„Freiheit braucht Mut“

„Was aber nützt uns die ganze schöne Pressevielfalt, wenn letzten Endes alle von Flensburg bis Garmisch über das selbe schreiben und auch die selben Themen auslassen“, fragte Verleger Dirk Ippen in seiner Festrede zur Verleihung des Wächterpreises der Tagespresse. Die Preisverleihung fand am Abend des 18. Mai im Kaisersaal des Frankfurter „Römer“ (Rathaus) statt.

„Der 1. Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung „Freiheit der Presse“ war der Darmstädter Verleger Hans Reinowski. Er pflegte gerne folgende Geschichte aus seiner Kindheit im Kaiserreich in Potsdam zu erzählen:

Wenn dort Kaiser Wilhelm mit klingendem Spiel einzog, dann hatten die Kinder schulfrei, standen an der Straße und schwenkten schwarz-weiß-rote Fähnchen. So auch der junge Hans, bis plötzlich sein Vater auf ihn zutrat und ihm eine schallende Ohrfeige verpasste: „Wir sind Sozialdemokraten, wir jubeln nicht, wenn der Kaiser vorbeikommt!“

Diese Geschichte hat sich der Junge gemerkt. Er wurde nach dem Krieg mit Hilfe der Amerikaner ein großartiger, der Freiheit und der sozialen Demokratie verbundener, kämpferischer Zeitungsverleger!

Die kleine Geschichte soll uns in dieser feierlichen Stunde in dem schönen Rahmen, den der Kaisersaal von alters her bietet, die Tür öffnen zu einigen Betrachtungen, zum Institut der Pressefreiheit, zu ihrer Gefährdung durch den Staat , durch die ökonomische Situation der Medien und zu den Gefahren, die vom Konformismus eines Journalismus ausgehen, der dem Zeitgeist verschrieben ist und der sich schuldig machen kann durch Schweigen über unliebsame Themen.

I. „es steht nicht gut um die Pressefreiheit in der Welt.“

Was die Pressefreiheit bedeutet und wie schwer sie errungen wurde, dazu braucht man hier im Schatten der Paulskirche, wo 1848/49 das erste frei gewählte deutsche Parlament tagte, keine großen Worte zu verlieren. Am besten hat es für mich der italienische Historiker Benedetto Croce in folgendem Satz zusammengefasst:

„Nur in Freiheit kann menschliche Gemeinschaft gedeihen und Früchte tragen. Freiheit ist aber 
ohne eine freie Presse nicht zu haben!“

Es ist wohl niemand hier im Saal, der das nicht unterschreiben würde. Aber, meine Damen und Herren, es steht nicht gut um die Pressefreiheit in der Welt. Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen hat gerade wieder eine Rangliste der Pressefreiheit nach Ländern aufgestellt und die Feinde der Pressefreiheit benannt. Danach sind unsere skandinavischen Nachbarn Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden, aber auch Irland ganz vorne auf dem Rang 1 und Länder wie Iran und Nordkorea ganz am Ende.

Deutschland steht auf Platz 18. Aber Frankreich, das Land, in dem die Pressefreiheit 1789 sozusagen „erfunden“ wurde, steht erst auf Platz 43, gefolgt von Italien auf Platz 49. Geschuldet ist das der traurigen Tatsache, dass die beiden „Latin Lover“ – Sarkozy und Berlusconi – in ihrer selbstgerechten Haltung als Staatschefs massiven Druck auf die Presse ausüben. Als die Öffentlichkeit in Frankreich erfuhr, dass der französische Präsident von der L`Oreal-Erbin Liliane Bettencourt schwarze Parteispenden erhalten hatte, kam es zu massiven Einschüchterungen und Einsatz polizeilicher Gewalt, um eine objektive Berichterstattung in französischen Medien zu verhindern. Private Wohnungen von Redakteuren der Tageszeitung Le Monde wurden untersucht, ihre Computer gestohlen. Der französische Präsident hat es auf die Informanten abgesehen, die mit den Journalisten zusammenarbeiten, um weitere Skandale zu verhindern.

All das ist noch harmlos gegen das, was wir bei den despotischen Regierungen im Osten Europas und in den ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion erleben. Weißrussland des Diktators Alexander Lukaschenko steht auf Platz 151 und besonders tragisch ist die Entwicklung in Russland, wo es doch für eine Übergangszeit relative Pressefreiheit schon gegeben hat.

Viel Hoffnung für die Zukunft bietet das nicht, weil der russische Ministerpräsident Vladimir Putin auf der Liste der Feinde der Pressefreiheit steht. Die Bilanz ist erschreckend: 5 Journalisten wurden in Russland im Jahr 2009 getötet, 25 seitdem Putin die Macht errungen hat! Die Medien sind gleichgeschaltet und von aggressiven Parteiorganen wie der kremlnahen Jugendorganisation Naschi überwacht. Die geht mit patriotischem Eifer gegen kritische Stimmen vor. Wer nicht mit Putin ist, ist gegen ihn und damit gezeichnet.

II. Pressefreiheit muss man auch nutzen

Bei uns in Deutschland wie in anderen „freien“ westlichen Ländern gilt die Sorge weniger direkten staatlichen Übergriffen auf die Presse als der Frage nach den Arbeitsbedingungen der Journalisten in einer Medienwelt, in der durch den Tsunami der digitalen Revolution die Wirtschaftskraft der klassischen Medien schwächer geworden ist. Was nützt die schöne Pressefreiheit, die im Grundgesetz garantiert ist, wenn künftig kritischer Journalismus und die dazu notwendige teure Recherche nicht mehr bezahlt werden können?

In den USA gibt es schon gemeinnützige Stiftungsmodelle für die Gewährleistung von unabhängigem Journalismus. Die sind entstanden aus der Erkenntnis, dass kritischer, professioneller Journalismus für die Demokratie unverzichtbar ist. Dazu gehört das Internetforum „Politico“ in Washington das sich rühmt, noch unabhängiger zu sein als die kränkelnde Hauptstadtzeitung „Washington Post“.

Bei deutschen Zeitungen gibt es Etatkürzungen und Zusammenlegung von Redaktionen. Wir sind aber glücklicherweise noch nicht so weit, dass wir uns ernsthaft Sorge um die wirtschaftliche Existenz von Tageszeitungen machen müssen. Aber schwierigere wirtschaftliche Verhältnisse sind auch bei uns offenkundig.

Gerade aktuell laufen Tarifverhandlungen, in denen die Verlegerverbände aus Gründen der Zukunftssicherung den Redakteuren eine Zusammenlegung von Weihnachts- und Urlaubsgeld glauben abverlangen zu müssen. Sicher ist in unseren Tarifverträgen in einer langen, erfolgreichen Zeitungsgeschichte seit 1949, einiges gewachsen, was nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Ich möchte mir so auch kein Urteil über die Verhandlungen erlauben, nur darauf hinweisen, dass es so etwas früher nicht gegeben hat. Die Zeitungen konnten früher einfach aus dem Vollen schöpfen.

Das ist längst vorbei und ein bekannter geistiger Kopf, ehemaliger Journalist der Süddeutschen Zeitung, erzählte uns neulich dazu folgende Geschichte:

Er pflegte auf Dienstreisen für die Zeitung immer in teuren Hotels seiner Wahl abzusteigen, so in Venedig im Hotel Cipriani. Anstandslos wurden alle seine Spesen immer vom Verlag bezahlt. Als er einmal aber auf einer privaten Reise dort weilte, bekam er einen Anruf vom Verlag, der ihm erst nach weiteren Rückfragen verständlich wurde. Wir wollten nur prüfen, so hieß es aus der Personalabteilung, ob Sie privat auch diese Hotelklasse wählen. Da wir jetzt wissen, dass Sie das tun, ist mit Ihren Spesen alles in Ordnung!

Diese generöse Unterbringung von Journalisten in teuersten Luxushotels der Weltspitze auf Verlagskosten, gehört wohl für immer der Vergangenheit an!

In Deutschland muss man nicht gleich den Untergang der Zeitungswelt beschwören, nur weil die Verlage heute mehr rechnen und sparsamer arbeiten müssen, auch hier und da mit weniger Personal zurecht kommen müssen. Gut geführte Verlage haben immer schon so gearbeitet und deswegen auch nicht schlechtere Zeitungen auf den Markt gebracht.

Die Verlage tun aber in jedem Fall gut daran, sich zu ihren Printausgaben digitale Auftritte zuzulegen. So kann die Reichweite in ihrer Addition von Print plus Digital mindestens so groß bleiben wie sie in der Vergangenheit gewesen ist. In diesem Bereich aber erweist sich unser öffentlich-rechtliches Rundfunksystem trotz einiger guter Seiten, die es ja auch hat, wieder einmal als Bürde. Die Sender finanzieren ihre immer besser werdenden Internetauftritte mit öffentlich-rechtlich erhobenen Gebühren. Durchaus verständlich, dass der Verlegerverband und einige große Verleger sich nun entschlossen haben, gegen diese Wettbewerbsverzerrung gerichtlich etwas zu unternehmen.

Zur Pressefreiheit gehört unverzichtbar auch die Gewerbefreiheit. Erst beide Freiheiten zusammen haben nach 1848 die unabhängigen Zeitungen entstehen lassen. Im öffentlich rechtlichen System darf es aufgrund der Finanzierung durch die wie eine Steuer erhobenen Rundfunkgebühren aber diese Gewerbefreiheit nicht geben.

Private Hörfunk- und Fernsehsender haben zwar diese Gewerbefreiheit, aber doch nicht so unbegrenzt, wie die Zeitungen, weil sie der strikten Kontrolle der Lizenzierungsbehörde unterliegen. Ich meine die Landesmedienanstalten in den einzelnen Ländern, die theoretisch auch immer mit Lizenzentzug oder einer Neuausschreibung von Lizenzen drohen können. So gesehen bleibt die Tagespresse das einzig wirklich völlig unabhängige Medium, das sich das leisten kann, was für die freie Presse besonders wichtig ist: Die Staatsferne!

III. Den Zeitgeist ohrfeigen

Die größte Gefahr für die gelebte Pressefreiheit aber kommt von innen her. Ich meine den Hang zum Konformismus und zu einer gewissen Hörigkeit gegenüber dem jeweiligen Zeitgeist. Da täte manchmal eine geistige Ohrfeige ganz gut, wie sie der kleine Hans Reinowski sehr real von seinem sozialdemokratischen Vater bekam, weil er den Kaiser bejubelte. Die Menschen im Kaiserreich waren einfach stolz darauf, einen Kaiser in schimmernder Wehr zu haben. Das war der damalige „Zeitgeist“, gegen den nur ganz Mutige, wie Vater Reinowski, angingen.

Heute ist das alles wohl etwas besser, aber es bleibt die alte Frage, was der Journalist eigentlich ist: Verkünder des Neuen, nicht von jedermann Gedachten, oder eher Lautverstärker dessen, was in einer Gesellschaft gerade Zeitgeist ist , Mainstream, wie es die Amerikaner nennen.

Ich bin überzeugt, dass vor allem das Letztere der Fall ist, ja bis zu einem gewissen Grade auch immer der Fall sein muss. Sogar Rudolf Augstein, der doch allseits als der größte Journalist des vorigen Jahrhunderts anerkannte Spiegel-Gründer, hat einmal gesagt, wie viel Spaß es macht, kritisch zu schreiben, aber dass es völlig sinnlos ist, gegen den Zeitgeist anzuschreiben. In den letzten Jahren, als er mit dem Zeitgeist immer weniger einverstanden war, hat er den Ausweg gesucht und gefunden, in dem er sich immer mehr auf historische Themen zurückgezogen hat.

Sicher ist auch Ihnen schon einmal aufgefallen, dass unsere Journalisten eine Art Schwarmverhalten haben. Sie bilden Cluster um bestimmte Themen, die gerade aktuell sind und an die Oberfläche kommen. Auf diese Themen stürzen sich einvernehmlich alle, während andere Themen, die nicht im Trend der Zeit liegen, unbeachtet bleiben.

Es gibt dazu manchmal ein unausgesprochenes „Schweigekartell“,ein schuldiges Schweigen über bestimmte, unerwünschte Themen. In Frankreich ist das gerade offenbar geworden an dem Skandal um den Weltbankpräsidenten Dominique Strauss Kahn (DSK). Der war seit langem bekannt für sein agressiv sexistisches Verhalten, aber es wurde totgeschwiegen. Eine Journalistin hat schon vor Jahren in einer Fernsehrunde von einem Vergewaltigungsversuch ihr gegenüber berichtet, aber niemand hat das Thema verfolgt. In einem Buch das vor einigen Jahren erschien über Sex der politischen Klasse gibt es ein Kapitel über DSK, aber in den Medien wurde das Buch totgeschwiegen.

Auch bei uns gibt es ein Liegen lassen von Themen die nicht ins Bild der heil geglaubten Welt passen. Gaddafi war immer schon der Gangster als der jetzt mit Haftbefehl gesucht wird, sein Sohn trieb in München sein Unwesen, aber kaum jemand hat das benannt.Und wie lange hat es gedauert bis Guatanamo als das bezeichnet werden durfte was es ist: Ein Schandfleck auf der weißen Weste der USA, die doch ein Rechtsstaat sind.

Was aber nützt uns die ganze schöne Pressevielfalt, wenn letzten Endes alle von Flensburg bis Garmisch über das selbe schreiben und auch die selben Themen auslassen?

In jüngster Zeit nimmt der gesellschaftliche Druck noch zu, sich konform zu verhalten und das ist das Allergefährlichste. Ich meine den Begriff der sogenannten „Political Correctness“. Ursprünglich hatte er seine Berechtigung als eine Ausgrenzung von Dingen, die unanständig sind oder die Grenzen einer normalen Beurteilung überschreiten. Heute wird dieser Begriff aber immer mehr verwendet, um unliebsame Meinungen von vornherein als unmöglich hinzustellen oder auszugrenzen.

Unser Land befindet sich ja seit Fukushima in einer Wende und ich wage vorherzusagen, dass die Ökodiktatur, auf die wir zusteuern, sehr schnell auch die Wahrheit in einen Belagerungszustand versetzen wird. Man muss ja nicht für die Atomkraft sein, aber man sollte doch kritische Fragen zum Sofortausstieg äußern können und nachfragen, bevor Entscheidungen getroffen werden, die unser Land in eine Sonderrolle in der Welt bringen. Wie aber soll man es wagen zu argumentieren, wenn ein Gremium mit dem anspruchsvollen Namen „Ethikrat“ entschieden hat?

Wer dagegen argumentieren würde, verstößt gegen die Ethik, man kann ihm unterstellen, dass Menschenleben und Schicksale ihm gleichgültig sind und eigentlich müsste man ihm das Wort verbieten. Die grüne Revolution, die in unserem Lande stattfindet, kann richtig sein mit Deutschland als Vorreiter für eine bessere Welt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik aber haben wir in diesem entscheidenden Punkt ein Thema, bei dem alle im Bundestag vertretenen Parteien die gleiche Grundlinie vertreten. Da müsste die Presse besonders aufmerksam werden.

Es schreibt aber fast niemand darüber, dass die grundlegenden Entscheidungen, wohin es in unserem Land gehen soll, in Kommissionen und runde Tische verlagert werden, und nicht in den Bundestag, wo sie hingehören in offener Diskussion. Kein Journalist ,aber dafür der Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier hat die Atompolitik der Bundesregierung als einen neuen Höhepunkt der Entmachtung der Parlamente

kritisiert. Schon die Laufzeitverlängerung, welche die schwarz- gelbe Koalition erst vor 5 Monaten im Bundestag als angeblich „alternativlos“ billigen ließ, sei verfassungsrechtlich zweifelhaft gewesen. Konnten doch die gewählten Volksvertreter nur noch im Nachhinein einem von der Regierung mit den AKW- Betreibern ausgehandeltem Vertrag zustimmen.In diesem
Vertrag heisst es „ die Bundesregierung“ habe sich entschlossen,die AKW Laufzeiten zu verlängern.Vom verfassungsgemässen Gesetzgeber,dem Bundestag, war damals schon keine Rede.Da muss man sich nicht wundern dass jetzt die Aussetzung der Laufzeitverlängerung auch wieder ohne Parlament erfolgt ist. Die Bescheide zum Sofortausstieg sind rechtswidrig und da der RWE Chef dagegen klagt kann es mal wieder teuer werden für den Steuerzahler.

Auch in der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise der Euro-Länder wird ständig unsere Verfassung ausgehebelt, jede Diskussion beendet mit dem Merkel-Unwort „alternativlos“. Es gibt ja in Wahrheit nichts, was alternativlos ist im Leben. Deswegen bedeutet das Merkel Wort nur eines : Ich bin nicht bereit im Parlament entscheidungsoffen darüber zu diskutieren!

Diese Ungeheuerlichkeiten werden in unseren Medien kaum benannt, denn sie liegen im Zeitgeist, dem auch ,von dem wie in der Kaiserzeit nur ganz Wenige sich frei machen können. Denn wer ganz gegen den Zeitgeist anschwimmt, findet kein Gehör. Ich möchte aber uns alle, vor allem die jungen Journalisten und Preisträger unter uns an eine Mahnung von Schiller erinnern aus seiner Schrift zur ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechtes :

„Lebe mit deinem Jahrhundert, 
aber sei nicht sein Geschöpf!“

Die hier mit dem Wächterpreis ausgezeichneten Arbeiten junger Kollegen haben alle etwas von diesem eigenen unabhängigen Denken, das Schiller uns allen aufgetragen hat.

Zum Nonkonformismus gehört Mut. Dieser Mut aber ist schon immer die Tugend der Freiheit gewesen. Der Athener Perikles hat es in zwei kurzen Sätzen zusammengefasst:

„Zum Glück brauchst Du Freiheit –
zur Freiheit brauchst Du Mut!“

Diesen Mut wünsche ich allen, die in unserem Lande sich äußern, ob in Zeitungen, Zeitschriften, im Radio oder in Blogs, auf Twitter, auf Facebook. Die Möglichkeiten gehört zu werden, sind heute größer denn je, auch da, wo die Feinde der Pressefreiheit die freie Meinungsäußerung unterdrücken wollen. Das ist die gute Nachricht!