Ehrgeiz im Journalismus: Gefahr des Egos

Warum Journalistinnen und Journalisten ein Club von Süchtigen sind – und dringend eine Entzugskur bräuchten. Ein Weckruf von Laura Lewandowski.

Laura Lewandowski ist Gründerin und Journalistin. In ihrem Newsletter und als Kolumnistin für Business Insider Deutschland schreibt sie über New Work, die Creator Economy und Persönlichkeitsentwicklung. Sie wurde von u. a. von „medium magazin“ als „Top 30 bis 30“ ausgezeichnet.

Rückblickend ist die Dia­gnose immer einfach. Rückblickend kann ich sagen: Mitte 20 war ich süchtig. Doch hätte mir das jemand damals vorgeworfen: Keine Chance der Einsicht. Damals war ich noch nicht selbstständig. Ich war noch keine selbstpublizierende Medienmacherin, die über New Work schrieb und für mehr Gesundheit im Job plädierte. Ich war Volontärin bei der Deutschen Presse-Agentur. 

Damals hatte meine Sucht verschiedene Facetten. Zum Beispiel: immer schneller und besser informiert zu sein als alle anderen. Ständig checkte ich den Newsfeed ab. Twitter, dpa-Ticker, E-Mails. Wiederholung. Denn genau das wurde mir vorgelebt: Es gab Kollegen, die mir aus dem Stand die Schuhgrößen aller Politiker herunterbeten konnten. Nun ja, ich war jung, weiblich, unerfahren. Ich wollte mithalten. Oder die zweite Sucht: so viele Events wie möglich zu besuchen. Und ich nahm alles mit. Von der Mailänder Modewoche bis zum Nato-Gipfeltreffen. Dort sammelte ich die Visitenkarten von CEOs und Spitzenpolitikerinnen wie Briefmarken. Es war kein Problem, auch mal bis vier Uhr morgens zu arbeiten. 

Woher ich die Energie nahm? Gerne würde ich sagen, dass es mir immer nur um die Sache ging. Dass ich immer selbstlos handelte und es ausschließlich die gesellschaftliche Verantwortung war, die mich antrieb. Vielleicht zum Teil. Aber ich will nicht leugnen, dass es sich auch ziemlich gut anfühlte, mit den wichtigen Leuten abzuhängen. Oder exklusiven Zugang zu Informationen zu haben. Vor allen anderen zu wissen, was passierte. 

Dieser Ego-Push ist wie eine Droge. Wie bei jedem Drogensüchtigen ist es auch bei meiner Sucht so gewesen, dass sich der Lebenswandel irgendwann körperlich bemerkbar machte. Bei mir war es die Periode, die über Jahre einfach ausblieb. Nachts im Bett kreisten meine Gedanken. Ich merkte, dass ich etwas ändern muss. Deshalb kündigte ich meinen Job und machte mich selbstständig.

Ich bin davon überzeugt, dass einige der Leser und Leserinnen dieses Gefühl kennen. Und ich lehne mich vermutlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Der Anteil an von ihrem Ego getriebenen Arbeitssüchtigen ist im Journalismus signifikant höher als in anderen Berufen. Es ist fast so, als sei man dem Ganzen ausgeliefert – es ist die Branche, die den Wunsch nach Bestätigung weiter pusht. Der berufliche Erfolg hängt schließlich auch mit der Frage zusammen, wie gut Artikel performen. Und dass wir schneller sind als alle anderen. 

Gleichzeitig erleben wir täglich, wie gut es sich anfühlt, öffentliche Anerkennung für das zu bekommen, was wir über die Welt zu wissen glauben. Beispiel Social Media: bei jedem Like und Retweet wird Dopamin im Hirn ausgeschüttet – ein Gefühl, das süchtig macht. All das ließ eine permanente Angst in mir wachsen, etwas zu verpassen – die berühmte FOMO. Selbst nachdem ich gekündigt hatte, erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich jede Push-Nachricht auf meinem Handy unmittelbar anklickte. Obwohl ich beruflich nicht mehr von News abhängig war, fühlte ich mich noch immer wie ein News-Junkie: Ich wollte mitreden können, wenn sich auf einem Meeting mal wieder das Gespräch in Richtung Politik entwickelte. Ich wollte eine Meinung zu diversen Dingen haben. Dazu kam plötzlich meine wachsende Präsenz auf Social Media mitsamt dem Algorithmus, der meine Sucht befeuerte. War ich noch ich selbst? 

Kürzlich habe ich mich mit Gerald Hüther über die Verlockungen der Medien unterhalten. Er ist einer der renommiertesten Neurobiologen Deutschlands. Mit dem MDR-Journalisten Robert Burdy hat er in diesem Jahr das Buch „Wir informieren uns zu Tode“ veröffentlicht. Hüther sagt, es mache evolutionär überhaupt keinen Sinn, ständig über alles informiert zu sein. „Informationen, die nichts bewirken, sind Gewäsch“, sagt Hüther. Heißt: Nur News, die unser Leben direkt beeinflussen, helfen uns weiter – eigentlich.

Trotzdem haben viele – Journalisten und Nicht-Journalistinnen – das Gefühl, immer bei allem mitreden zu müssen. Womit wir wieder beim Thema Sucht wären. Laut Hüther prägt uns Menschen eine innere Bedürftigkeit: Wir wollen dazugehören, das ist ein angeborener Wunsch in jedem von uns. In unserer modernen Gesellschaft müssen wir uns diese Zugehörigkeit jedoch jedes Mal aufs Neue beweisen. Wenn ich meine Meinung zu der Krise im Iran, dem Krieg in der Ukraine oder dem Klimawandel über Social Media teile, dann will ich damit zeigen, dass meine Stimme Relevanz hat – ob sie etwas bewirkt oder nicht.

Ähnlich sieht es Gabor Maté, ein renommierter kanadischer Suchtpsychologe, der jahrzehntelang als Arzt in der Drogenszene Vancouvers arbeitete. Er sagt, die grassierenden Süchte, zu denen auch die Arbeits- und Mediensucht zählen, seien Folge einer allgemeinen inneren Leere, die auf den Wegfall traditioneller Institutionen wie Dorfgemeinschaft oder Kirche zurückgeht. Heute würden wir uns dadurch definieren, was wir machen – und nicht mehr, wer wir sind. Die gute Nachricht: Wenn sich nun jemand in meinen Schilderungen wiedererkennt, ist laut Maté der wichtigste Schritt schon gemacht. Denn dann wurde das Problem erkannt. „Zuzugeben: Ja, ich bin süchtig, das ist das Schwerste“, sagt Maté.

Wie aber ist es mir konkret gelungen, meine Sucht zu überwinden? Zum einen war da meine Kündigung: Durch die Freiberuflichkeit fielen die äußeren Zwänge weg. Und doch war die Gefahr groß, dass die Sucht durch mein neues Leben als Creator noch größer werden würde. Denn wenn ich arbeite, verdiene ich Geld. Bekomme ich Bestätigung. Existiere ich also. Und wenn nicht – ihr kennt die Antwort. Die Rettung in meinem Falle: selbst auferlegte Disziplinarmaßnahmen zum einen. Social Media ist auf meinem Handy etwa den Großteil des Tages tabu. (Dafür habe ich mir eine Sperre auf dem Handy installiert.) Und dann ist da noch etwas anderes, das mein Leben im positiven Sinne auf den Kopf stellte: die Geburt meiner Tochter im Februar dieses Jahres. Seitdem muss ich die wenige Zeit, die mir zur Verfügung steht, maximal effizient nutzen. Sinnloses Durch-Feeds-Scrollen kann ich mir gar nicht mehr leisten. Mich zu jedem Thema äußern und darüber hinaus einlesen, keine Chance. Rückblickend ist es leichter gesagt als getan. Aber wenn ich heute Medien konsumiere, dann konsumiere ich sie wirklich – und die Medien nicht mehr mich. 

https://www.laura-lewandowski.com/

 

Dieser Text stammt aus Ausgabe 06/22 von „medium magazin“ (ET: 21.12.22). Die aktuelle Ausgabe 01/23 mit einem großen Interview mit ARD-Chef Kai Gniffke, einem Hintergrund zur Zerschlagung des Traditionsverlags Gruner + Jahr, dem Dossier „Lokales“ sowie ganz viel Nutzwert für die journalistische Berufspraxis ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk