„Ein großes Experiment“

PR-Blogger Klaus Eck über die politische Kommunikation im Wahlkampf 2009.  (s.a. mediummagazin 9/09) Interview: Matthias Thiele

Herr Eck, welchen Titel würden Sie einem Buch über den Wahlkampf 2009 geben?

Social-Media-Experte Klaus Eck, bekannt auch als "PR-Blogger"
Social-Media-Experte Klaus Eck, bekannt auch als "PR-Blogger"

Klaus Eck: Ein großes Experiment.

Experiment? Inwiefern?
Es wird zwar viel von Social Media gesprochen, aber die Parteien sind weit davon entfernt, sie zu nutzen. Bei den Youtube-Videos der Abgeordneten und Wahlkämpfer wird immer noch Fernsehen gemacht. Der Dialog wird, wenn man sich die Kommentare zu den Youtube-Filmen anschaut, nicht ernstgenommen. Es gibt meist keinerlei Moderation oder es wird geantwortet unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das hat nichts mit dem Wahlkampf zu tun, den Sarkozy und seine Wettbewerber im französischen Wahlkampf gemacht haben und natürlich vor allen Dingen auch Obama in den USA. In Deutschland wird gehüpft und gesprungen, aber es fehlen Konzepte, die über das reine Marketing hinausgehen.

Also ganz abgedroschen: Kommunikation als Einbahnstraße…
Die Politiker verfolgen derzeit noch die Kommunikation, die sie gelernt haben – und das ist ganz klar die Einbahnstraße. Einzelne Politiker versuchen, das aufzubrechen: Mir fällt da Volker Beck ein von den Grünen oder Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD in Hessen.

Schäfer-Gümbel? Der wurde doch für seine Mikroblogs regelrecht zerrissen…
Aber er hat es geschafft von einer absolut unbekannten zu einer bekannten Person zu werden. Und das ist im Nachhinein betrachtet mehr, als man erwarten konnte. Denn, dass er verlieren würde, war jedem politischen Beobachter klar. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht und das – mit der Unterstützung eines Beraters – sogar ganz gut.

Aber das sind Ausnahmen…
Ja, insgesamt passiert da noch relativ wenig, insbesondere bei den führenden Politikern: Westerwelle, Gysi und Rüttgers sind zwar gute Rhetoriker, aber sie haben nur Fernsehen gelernt. Im Netz sind sie grottenschlecht. Es reicht eben bei weitem nicht aus, sich ein Facebook-Profil zuzulegen oder bei Twitter aktiv zu sein. Man muss diese Kommunikationsinstrumente ernst nehmen und in die Strategie integrieren. Aber ist es für die Parteien aufgrund ihrer Strukturen überhaupt möglich, sich auf eine offene Kommunikation in Social Media einzulassen? Ich habe da derzeit noch meine Zweifel. Die FDP ist mit ihren Videos schon ganz gut, die Grünen sind sehr weit, was Facebook und Twitter betrifft. Die haben viele Mitglieder, die das sehr gut machen.

Und dann sind da noch Julia Klöckner und Ulrich Kleber, die das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl vorzeitig ausgezwitschert haben …
Die sind ja auch beide dafür öffentlich abgestraft worden. Aber ich glaube, dass man solche Fälle nicht vermeiden kann. Sobald man sich in einer Teilöffentlichkeit bewegt, kann es passieren, dass schnell die ganze Öffentlichkeit von Dingen erfährt. Das war früher auch nicht anders. Nur die Geschwindigkeit der Kommunikation hat durch Mikroblogging zugenommen. Sie können da die Zeit nicht zurückdrehen, es sei denn, sie machen es wie in den Schulen und verbieten die Handy-Nutzung.

Welche Folgen haben Mikroblogs und soziale Netzwerke denn für die Politik?
Auch die Parteipolitiker, die sich nicht mit den neuen Kommunikationsformen auseinandersetzen, müssen damit rechnen, dass dort thematisiert wird, was sie machen. Das hat man bei Peter Harry Carstensen gesehen: Der Koalitionsstreit in Schleswig-Holstein wurde vom SPD-Herausforderer Ralf Stegner ins Netz getragen und bei Twitter rege diskutiert. Carstensens Online-Team hat das verpennt. Internet als Kommunikationsmittel im Wahlkampf ist kulturell bei den meisten noch überhaupt nicht angekommen. Parteipolitik in Deutschland findet noch immer auf dem Schützenfest, am Stammtisch, in Bierzelten und in den Fußgängerzonen statt. Im Internet kommt nun etwas ganz anderes auf sie zu: Im realen Leben spricht ein Politiker zuerst hoch intellektuell vor Wirtschaftskammer und wenige Stunden später auf einer hoch emotionalen Ebene, zum Beispiel bei der Betriebsversammlung vor dem Opelwerk. In Social Media müssen sie diese Facetten alle irgendwie glaubhaft zusammenbekommen, das ist hochkomplex. Ich glaube, dass der nächste Bundestagswahlkampf 2013 spannender wird. Das wird der erste wirkliche Social Media-Wahlkampf. In den Sozialen Netzwerken kann man viel mehr Bürgernähe zeigen als in der Fußgängerzone.

Existiert vielleicht eine gewisse Angst?
Ja, eine enorme Angst. Nicht bei den Referenten, aber bei den Parteipolitikern. Sie müssen plötzlich eine andere Sprache sprechen. Solange es noch Parteipolitiker gibt, die sagen, dass sie das Internet auch schon einmal ausgedruckt haben, laufen sie bei den Digital Natives ins Leere. Wir brauchen Politiker, die auch deren Probleme und Sorgen ernst nehmen. Diese Menschen sollte man nicht der Piratenpartei überlassen. Aber noch versuchen die etablierten Parteien, alte Mechanismen auf neue Entwicklungen zu übertragen. Das funktioniert nicht mehr.

Bei Zensursula funktioniert Politisierung im Netz. Warum schaffen es die etablierten Parteien nicht, von dieser Dynamik zu profitieren?
Die Debatte wurde von der Ministerin, aber auch von jungen Leuten wie von Guttenberg und den meisten anderen Politkern überhaupt nicht verstanden: Es war ja niemand für Kinderpornografie. Die Einwände richteten sich nur gegen die Zensurentwicklung im Internet. Das zeigt, welch verschiedene Kulturen da aufeinandertreffen. Es war bei allen Parteien ein großes Unverständnis zu finden, gegenüber dieser neuen, noch sehr sehr kleinen Bürgerbewegung, die jetzt zum großen Teil in der Piratenpartei gemündet ist. Da müssen die Parteien aufpassen, dass ihnen nicht wieder eine ganze Generation verlorengeht, so wie das in den 80er Jahren bei der Friedensbewegung war. Das sind derzeit vielleicht nur zwei Prozent um die es geht. Das reicht sicher noch nicht, einer Partei zum Erdrutsch-Sieg zu verhelfen. Aber es reicht, das Parteiengefüge entscheidend zu beeinflussen und Mehrheiten zu verhindern.

Aber dann müsste es doch spannendere Überschriften geben als „18 Prozent für Horst Schlämmer“, wie das „Hamburger Abendblatt“ kürzlich titelte…
Das ist die Boulevardisierung von Inhalten. Welche Themen werden denn in der Tagesschau, im heute journal gesetzt? Im Vergleich zu vor 10 Jahren sind die Themen viel boulevardesquer geworden. Politiker werden vorgeführt statt Inhalte. Das war bei Schröder schon so und das ist auch ganz im Stile von Obama. Man kann Politikern natürlich schon vorwerfen, dass sie vor ihrer eigenen Chuzpe zurückschrecken. Im vergangenen Wahlkampf hatten Union und FDP noch eine sehr klare Vorstellung von dem, was sie politisch umsetzen wollten. Die Union hat damals kein Geld versprochen, gesagt wir müssen sparen und harte Einschnitte angekündigt. Aber das wurde abgestraft. Und jetzt haben wir eine Sozialdemokratisierung der CDU, nachdem zuvor Schröder schon die SPD christdemokratischer gemacht hat. Da ist es doch klar, dass die Konflikte ihre Schärfe verlieren. Und wo kein Konflikt herrscht, ist es langweilig.

Wie schlagen sich denn die Medien in diesem Wahlkampf?
Das ZDF ist mit seiner Berichterstattung zur Europawahl hervorzuheben: Die haben geschaut, was die Politiker in den neuen Medien alles machen und haben die Politiker, die noch nicht so vertraut damit sind, abgeholt. Sie durften direkt nach der Wahl auf die Twitter-Anfragen reagieren. Ein interessanter Ansatz. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben das Internet ohnehin als wichtiges Instrument erkannt, deshalb passiert viel: Sie bauen eigene Plattformen, kooperieren mit Youtube, wo das ZDF mit „Ich kann Kanzler“ experimentiert und zur Bundestagswahl Open Reichstag gestartet hat.

Und was ist mit den Printmarken im Netz?
Da passiert noch nicht sehr viel. Ich nutze die Twitter-Suchmaschine twazzup.com, um mir einen Überblick zu verschaffen, was gelesen, geklickt und diskutiert wird. Dabei stoße ich des öfteren auf das ZDF. Ab und zu schaffen es „Spiegel“ und „Zeit“ und „Welt“ sowohl über ihre herkömmlichen Auftritte als auch über Twitter und Facebook, auf ihre Angebote aufmerksam zu machen. „Der Freitag“ und „Der Westen“ gehen noch etwas weiter und setzen stark auf Interaktion. Insgesamt nutzen Die Printmedien die Möglichkeiten des Netzes für ihre Marken aber insgesamt bei weitem noch nicht gut genug aus. Da wird, ähnlich wie in der Politik, noch zu sehr in einer Einbahnstraße gedacht, und deshalb werden die Anbieter von den Digital Natives ignoriert. Es genügt nicht mehr, eine eigene Seite ins Netz zu stellen und darauf zu warten, dass die Nutzer kommen. Die Marken müssen dort präsent sein, wo sich die Leser bewegen: In sozialen Netzwerken, Blogs und Mikroblogs, denn da entscheidet sich der Wert einer Marke. Und sie dürfen diese Kanäle nicht automatisiert über programmierte Schleifen bedienen, die am Abend 20 Meldungen raushauen und damit die Nutzer auch zeitlich überfordern. Es kommt auf die richtige Dosis an, darauf, dass ein redaktioneller Mitarbeiter entscheidet, wann er dem potentiellen Leser zum Beispiel über einen Tweet eine Geschichte schmackhaft machen möchte, dass Diskussionsplattformen geboten werden und das Angebot moderiert wird.

In den Wahlkämpfen 2002 und 2005 trauten die Journalisten den Spin-Doktoren zu, zukünftig Wahlen zu entscheiden. Wo sind sie 2009?
Zum Albrecht Müller und Michael Spreng bloggen sie sehr aktiv und haben damit sofort ihre Medienpräsenz erhöht. Aber welche Themen werden denn diskutiert? Die Dienstwagenaffäre? Das war keine Affäre. Über die wichtigen Themen wird nicht gestritten. Das ist eine Frage der politischen Kultur. Spin-Doktoren sind nur dann gefragt, wenn der Wahlkampf eskaliert. Vielleicht kommt da ja jetzt etwas auf uns zu, nachdem in Thüringen und dem Saarland rot-rot-grüne Koalitionen möglich sind und CDU-Hinterbänkler ein klareres Profil von Merkel fordern.

ZUR PERSON: Klaus Eck (44) hat sich als Kommunikationsberater auf die Themen Corporate Blogs, Social Media Marketing sowie Online Reputation Management spezialisiert. Sein jüngstes Buch „Karrierefalle Internet“ beschäftigt sich mit Strategien für die persönliche und unternehmerische Reputation im Netz. Der Social Media Experte schreibt auf www.pr-blogger.de und twittert unter @klauseck.

TIPP: Klaus Ecks Webcheck mit seiner Bewertung  der  10 Top & Flop-Websites zur Wahl 2009 (zdf open Reichstag, Wahl.de, Wahlmobil 2009, Piraten live, @volkerbeck, Der Freitag, my.fdp, Kanal Grün, Team Deugschland Facebook-Gruppe, FWS-Blog) finden Sie in mediummagazin 9/2009, Seite 22.