassen – und wer weiß, vielleicht bin ich bei unserem nächsten Gespräch auch bei Facebook „drin“.

Verändert diese Entwicklung die Berufsbilder?
Sicher. Wir entwickeln gerade eine Plattform, mit der unsere Redakteure sehr einfach Webseiten anlegen können. Das werden wir voraussichtlich im Herbst einführen. Dann werden die Fachredakteure, die bisher nur TV-Beiträge erstellt haben, ihr Wissen auch im Netz umsetzen können. Wenn wir uns angesichts knapper Mittel nach der Decke strecken müssen, dann heißt das für mich auch: geteilte Verantwortung. Warum sollte zum Beispiel der Schlussredakteur der 12-Uhr-„heute“ nicht auch bis 12 Uhr für die Bespielung von heute.de zuständig sein?

Wie halten Sie es eigentlich mit freien Mitarbeitern, wie es die meisten Moderatoren sind, und Nebentätigkeiten?
Da müssen wir uns mit dem konkreten Fall befassen. Aber das Thema Nebentätigkeiten beschäftigt die Chefredaktion schon seit einigen Jahren. Ich habe mir vorgenommen, mit meinen Kollegen in einer der nächsten Sitzungen über entsprechende Richtlinien zu sprechen. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass Kollegen Nebentätigkeiten ausüben, solange sie keinen werblichen Charakter haben und die journalistische Glaubwürdigkeit nicht gefährden. Ich finde, es gibt eine pragmatischen Überlegung: Wenn nicht ein ZDF-Gesicht vorträgt oder moderiert, kommt ein Kollege der ARD oder von RTL. Damit kann auch ein Stück öffentliche Bindung an das ZDF verloren gehen. Aber natürlich kommt es sehr auf den einzelnen Fall an: Was ist das für eine Veranstaltung und wie hoch ist das Honorar? Gibt es regelmäßige Verpflichtungen vom gleichen Auftraggeber? In welchem Verhältnis steht es zum Einkommen, das man vom ZDF erhält? Wir haben schon jetzt ausgeklügelte Richtlinien, die Transparenz schaffen. Aber wir müssen, vielleicht in einer Art Selbstverpflichtung, uns die Kriterien noch klarer machen.

Katrin Müller-Hohenstein als Schirmherrin des Weihenstephan-"Qualitätsbeirats". Das Engagement wurde nach der Kritik von Peter Frey im mm-Interview beendet.

Als Johannes B. Kerner, damals noch in ZDF-Diensten, für AirBerlin warb, hat ihr Vorgänger laut auf den Tisch gehauen. Jetzt gibt es wiederum in ihrem Bereich mit Katrin-Müller Hohenstein ein ZDF-Gesicht, das für die Molkerei Weihnstephan wirbt. Ist das kein Problem?
Sie haben Recht: Ihr Internet-Auftritt auf den Seiten von Weihenstephan ist nicht glücklich und kann so nicht bleiben. Er entspricht nicht den Vorstellungen des ZDF von Auftritten seiner journalistischen Köpfe. Diese Einschätzung habe ich Frau Müller-Hohenstein mitgeteilt. Sie ist mit den Verantwortlichen im Gespräch. Ich gehe davon aus, dass dieser Internet-Auftritt schon bald Geschichte ist.

Update: siehe auch Katrin Müller-Hohenstein bedauert ….

Woran soll man Sie eigentlich messen, wenn Intendant und Verwaltungsrat in vier Jahren über eine Verlängerung Ihres Vertrages diskutieren?
Dass die Zuschauer Spaß am ZDF haben und wir für sie eine erstklassige Informationsquelle bleiben. Dass sie das Gefühl haben, da sind Journalisten am Werk, die ihr Handwerk verstehen und die sich nicht verbiegen. Und dass unsere Zuschauer spüren: Da ist ein Sender auf der Höhe der Zeit unterwegs.

Verknüpfen Sie das mit irgendwelchen Kenngrößen wie Marktanteilen oder dem Durchschnitts-Alter des ZDF-Zuschauers?
Nein. Da habe ich was vom Kanzler Schröder gelernt. Der wurde sieben Jahre an einer Arbeitslosenzahl gemessen, die ihm in einem interview rausgerutscht war. So konkrete Versprechungen meidet man also besser. Aber zu einem stehe ich: Wir müssen Erfolg und Qualität auch in Zukunft zusammenbringen.