„Drohnen haben den Wow-Effekt“

Perlen aus unserem Archiv: MATT WAITE, Gründer des „Drone Journalism Lab“ über den Einsatz der unbemannten Flugkörper im Journalismus

Interview: Anja Tiedge

Mister Waite, ferngesteuerte Spielzeugflugzeuge mit integrierter Kamera gibt es schon lange. Was ist so revolutionär daran, sie für journalistische Zwecke einzusetzen?

Matt Waite: Durch Drohnen bekommen wir mehr Informationen und andere Perspektiven auf Ereignisse. Zum Beispiel bei einem Waldbrand: Darüber haben Reporter bisher auch berichtet – nur eben vom Boden aus. Wir zeigen brennende Häuser, sprechen mit Feuerwehrmännern. Aber wenn wir dank Drohnen künftig auch Bilder aus der Luft zeigen können, wird erst das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar.
In der Tat werden Drohnen den Journalismus aber nicht grundlegend verändern, wie es etwa Smartphones getan haben. Smartphones haben sowohl die Art verändert, wie wir Journalismus machen, als auch die Weise, wie wir Journalismus konsumieren. Das können Kamera-Drohnen nicht. Sie sind Arbeitsgeräte für Journalisten, keine Endgeräte für Konsumenten.

Luftbilder von Waldbränden gibt es jetzt auch schon vom Hubschrauber aus …

… die können sich aber meist nur große Nachrichtensender leisten, weil sie pro Stunde Tausende Dollar kosten und nur von einem ausgebildeten Piloten geflogen werden können. Eine Drohne kostet dagegen ein paar Hundert Dollar, und jeder, der ein bisschen geübt hat, kann sie fliegen. Redaktionen sparen dadurch enorm viel Zeit und Geld.

Wie können Journalisten Drohnen abgesehen von Waldbrand-Bildern noch einsetzen?

Berichte über den Klimawandel, Naturkatastrophen oder Umweltverschmutzungen sind wichtige Einsatzgebiete für Drohnen. Ich werde demnächst mit einigen Kollegen eine Drohne an einem Fluss in Nebraska einsetzen – na ja, eigentlich ist er momentan kein Fluss. Er ist ausgetrocknet. Dort herrscht momentan eine extreme Dürreperiode, vielleicht die extremste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wir nehmen dort Bilder mit einer Drohne auf, um zu zeigen, dass es den Fluss praktisch nicht mehr gibt. Wenn man die Fotos von einer Brücke aus macht, bekommt man keinen Eindruck vom Ausmaß der Dürre.

Das klingt eher harmlos. Reizt viele Journalisten an Drohnen nicht eher die Möglichkeit, investigativ zu recherchieren?

Absolut. Einen ähnlichen Fall gab es schon: In Texas steuerte ein Hobbypilot eine Drohne über das Gelände eines Fleischwarenherstellers und entdeckte dabei zufällig, dass die Firma Schweineblut in einen Fluss leitete. Das Blut gelangte so in einen anderen Fluss, der für die Trinkwasserversorgung genutzt wird. Das ist für mich investigativer Journalismus vom Feinsten – obwohl es der Pilot ja gar nicht darauf abgesehen hatte, eine Umweltsünde aufzudecken. Er gab der Lokalzeitung aber einen Hinweis, die die Geschichte öffentlich machte.
Darin liegt für viele die Faszination von Drohnen: Sie haben den Wow-Effekt. Ich fliege irgendwo lang und decke einen Skandal auf. Plötzlich werden Fantasien wahr, die wir nur aus Science-Fiction-Filmen kennen. Ich glaube aber, dass wir zu viele von diesen Filmen gesehen haben. Drohnen sind empfindliche technische Geräte, die leicht kaputtgehen und abstürzen. Und die meisten UAVs (Unmanned Aerial Vehicle, unbemannte Luftfahrzeuge, Anm. d. Red.) bleiben nicht länger als 15 Minuten in der Luft, ganz einfach weil die Batterietechnologie noch nicht so weit ist. Wer erwartet, dass man mit Drohnen wie im Film stundenlang Leute verfolgen kann, wird enttäuscht.

Ist Drohnenjournalismus in den USA erlaubt?

Nein, bislang dürfen nur Hobbypiloten Drohnen nutzen. Sie dürfen nicht höher als 400 Fuß fliegen und müssen in Sichtweite bleiben. Und – für Verlage der Knackpunkt – sie dürfen nicht für kommerzielle Zwecke genutzt werden. Es gibt einige wenige, die es ausprobiert haben, zum Beispiel die News-Corp-Zeitung „The Daily“, die speziell fürs iPad entwickelt wurde. Die Redakteure stellten einen spektakulären Drohnen-Film über die Zerstörungen ins Netz, die ein Tornado angerichtet hatte. Kurz nachdem sie ihn hochgeladen hatten, bekamen sie einen Anruf von der FAA (Federal Aviation Administration, die Bundesluftfahrtbehörde der USA, Anm. d. Red.) mit der Aufforderung, ihn zu entfernen. Der Grund: Sie nutzten die Aufnahmen für kommerzielle Zwecke.

Wird sich die Gesetzeslage in absehbarer Zeit ändern?

Ja, 2015 sollen Drohnen in den USA auch für den zivilen, kommerziellen Gebrauch freigegeben werden. Um sich darauf vorzubereiten, wird im Moment viel experimentiert, wie bei uns im „Drone Journalism Lab“. Wir bekommen Anrufe von Journalisten aus dem ganzen Land, die Drohnen ausprobieren möchten, aber nicht sicher sind, ob sie sich strafbar machen. Ich sage dann immer: „Wenn du es im Garten ausprobierst und das Material nicht für deinen Job nutzt, kannst du es legal üben.“

Angenommen, ein Journalist macht 2015 genau das und entdeckt dabei „zufällig“, dass der Nachbar in seinem Garten im großen Stil Marihuana anbaut. Wird er sich strafbar machen, wenn er darüber schreibt?

Das kann ich heute noch nicht beantworten. Genau das ist eine der Aufgaben unseres Instituts: Bis das Gesetz in Kraft tritt, müssen wir herausfinden, ob und wie Drohnen mit der journalistischen Ethik vereinbar sind. Welche ethischen Rahmenbedingungen aus der Vergangenheit gelten nach wie vor? Welche neuen Fragen gibt es? Ich glaube, dass unsere bisherigen ethischen Vorstellungen mit dem Drohnenjournalismus durchaus vereinbar sind. Bislang habe ich mich ja auch nicht vor den Fenstern von irgendwelchen Leuten auf die Lauer gelegt, um heimlich Fotos von ihnen zu machen – warum sollte ich es jetzt mit einer Drohne tun? Diese ethischen Fragen wollen wir aber klären, bevor Journalisten Ärger bekommen.

Fänden Sie es nicht befremdlich, wenn jeder von Ihrem Garten Bilder schießen könnte?

Man braucht keine Drohne, um in meinen Garten zu gucken. Das kann man längst bei Google. Auf Google Earth ist mein Garten schon jetzt bis ins Detail zu sehen. Das stört mich auch nicht, Luftbilder gibt es schon seit Ewigkeiten. Interessant wird es erst, wenn sich jemand auf den Fotos nackt sonnt. Das ist natürlich ein Problem. Die Diskussion um die Oben-ohne-Bilder von Kate Middleton – von denen ich nicht glaube, dass sie mit einer Drohne aufgenommen wurden – trifft es auf den Punkt: Wenn jemand mit Hilfe eines technischen Geräts etwas ethisch Zweifelhaftes oder gesetzlich Verbotenes machen will, dann macht er es. Nichts wird ihn aufhalten. Tatsächlich gibt es aber etwas, das noch viel wichtiger ist als die journalistische Ethik: die Sicherheit.

Die Sicherheit?

Wenn eine Drohne abstürzt und jemanden am Kopf erwischt, kann das wirklich übel ausgehen. Die Rotoren sind groß, sie drehen sich schnell – und sie sind scharf. Sie könnten einen Finger abtrennen. Bislang ist es alles andere als sicher, mit einer Drohne über eine Menschenmenge zu fliegen. Damit bringt man Menschen in Gefahr. Die Sicherheitsfrage ist meines Erachtens im Moment die wichtigste. Wenn wir die nicht lösen, brauchen wir über Ethik gar nicht erst zu reden.

Erforschen Sie im „Drone Journalism Lab“ auch die technischen Aspekte von Drohnen?

Ja, wir bauen Drohnen und testen sie für journalistische Zwecke. So finden wir heraus, wie groß die Kamera sein muss, wie lange die Batterie hält, wie das Fluggerät konstruiert sein muss und wie viel Übung man braucht, um eine Drohne sicher zu fliegen. Die Gelegenheit, eine Technologie erforschen zu können, bevor sie legal genutzt werden darf, gibt es selten. Wir nutzen diese Zeit, um eine Art Handbuch zu schreiben: Wie fliege ich eine Drohne? Was darf ich und was nicht?

Drohnen für Hobbypiloten sind schon für ein paar Hundert Euro zu haben. Wie viel werden Geräte kosten, die sich für journalistische Zwecke eignen?

Ich würde gern eine hochentwickelte Drohne bauen, die weniger als 5.000 Dollar kostet. Da wir kein Hardware-Hersteller, sondern ein Uni-Institut sind, werden wir die Pläne online stellen, wenn wir etwas entwickelt haben. Wer sich eine Drohne bauen will, kann sich dann gern dort bedienen.

Wird Drohnenjournalismus auch in Deutschland salonfähig?

Daran habe ich keinen Zweifel. Ich glaube, dass es in zehn Jahren überall UAVs geben wird – nicht nur in den USA und im Journalismus. Auch Polizisten, Feuerwehrleute, Pipeline-Betreiber, Bauern oder Golfplatz-Betreiber, die ihre Felder und Plätze effizient bewässern wollen, werden sie nutzen. Journalismus ist also nur ein winziger Bereich, in dem wir Drohnen sinnvoll einsetzen können. Deshalb werden sie sich durchsetzen.

 

ZUR PERSON:
Matt Waite ist Professor für Journalismus an der Universität Nebraska-Lincoln. Zuvor arbeitete er viele Jahre als Journalist bei der „St. Petersburg Times“ in Florida und entwickelte das Portal „PolitiFact“, das 2009 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. 2011 gründete er das „Drone Journalism Lab“ an der Universität Nebraska-Lincoln, um zu erforschen, wie Drohnen im Journalismus eingesetzt werden können.

HINWEIS:

Weitere Beiträge zum Thema Drohnen & Journalismus in mediummagazin 10+11/2012:

Was man sonst noch über Drohnen wissen muss, steht hier.

Das Hintergrundstück über Drohnen in der journalistischen Praxis von Moritz Meyer finden Sie hier.

Anja Tiedge ist freie Journalistin in Hamburg.

 Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 48 bis 49 Autor/en: Interview: Anja Tiedge. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.