„Fünf Tage für guten Journalismus“
Annette Hillebrand, Leiterin der Akademie für Publizistik (AfP), die am 20. September in Hamburg ihr 40jähriges Bestehen feiert, über die Voraussetzungen und Bedingungen für guten Journalismus – und warum sie nicht will, das Journalisten zur Weiterbildung „verdonnert“ werden.
Interview: Daniel Kastner
In Ihrem Statement zu 40 Jahren Akademie für Publizistik (Anm.d.Red.: hier nachzulesen AfP_Statement) schlagen Sie eine freiwillige Selbstverpflichtung der Medienhäuser vor: 5 Tage Weiterbildung für jeden Mitarbeiter – jedes Jahr. Um mal im Sinne der Adressaten zu nörgeln: Wer soll das bezahlen?
Annette Hillebrand: Nörgeln Sie ruhig. Bezahlen sollen die Medienhäuser. Wenn dann die Frage kommt: „Warum gerade jetzt? Jetzt ist doch eine ganz schlechte Zeit“ – dann sage ich: Der Zeitpunkt ist immer schlecht. Aber er ist zugleich der richtige, weil der Druck auf die Redaktionen, Neues zu lernen und diese Veränderungen mitzugestalten, seit einiger Zeit besonders groß ist und auch bleiben wird.
„Wir professionellen Journalisten haben ein Legitimations- und Glaubwürdigkeitsproblem.“
Warum ist dieser Druck gestiegen?
Wir professionellen Journalisten haben ein Legitimations- und Glaubwürdigkeitsproblem. Wir konkurrieren heute mit mehr Öffentlichkeiten, mit Blogs und nicht zuletzt mit PR. Viele Menschen zweifeln an der Unabhängigkeit der Berichterstattung und fragen sich, was unsere Informationen besser macht als andere. Wir müssen das, was Journalismus wertvoll macht, stärker unter Beweis stellen. Das können wir aber nicht, wenn zugleich Personal abgebaut wird, wenn weniger Redakteure mehr produzieren sollen, aber ihre Texte und Beiträge noch besser, noch fundierter sein sollen.
Wer nutzt die Angebote der Akademie häufiger: Feste oder Freie?
Eindeutig Feste. Und das ist ein Problem, weil es deutlich mehr Freie gibt als früher und alle Redaktionen auf Freie setzen. Obwohl die Seminargebühren der Akademie subventioniert werden und im Vergleich mit anderen Branchen sehr niedrig liegen, können sich viele Freie die Gebühren dennoch nicht leisten. Für sie ist die Weiterbildung finanziell ein verlorener Tag – zusätzlich zu den Kosten des Seminars. Wir haben Freie – aber wir hätten gern viel mehr.
„Ich glaube nicht, dass jeder Journalist in all diesen Foren, Plattformen und Kanälen unterwegs sein muss. Aber er muss wissen, wie sie funktionieren.“
Zurück zum Nörgeln: Muss denn ein altgedienter Zeitungsredakteur mit 30 Jahren Berufserfahrung wirklich noch twittern lernen?
Er muss nicht twittern lernen, aber er muss das Potenzial dieser „neuen“ Kommunikationswege kennen und einschätzen können, ob sie für seine Redaktion attraktiv sind – oder eben nicht. Ich glaube nicht, dass jeder Journalist in all diesen Foren, Plattformen und Kanälen unterwegs sein muss. Aber er muss wissen, wie sie funktionieren.
Werfen Sie mit Ihrem Vorschlag einen ersten Stein ins Wasser oder debattieren Sie schon länger mit den Medienhäusern?
Latent führen wir die Debatte schon mit denjenigen Medienhäusern, mit denen wir viel zu tun haben. Personalentwicklung – und Weiterbildung ist ein Teil davon – findet in den Medien nicht flächendeckend in der Professionalität statt, in der es meiner Meinung nach notwendig wäre. Übrigens taucht eine ähnliche Forderung immer wieder mal in Tarifverhandlungen auf: verpflichtende Weiterbildung statt neuer Lohnrunde.
Ich lese jeden Samstag auf mindestens einer Bildungs-, Karriere- und Berufsseite: Die wichtigste Ressource eines Unternehmens sind die klugen Köpfe und die motivierten Mitarbeiter. Hier herrscht eine erhebliche Diskrepanz: Wir schreiben darüber, aber wir nehmen es uns nicht selbst vor.
Wie bindet man die Medienhäuser in die Weiterbildung ein?
Eines vorweg: Ich möchte nicht, dass Mitarbeiter zur Weiterbildung „verdonnert“ werden. Weiterbildung sollte sukzessive zu einem Teil des Personalgesprächs werden. Ich will, dass die Chefredaktion reflektiert: Was habe ich mit dieser Reporterin oder jenem Redakteur noch vor? Und dass der betroffene Kollege sich selber fragt: Wo sehe ich noch Potenzial, was möchte ich lernen, wo liegen meine Stärken?
Ein möglicher Einwand: Darum kann sich die Chefredaktion nicht auch noch kümmern; Personalgespräche würden wieder mehr Personal erfordern.
Mit Verlaub: Ein jährliches Personalgespräch ist Standard in allen Branchen – übrigens auch hier in der Akademie. Das ist effektiver als jemanden dreimal kurz im Flur anzusprechen. Ein Personalgespräch dauert eine Stunde, und wenn es gut gemacht ist, profitieren beide davon.
Gibt es auch Positivbeispiele? Medienhäuser, die Personalgespräche führen und ihre Mitarbeiter regelmäßig weiterbilden?
Bestätigen kann ich das für den Wiener „Standard“ oder für die „Kieler Nachrichten“, um mal zwei Tageszeitungen zu nennen. Zu Jahresbeginn überlegen sich die Redakteure dort, was sie lernen möchten, und die Chefredaktion überlegt, wer was machen sollte. Dann plant man gemeinsam mit der Akademie, wie ein Seminar aussehen soll, damit es dieser Redaktion auch nützt. Man zieht so ein Seminar ja nicht einfach von der Stange.
Was von dem, was die Seminarteilnehmer 1970 lernten, ist heute noch aktuell?
Basisfertigkeiten wie Stilsicherheit, Schreibkompetenz und Recherche sind geblieben.
„Geändert haben sich auch Rollen und Selbstbilder. Heute wird von Journalisten deutlich mehr Teamkompetenz verlangt.“
Und welche Fertigkeiten werden heute verlangt?
Journalisten müssen sich viel stärker mit Technik auseinanderzusetzen – nicht zuletzt, weil das Internet neue, wunderbare Möglichkeiten bietet. Auch ein Printjournalist sollte heute wissen, wie eine Kamera funktioniert. Davon war 1970 nicht die Rede, damals gab es nicht einmal privaten Rundfunk.
Geändert haben sich auch Rollen und Selbstbilder. Heute wird von Journalisten deutlich mehr Teamkompetenz verlangt. Ressortgrenzen weichen auf, der einzelne Artikel, das einzelne Stück muss sich ins Gesamtkonzept der Zeitungsausgabe oder der Sendung fügen.
Sie haben vorhin von konkurrierenden Öffentlichkeiten gesprochen. Was haben professionelle Journalisten denen voraus?
Wenn sie gut sind, haben sie recherchieren gelernt. Recherche ist nun mal ein Handwerk. Und sie können Themen so aufbereiten, dass sie für den Leser informativ und vergnüglich sind.
Und wo müssen sie zu den Bloggern aufschließen?
Viele Blogs sind aus einer bestimmten Szene heraus geschrieben – ähnlich wie früher der „Bewegungsjournalismus“ – und sind deshalb oftmals näher dran. Journalisten können solche Blogs auch zur Recherche nutzen, nicht nur inhaltlich, sondern auch, um zu lernen, wie da geschrieben und kommuniziert wird.
Woher wissen Sie, wie Sie das Seminarangebot anpassen müssen?
Durch die Gespräche, die wir in der Akademie führen. Es kommen etwa 1000 Leute im Jahr, dazu noch einmal 200 bis 300 Dozenten. Mit all denen reden wir darüber, was in ihren Redaktionen los ist, und gewinnen daraus ein Bild. Alles, was in den Redaktionen geschieht, geschieht hier drin genauso. Wir lesen die Branchendienste, wir verfolgen die Debatten und verständigen uns in Strategiesitzungen auf ein Programm, von dem wir glauben, dass es sinnvoll ist. Bisher ist uns das gut gelungen.
„Es wird kaum gefragt: Warum machen wir das eigentlich, wo wollen wir mit unserer Zeitung, mit unserem Sender hin?“
Wo brennt es momentan am meisten?
Viele, die zu uns kommen, sprechen über sehr hohen Produktionsdruck – und darüber, dass im redaktionellen Alltag die Reflektion auf der Strecke bleibt. Es wird kaum gefragt: Warum machen wir das eigentlich, wo wollen wir mit unserer Zeitung, mit unserem Sender hin? Es wird ein Raum vermisst, in dem man Ideen spinnen kann, und Ansprechpartner, die man um Feedback bitten kann. Das sagen übrigens oft schon die Volontäre.
Das klingt ja, als sei ein Gesprächskreis die Lösung.
Häkeln in der Runde bieten wir nicht an. Wir können aber jedem einzelnen, der hierherkommt, ein wertvolles Angebot machen. Schwerpunkt ist immer die Praxis – Filme drehen, Texte schreiben und so weiter. Die Dozierenden und die Runde geben ein Feedback. Das ist wertvoll, weil es den Teilnehmern ein Stück Orientierung zurückgibt und weil es sich konkret an der journalistischen Arbeit orientiert.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft der Branche: In zehn Jahren…
… werden wir weiter Zeitungen haben – aber weniger. Was sich im Internet noch ereignet, vermag ich nicht zu sagen. Es wird neue Erlös- und Finanzierungsmodelle geben: einerseits Stiftungen und NGOs, die Recherchen finanzieren, andererseits mehr Mikro-Bezahlmodelle wie Flattr. Und ich bin mir sicher, dass jede Mediengattung über die jeweils eigene Stärke nachdenken muss – so wie heute schon über die Rolle der Tageszeitung diskutiert wird. Die Frage der Zukunft lautet: Welches entscheidende Merkmal hat mein Medium, das die Leute dazu bewegt, es zu kaufen oder einzuschalten?
Und wo wird die Akademie dann stehen?
Sie soll stärker als bisher international vernetzt sein, etwa mit Journalistenschulen in den USA. Ich habe auf der Suche nach Zitaten für unsere Jubiläumschronik eines von Kurt Maschmann entdeckt, dem ersten Akademieleiter: „Die Akademie soll Ansehen und Wirkung des Journalismus insgesamt befördern.“ Das soll sie auch in zehn Jahren noch tun.