Fifa & Co: Schmutziges Spiel
Thomas Kistner scheut keine Konflikte. Sein neues Buch „Fifa Mafia“ handelt vom kriminellen Potenzial im Weltfussballverband. Der SZ-Reporter sprach mit Matthias Fiedler über seine Recherchemethoden und sein Verhältnis zu Fifa-Chef Sepp Blatter.
Herr Kistner, in Ihrem Buch liefern Sie Beweise für die kriminellen Machenschaften der Weltfußballorganisation Fifa und deren Chef Sepp Blatter. Wie kommen Sie an Ihre Insider-Informationen?
Thomas Kistner: Es gibt viele Wege. Etwa die Beobachtungen aus nächster Nähe, die sich bei großen und kleinen Sportkongressen ergeben (Blatter ist auch Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, Anm. d. Red.). Dann gibt es Dokumente oder andere Informationen, die ich von Quellen erhalte. Es gibt immer Menschen, die ein schmutziges Spiel nicht mehr mitspielen wollen – oder nicht mehr dürfen. Funktionäre, Sportler, Ärzte, Geschäftspartner. Die lassen sich finden. Manche rufen einen sogar an oder senden teilweise anonyme Emails.
Vorausgesetzt, die Leute kennen Sie.
Ja, man muss natürlich in diesem Milieu drin sein und Kontakte zu Menschen pflegen, die sich innerhalb des Fifa-Zirkels bewegen. Hast du einmal den Draht zu einem dieser Leute, kommst du auch an weitere Personen in seinem Netzwerk heran.
Das aktuelle Buch von Thomas Kistner:
„Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball“,
Droemer 2012,
432 Seiten, 19,99 Euro.
Können Sie diesen Quellen bedingungslos vertrauen?
Bedingungslos – das gibt es nicht. Man kann aber unterscheiden zwischen Informanten, die man über Jahre kennt, oder neuen, die man nur in Bezug auf eine bestimmte Sache kontaktiert. Bei ersteren bedarf es meist keiner umfassenden Überprüfung mehr, wenn sich eine Vertrauensbasis entwickelt hat, kann man mit diesen Hinweisen losrecherchieren. Bei anderen muss man sehr genau prüfen, ob und wie man erhaltene Informationen verwenden kann. Schon, weil man aufpassen muss, nicht für etwas eingespannt zu werden.
Informationen sind das eine. Was braucht es noch für eine komplexe Analyse?
Das Wichtigste ist, die handelnden Akteure, also sowohl die Protagonisten der Berichterstattung als auch die Informanten, zu begreifen. Wie ticken diese Personen, welche Motive, welche Ziele haben sie? Etwas Menschenkenntnis schadet nicht. Ich betreibe viel Motiv-Forschung, ähnlich wie es Kriminalisten machen. Ich frage mich: Aus welchem Grund tun Leute bestimmte Dinge, und zu welchem Zweck?
Was ist, wenn jemand nicht reden will?
Bei denjenigen, die nicht reden wollen, beginne ich sowieso keine Recherche – bei denen endet sie ja oft. Das ist manchmal nur noch der letzte Pflichtanruf. Gewöhnlich wird dann herumgeeiert oder jede Aussage verweigert. Das ist auch eine Form von Bestätigung.
Wie oft stoßen Sie bei der Recherche an Grenzen?
Das passiert – jedenfalls bei einzelnen Geschichten, die platzen können. Aber generell kann man wohl nie alles ausbreiten, was man weiß – das ist auch im Fifa-Buch so. Entweder, weil ein letzter konkreter Beleg fehlt. Oder, weil ich Quellen schützen muss. Hätte ich zum Beispiel bestimmte Informationen veröffentlicht, wäre sofort klargewesen, von wem sie kamen.
Würden Sie deshalb sagen, dass die Recherche in Weltsportverbänden schwerer ist als in der Wirtschaft oder Politik?
Ja, weil diese Verbände wie eine Familie funktionieren, mit Blutsbanden, Ehrenkodex – und damit auf mafiöse Art. Die ganze Macht ist nur in Händen weniger Leute konzentriert, was den Zugang zu diesen kleinen, überschaubaren Kreisen extrem erschwert. Oder nehmen wir die rechtliche Autonomie des Sports gegenüber dem Staat. Die macht es sehr schwierig, an Dokumente zu gelangen, zumal ja nur sehr, sehr wenig gerichts- oder anderweitig aktenkundig ist. In Wirtschaft und Politik lassen sich ständig und überall Kontakte zu Behörden, Staatsanwaltschaften und Anwaltskanzleien herstellen, von denen man immer wieder eine Akte oder ein Dokument, einen heißen Tipp oder eine ganze Story bekommt.
Haben Sie Fifa-Chef Blatter je persönlich getroffen?
Ja, mehrfach. Bei der Olympia-Vergabe 2005 in Singapur zum Beispiel stand ich mit ihm zwei Stunden am Biertisch.
Und? Haben Sie mit ihm über die Fifa geplaudert?
Das hätte keinen Sinn gemacht, das war schnell klar. Aber das muss auch nicht sein. Man lernt einen Menschen kennen, wenn man über andere Dinge spricht. Es war im Übrigen sehr unterhaltsam, fast freundschaftlich. Er ist ein charmanter Mann.
Der Sie im Visier hat, wie er 2010 der „Weltwoche“ sagte.
Es ist nichts Falsches dran, wenn mich Blatter oder auch Sportler wie Claudia Pechstein als Journalist nicht schätzen. Ich halte das für ziemlich logisch.
Dass Leute wie Blatter oder Pechstein in ihrem Buch „Von Gold und Blut“ Sie namentlich erwähnen, muss doch eine Genugtuung sein.
Ich messe den Wert meiner Arbeit nicht an Blatters oder Pechsteins Abneigung. Wenn Blatter morgen hochginge, würde mich das emotional weniger auf Touren bringen als es ein sauberer Hattrick in der Senioren-Liga tut, in der ich immer noch kicke.
Ist es nicht frustrierend, dass sich trotz Ihrer Arbeit am System nichts geändert hat?
Mit Verlaub, aber dieser Anspruch wäre etwas vermessen. Es geht hier um Weltorganisationen, die in Politik, Wirtschaft und leider in viel zu vielen Behörden bestens vernetzt sind. Trotzdem hat sich durch die Arbeit eines kleinen internationalen Kollegenkreises doch eine ganze Menge getan. Das IOC beispielsweise ist transparenter geworden, es hat neue Regeln eingezogen und jüngst sogar Leute für Vergehen von vor 20 Jahre sanktioniert. Und daran, dass die Fifa heute in der Öffentlichkeit auf derart tönernen Füßen steht, hat ja Blatter selbst ein paar namentlich benannten Journalisten das Verdienst zugeschrieben.
Die Verlage verlieren an Auflage, müssen immer mehr sparen. Werden sich Zeitungen in Zukunft überhaupt weiter Investigativ-Recherche leisten können?
Am Geld dürfte es grundsätzlich nicht scheitern. Recherchieren kann jeder, das ist in diesem Job nicht verboten. Oft ist es eine Frage des Wollens. Außerdem: Die SZ kauft ja keine Informationen. Und das breite Interesse an diesen Themen ist gerade erst erwacht, weil der normale Fan nicht mehr betrogen werden will.
ZUR PERSON:
Thomas Kistner, geboren am 18. Oktober 1958 in Karlsruhe: Journalist wollte er nie werden, sondern lieber Jurist. Heute ist er einer der renommiertesten investigativen Journalisten im Bereich Sportpolitik und organisierte Kriminalität im Sport. Nach Politikstudium in Heidelberg, begann er bei den „Badischen Neuesten Nachrichten“ in Karlsruhe und wechselte 1986 zur „Münchner Abendzeitung“. Seit 1990 schreibt er für die „Süddeutsche Zeitung“, zuständig für Sportpolitik. Thomas Kistner erhielt mehrere Journalistenpreise des Deutschen Sportjournalistenverbandes, 1995 den Fairplay-Preis, 2008 den Theodor-Wolff-Preis, und wurde 2006 vom „Medium Magazin“ als „Sportjournalist des Jahres“ geehrt. Er hat zahlreiche Bücher zu sportpolitischen Themen – u.a. Olympia, Profifußball – geschrieben und an TV-Produktionen mitgewirkt. Im Mai ist sein jüngstes Buch „Fifa Mafia“ erschienen, in dem seine jahrelangen Recherchen über die undurchsichtigen Methoden im Weltfussballverband gebündelt sind.
Sind Sie eigentlich gerne unbequem?
Wie kommen Sie darauf?
Sie sind als Volontär Anfang der achtziger Jahre mal aus der Redaktion der Badischen Neuesten Nachrichten geflogen.
Da haben Sie aber gut recherchiert. Ich war erst vier oder fünf Wochen in der Außenredaktion Bruchsal und hatte kritisch über die Vorgänge um ein Ausländerheim und den Umgang mit den Menschen dort berichtet. Das fand der Ressortchef, der an diesem Tag nicht da war und einen, vorsichtig gesagt, engen persönlichen Draht zum Bürgermeister hatte, nicht so toll. Er hat wegen des Artikels sogar geheult am nächsten Tag, kam in mein Büro gestürmt und hat mich des Hauses verwiesen.
Das haben Sie wortlos hingenommen?
Naja, ich bin ihm hinterher und wollte die sachliche Begründung hören. Er hatte ja nur ein privates Problem damit. Die übergeordnete Hauptredaktion in Karlsruhe fand den Artikel hart, aber korrekt. Der Redaktionsleiter verschanzte sich jedoch in seinem Büro. Es war bizarr: Ich habe von außen an die Milchglasscheibe gedrückt und er schluchzend von innen. Bevor etwas zu Bruch ging, habe ich es dann sein lassen. Ein lehrreiches Erlebnis.
Versetzt hat man Sie trotzdem.
Ja, mit uns zwei ging das nicht mehr. Die Zentralredaktion hat mich in die Lokalredaktion nach Bretten geschickt, was insofern spannend war, als dass ich dort bald den Laden allein schmeißen musste, die zuständige Redakteurin hatte sich den Fuß gebrochen. Nach einem Jahr wurde ich dann Redakteur, mit Zusage für den nächsten freien Platz im Politik-Ressort. Übergangsweise durfte ich aus den Ressorts Lokales, Beilagen und Sport wählen. Da fiel die Wahl nicht schwer, zumal ich selbst aktiv Fußball spielte.
Sportreporter sind Sie schon lange nicht mehr: Was reizte Sie an Sportpolitik?
Das allwöchentliche Spielgeschehen in den Fußball- und anderen Ligen wurde mir schnell zur Routine. Die Abläufe dort wiederholen sich. Eckball, Elfer, Abseits – und danach die immer selben „Also ich sach mal“-Statements. Diese Verpflichtung, mit Leuten reden zu müssen, die nichts zu sagen haben. Es hat nicht lange gedauert, bis ich die sportpolitischen Themen, die über den Tellerrand hinausgehen, spannender fand. Zumal sich anfangs gar niemand damit befasste. Doping, Korruption, Fifa, IOC – in den Achtzigerjahren waren das Fremdworte im Sport.
Der Autor:
Das Interview führte Matthias Fiedler (28), Schüler der 50. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule und freier Mitarbeiter im Sport-Ressort der „Süddeutschen Zeitung“, im Rahmen der Abschlusszeitung „Spielmacher“ seiner DJS-Masterclass.
Photo Thomas Kistner: ©Droemer Knaur/Markus Röleke