Die „süßeste Form des Erfolgs“

Zusätzlich zum  Titelinterview „medium magazin“ 10-11/2010, in dem  Wolfram Weimer seine Vision und Ziele für „Focus“ erklärt,  äußerte sich der Nachfolger von Helmut Markwort in der „Focus“-Chefredaktion  auch …

Wolfram Weimer, Chefredakteur "Focus"
Wolfram Weimer, der Nachfolger von Helmut Markwort als Chefredakteur "Focus"

…ZUM PROFIL VON „FOCUS“:

Medium Magazin: Nehmen wir mal an, der „Focus“ wäre ein Mensch. Wie würden Sie ihn und seine aktuelle Lebensphase beschreiben?
Wolfram Weimer: Der „Focus” ist ein freundlicher, kluger Mensch, der gerade vor einem Comeback steht. Das ist bei ihm von besonderer Bedeutung, denn in ihm steckt das Genom des Aufsteigers, des Davids. „Focus” ist 1993 angetreten gegen einen Goliath, den „Spiegel“. Dieser Kampf gegen einen Monopolisten, gegen eine große Macht hat einmal die Kraft des „Focus” ausgemacht und einen Teil seiner Sympathie. Der „Focus“ ist wie seine Leser ein Tatmensch, verliebt ins Gelingen, wie es Thomas Mann einmal genannt hat. Solche Menschen lieben Comebacks ganz besonders. Denn das ist die süßeste Form des Erfolgs.

Steht es denn so schlimm um den „Focus“, dass er ein Comeback braucht?
Die Notwendigkeit einer Neu-Orientierung betrifft doch alle Nachrichtenmagazine auf der Welt. Ob „Newsweek“, „Spiegel“, „Time“ oder „Focus“ – wir alle sind attackiert durch das Internet. Die Auflagen sind gefallen, die Anzeigenerlöse eingebrochen, und die Welt der Nachrichten findet mittlerweile online statt.

Dabei war „Focus“ einmal das erste Magazin, das Anfang der 90er auf die veränderten Lesegewohnheiten durch das Internet reagiert hat.
„Focus” hat in vielen Facetten sogar Elemente des Internets vorweg genommen: Schnelligkeit, Kleinteiligkeit, grafische Formen, Interaktivität, überhaupt das Visuelle mit Text zu verbinden. Jetzt ist „Focus” auch besonders attackiert durch den Erfolg des Internets. Die Herausforderung ist zentral für die Neupositionierung von „Focus”. Wir finden darauf eine ganz besondere Antwort.

….ZUM NEUEN TITELKONZEPT:

Welche Signale soll das neue Titelkonzept des „Focus” senden?
Hintergründigkeit und Experimentierfreude. Zum Beispiel: Seit Anfang Oktober erscheint „Focus“ für sechs Wochen mit zwei Covern, die aufeinander folgen, die beide auf Cover-Papier gedruckt sind und aufeinander Bezug nehmen. Das
ist, wenn man so will, eine spielerische Form, mit dem Cover umzugehen.
Und sie hat mehrere Vorteile. Zum einen ist es ein Signal der Hintergründigkeit: Alles Wichtige hat zwei Ebenen, also zwei Cover. Zum anderen lädt es ein zu einer kreativen Form der Cover-Inszenierung – Vorher-Nachher, Erweiterungen, Widersprüche, Humoresken.

Und im „Zeit-Magazin“ hat es sich auch bewährt.
Das stimmt, aber unter anderen Voraussetzungen. „Focus“ ist das erste Magazin, das mit einem Doppel-Cover-Konzept an den Kiosk geht. Das wird Menschen neugierig machen, auch solche die vielleicht gar nicht „Focus” lesen, aber dann das Heft in die Hand nehmen, weil sie wissen wollen: „“Was machen sie denn diesmal für ein Doppel?“

Aber genau das ist doch eher eine Hürde: Um das Prinzip des Doppelcover erfassen, muss der Leser das Heft in die Hand nehmen. Wie soll das am Kiosk funktionieren?
Ich kann mir vorstellen, dass das Doppel-Cover Erfolg zeigt, weil die Leute neugierig werden und merken: Bei „Focus” passiert was, die sind experimentell, die wagen neue Sachen, da herrscht einfach ein neuer kreativer Geist. Wir wollen Dinge ausprobieren. Das Doppel-Cover ist sowohl Signal als auch Frucht der Experimentalkultur, die beim „Focus” nun eine größere Rolle spielt.

Es fällt auf, dass männliche Köpfe auf dem Titel dominieren. Inwieweit gehört das auch zum neuen Konzept?
Wir sprechen in der Regel eine besondere Leserschaft an. Tatmenschen, die etwas erreichen wollen. Das sind sowohl Frauen als auch Männer. Wir legen einen Akzent auf Personalisierung und das soll man auch auf dem Cover sehen. Wir wollen zeigen, welche Personen und Themen derzeit wirklich im Gespräch sind.

…ZUR POLITISCHEN POSITIONIERUNG:

„Focus” wirbt mit dem Slogan „Eine Frage der Haltung“. Auch eine Frage der parteipolitischen Haltung?
Natürlich haben wir in einem erweiterten Politikbegriff eine Haltung. In Deutschland gibt es zwei Nachrichtenmagazine und das eine, der „Spiegel“, rückt seit einiger Zeit wieder stärker nach links, nachdem er über Jahre politische Positionen der Mitte vertreten hat. Das eröffnet dem „Focus“ natürlich die Möglichkeit, die bürgerliche Mitte in Haltungs-, Positionierungs- und Deutungsfragen zu besetzen.

Sind Sie Mitglied einer Partei?
Nein. Parteipolitisch festgelegt zu sein, würde heißen, unjournalistisch zu arbeiten. Der Journalist muss unabhängig sein von jeder parteilichen Bindung, auch von jeder Bindung an Personen. Ich halte auch nichts davon, dass Journalisten Mitglieder von Parteien sind. Dass wir jeder Form von Macht gegenüber immer eine kritische Position haben müssen, ist für mich selbstredend.

Nehmen wir mal ein aktuelles Beispiel: Stuttgart 21 und die Proteste der bürgerlichen Mitte, also der „Focus“-Kernzielgruppe. Welche Haltung bezieht „Focus“ in dieser Frage?
Wenn es so wäre, dass die politische Mitte Deutschlands gegen den Bau von Bahnhöfen wäre, hätten wir ein Problem. Die Mehrheit unserer Leser im bürgerlichen Spektrum ist aber für die Realisierung solcher Projekte, bei denen es um Modernisierung geht. Und dabei sind – unabhängig von diskussionswürdigen Details – zwei Dinge für unsere Leserschaft wichtig: Wenn ein Projekt über 15 Jahre durch alle Instanzen gegangen ist und von den Parlamenten entschieden wurde, dann nach Baubeginn aufgrund den Straßenprotesten einiger tausender Aktivisten gekippt würde, hätten wir ein Rechtsstaatsproblem. Das widerstrebt vielen, die da sagen: Es kann doch nicht sein, dass die Politik jetzt dem Stimmungsdruck der Straße nachgibt. Hinzu kommt die Frage, ob wir uns in Deutschland als das Land des technologischen Fortschritts leisten können, dass solche Projekte in dieser Weise torpediert werden. Da bin ich, wenn Sie so sollen anti-konservativ, denn diese Bewegung in Stuttgart ist zutiefst konservativ, indem sie sich gegen eine demokratisch herbeigeführte Modernisierungsentscheidung richtet. Das meine ich übrigens auch mit bürgerlicher Perspektive, die in den allerwenigsten Fällen etwas mit Parteipolitik zu tun hat.

Sechs Satzergänzungen von Wolfram Weimer:

Die Fußstapfen von Helmut Markwort fülle ich mit…einem guten Heft.

Bei Springer habe ich gelernt…eine große Redaktion zu führen, Konflikte auszutarieren und die Lust an der nachrichtlichen Inszenierung.

Eine Doppelspitze macht…wenn es gut geht ein gutes Heft.

„Kinder, Küche, Kirche“ ist…ein Frauenbild was überholt ist. Ich arbeite sehr gerne mit Frauen zusammen.

Die mir zugeschriebene Bezeichnung „Salonlöwe“ ist…falsch.

Das 20-jährige Jubiläum von „Focus” 2013 feiere ich mit…der Redaktion und einem Verleger, der wohlgefällig auf sein Werk blicken kann.

Interview: Bernhard Hübner, Annette Milz (Das vollständige Interview s. mediummagazin 10-11-2010)
Fotos: Daniel Biskup