„Gefährliche Zeiten“

O-Töne: Die Reden von Jurymitglied Roland Tichy (WiWo) und Preisträger Nikolaus Blome (Bild-Zeitung) bei der Verleihung des Herbert Quandt Medienpreises 2011 .

Der Herbert Quandt-Medienpreis 2011 sorgte schon vor der Verleihung am 22. Juni für Aufruhr: Die Auszeichnung der „Bild“-Serie „Geheimakte Griechenland“ ist umstritten, so hatte die Otto-Brenner-Stiftung kurz zuvor in der Studie „Drucksache „Bild“ die Berichterstattung des Boulevardblatts über die Griechenland-Krise scharf kritisiert.
Roland Tichy, Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“ und als Kuratoriumsmitglied der Johanna Quandt-Stiftung zugleich Juror des Quandt-Medienpreises, begründete die Auszeichnung am Abend der Preisverleihung bemerkenswert ausführlich. „medium magazin“ dokumentiert nachfolgend den vollständigen Wortlaut.

Update 24.6.: Die Erwiderung von Nikolaus Blome auf die Laudatio finden Sie  im Anschluss weiter unten.

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Die Laudatio von Roland Tichy zur Verleihung des Herbert Quandt-Medienpreises 2011 an die „Bild“-Autoren Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer:

„Wir leben in gefährlichen Zeiten. Es sind gefährliche Zeiten für die gemeinsame europäische Währung, Bedrohungen für Wohlstand und Wachstum zeichnen sich ab. Selbst das gemeinsame europäische Haus, dessen ständige Vergrößerung und luxuriösere Ausstattung uns wie selbstverständlich erscheint, dieses Haus droht Schäden zu erleiden.

Auslöser ist die Krise um Griechenlands Verschuldung mit allen ihren Folgen wie einem drohenden Staatsbankrott, einer erneuten Bankenkrise und Währungsturbulenzen. Es ist eine tiefgreifende Wirtschaftskrise und ein Streit um deren Bewältigung, bei dem es um Hilfspakete in der phantastischen Höhe von 200 Milliarden Euro geht.

„Krimi der Wirtschaftspolitik“

In dieser Zeit hat die Jury sich entschlossen, eine Serie auszuzeichnen, die nachvollzieht, wie Griechenlands Beitritt zum Europäischen Währungssystem erfolgte. Es ist ein Stück Zeitgeschichte, mehr noch, sogar ein Krimi der Wirtschaftspolitik, und ein Lehrstück, wie nachhaltige Politik gerade nicht aussehen soll.

 

Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer mit Roland Tichy (l.) und dem stv. Kuratoriumsvorsitzenden Stefan Quandt (r.).
Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer mit Roland Tichy und dem stv. Kuratoriumsvorsitzenden Stefan Quandt (r.)

Das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung hat entschieden, Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer für die Artikel-Serie „Geheimakte Griechenland“, erschienen in der „Bild-Zeitung“ vom 29. Oktober bis 3. November 2010, mit dem Medienpreis der Stiftung auszuzeichnen.

Die Artikelserie widmet sich rückblickend den Umständen des Beitritts und damit einer jener fundamentalen Weichenstellungen der Politik, die im Augenblick opportun erscheinen – ihre katastrophalen wirtschaftlichen Folgen aber erst viel später zeitigen. Es ist auch ein Lehrstück über die unterschiedlichen Rationalitäten von Politik und Wirtschaft.

Es ist die Geschichte, so der Einleitungstext, eines folgenschweren Irrtums: Es ist die fehlerhafte Grundannahme, „dass ein so kleines Land wie Griechenland mit einem Anteil von nur 2 Prozent an der europäischen Wirtschaftsleistung, ganz gleich was es anstellt, niemals den Euro in Gefahr bringen könnte.“

Das ist die Logik der Politik, die sich mit dieser Gewissheit nicht nur über Warnungen hinwegsetzt, sondern auch Vieles unternimmt, um die Warner zum Schweigen zu bringen. Dass es aber genau zu dieser Folgewirkung, zu dieser Hebelwirkung kommen könnte, formulierte die Europäische Zentralbank im Jahr 2000 wie folgt, und auch diese –notwendigerweise etwas knochige Textpassage – ist da abgedruckt, ein Schlüsseltext für das weitere Verständnis:

„Aus einem anhaltend hohen Schuldenstand könnte eine Gefährdung entstehen, wenn Fehlentwicklungen im Haushalt Griechenlands dazu führen, dass das Ausfallrisiko der öffentlichen Verschuldung höher als bisher eingestuft wird.“

Man kann den Autoren der EZB für diese Klarsichtigkeit nur gratulieren. Touché, gerade diese Höherbewertung des Ausfallsrisikos hat zum Desaster geführt, und über den Schuldenstand Griechenlands haben sich die europäischen Entscheidungsträger täuschen lassen, und zwar gerne, wie wir heute wissen. Oder anders formuliert: Die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen zeigen eine der eher seltenen Situationen, in der die Wirklichkeit die schlimmsten Schlagzeilen überholt. Die schrillsten Warnungen waren zu leise, das düsterste Drohgemälde, in das man sich als Wirtschaftsjournalist hineinphantasieren konnte, war zu beschönigend, wie die immer neuen Zahlen unabweisbar belegen.

Die Serie belegt diese Grundfehler anhand einer großen Anzahl zum Teil vertraulicher Schriftstücke und Memoranden, mit Interviews von Zeitzeugen und Analysen der Behörden und Ministerien in für eine Boulevard-Zeitung vergleichsweise langen Texten. Manches davon ist mittlerweile bekannt geworden, aber es fehlen in den meisten vorliegenden Analysen die Zusammenschau, die Details, und die Beschreibung der Mechanik der politischen Entscheidungsfindung.

Es sind durchaus bemerkenswerte Vorgänge, die da etwa in der Folge über die frisierten Bilanzen und Haushaltsbücher aufgedröselt werden – etwa das Verschieben von Zahlungsverpflichtungen in spätere Perioden oder komplizierte Swap-Geschäfte in Zusammenarbeit mit Goldman Sachs, um über die tatsächliche Haushaltslage wegzutäuschen. Wir lesen erstaunt, wie aus 495 Millionen Defizit 45 Millionen werden – das kann schon passieren, wenn Daten per Telefon übermittelt werden. An Flugzeugen und U-Booten für das griechische Militär werden im Herbst Mängel festgestellt, wochenlang berichten deutsche Medien über den Pfusch am Boot. Seltsamerweise werden die Rechnungen klaglos im Januar bezahlt – die Mangeleinrede diente nur dazu, die Zahlungsverpflichtung aus dem Haushalt zu verschieben.

Keine Auszeichnung für „ein Medium in seiner Gesamtheit“

Diese Recherchearbeit hat das Kuratorium bewogen, den beiden Hauptautoren den Preis zuzuerkennen. Der Quandt-Medien-Preis wird immer an Autoren und konkrete Arbeiten vergeben, in diesem Fall für die fünfteilige Serie. Eine Auszeichnung für andere Berichte oder generell für andere Artikel oder ein Medium in seiner Gesamtheit ist damit nicht verbunden.

Das Kuratorium hat sich auch die Frage gestellt, ob die Sprache und Darstellung zu reißerisch ist und damit eine Wirkung entfaltet, die über die eigentliche Faktenlage hinausreicht. Lassen Sie mich dazu etwas ausführlicher zitieren und erlauben Sie mir, mit den Gänsefüßchen etwas freihändig umzugehen, sonst wird der Vortrag unverständlich. Das muss man heute schon machen, nicht nur bei Doktorarbeiten.

Mit „griechischer Schein“ ist der Artikel überschrieben, wie das „Land seine Schulden verschleierte“, etwas, was sonst nur in einer „korrupten afrikanischen Diktatur“ vorkomme. 15 Jahre verschleierte das hochverschuldete Griechenland seine finanzielle Lage. …. In Wahrheit haben „Europas Regierungen jahrelang zugesehen, wie Athen seine Zahlen frisierte – und nichts unternommen.“ Etatkosmetik in großem Stil. Selbst bei der Qualifikation für die Währungsunion hatten die Griechen gelogen“, bis das „Lügengebäude zum Einsturz“ kam.

Die Korrektheit der Zitierweise verlangt folgendes Eingeständnis: Dieser Text stammt übrigens nicht aus der prämierten Serie, sondern aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15. Juni 2011. Eine Textanalyse zeigt, dass die prämierte Serie – gemessen an diesem Qualitätsblatt – eher mit einer vorsichtigen Sprache und Theatralik daher kommt. Die Sätze sind zwar kürzer, ihre Semantik eher trocken gemessen an diesem Beitrag zum gleichen Thema in der seriösen Schwester der gedruckten Wörter.

Bei den beiden Autoren heißt es:

Es ist eine Geschichte von Tricksen und Täuschen,
von immer neuem Weggucken und skandalöser Wurstigkeit
.“

Vielleicht ist das auch der Grund, warum etwa die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung in einem Gutachten, das der Bild-Zeitung generell abspricht, überhaupt ein Medium unter dem Schutz von Artikel 5 Grundgesetz zu sein, warum bei diesem Generalangriff zu lesen ist: Die Serie gewähre „durchaus Einblicke in politische Entscheidungsprozesse“ und sei damit eine „vergleichsweise eher journalistisch geprägte Ausnahme“. Herzlichen Dank für diese nachträgliche Bestätigung unseres Urteils.

Zwei konkurrierende Sichtweisen

Es bleibt allerdings der Vorwurf: Handelt es sich hier nur um den seriösen Teil einer in sich unseriösen Kampagne gegen Griechenland? Das Kuratorium ist der Meinung, man solle doch von einer Tradition des klassischen Griechenlands Abstand nehmen, wonach der Überbringer einer schlechten Nachricht hingerichtet wird. Besser ist es in modernen Gesellschaften,  sich den Verursacher vorzunehmen, der durch seine Politik den Euro als wichtigen Baustein des vereinten Europas in eine gefährliche Lage gebracht hat. Probleme lassen sich nicht dadurch lösen, dass man die Problemursachen beschönigt. Trotzdem ist diese Serie sehr umstritten.

Es konkurrieren zwei Sichtweisen, die sich sehr grob wie folgt zusammenfassen lassen: Griechenland als Opfer der ‚Finanzspekulation’ der Deutschen. Oder Griechenland als Täter, der seine eigenen Schwächen nicht bearbeitet und damit andere ansteckt. Wer hat Recht?

Ich glaube, die konträren Sichtweisen kommen dadurch zustande, dass wir zwar Europa institutionell vereinen, aber es nach wie vor keine hinreichend ausgeformte europäische Öffentlichkeit gibt. Die öffentliche Meinung aber ist eine zentrale Kategorie für die Bestimmung der Legitimität demokratischer Herrschaft und deshalb ein unentbehrlicher Faktor im Prozess der politischen Willensbildung (nach: Andersen/Woyke, „Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland“). Sie ist ein Kernelement demokratischer Staatstätigkeit im modernen Verfassungsstaat.

Wir haben aber in Europa nationale Diskurse. Gerade die Euro-Krise zeigt das: Deutschland hat in den vergangenen Jahren die Lohnstückkosten nur geringfügig erhöht, die Arbeitsmärkte flexibilisiert, die soziale Sicherung wenigstens moderat reformiert und die öffentlichen Haushalte nach einigem Hin und Her doch konsolidiert. Andere Länder haben das nicht getan.

Es geht hier nicht um right or wrong, um lehrerhaftes Auftrumpfen und Besserwisserei. Andere machen es anders, und dies führt im Ergebnis zu wachsenden Diskrepanzen im Ergebnis der jeweiligen Politik. Bemerkenswert ist deshalb, dass sich griechische Medien um ihre Regierung scharen und Deutschland häufig als 4. Reich dargestellt und die europäische Flagge mit dem Hakenkreuz verunziert wird.

Notwendige Transparenz

Deutsche Medien gehen eher kritisch mit Griechenland um. Es gibt keine gemeinsame paneuropäische Sicht darauf, wie notwendig beispielsweise Haushaltskonsolidierung und Sozialstaatsreformen und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit sind oder wie diese Zustände herzustellen seien. Und das ist der Grund, warum sich die Hoffnung der Politik nicht erfüllt hat, dass sich nach Einführung des Euro die unterschiedliche Wirtschaftsleistung der Teilnehmerländer schon angleichen werde. Europa hat sich wirtschaftlich gesehen auseinander entwickelt.

Übrigens wird daran eine zentralistische Wirtschaftspolitik nichts ändern. In Demokratien kann die Politik nicht allzu lange im Widerspruch zur öffentlichen Meinung der Menschen agieren. Ohne eine gemeinsame Sicht auf die Dinge werden Institutionen als Zwangsveranstaltungen wahrgenommen und ihre Bemühungen laufen ins Leere.

Das spürt auch die Europäische Zentralbank: Drohende Inflation löst in Deutschland einen anderen Diskurs aus, nämlich gelegentlich panikartige Debatten. Anderen Ländern unter dem Dach des Euro sehen das gelassener. Das zeigt sich auch in der Libyen-Debatte oder dem Atomausstieg. Die vielen europäischen Sonderwege sind nicht nur in legitim verfolgten Eigeninteressen begründet, sondern oft genug in einer unterschiedlichen kollektiven Sicht auf die Dinge. Ohne einen gemeinsamen europäischen Diskurs, ohne ein europaweites „Government by Discussion“ drohen die Dinge weiter auseinander zu laufen und die neu geschaffenen Institutionen werden so negativ empfunden, wie es Habermas und Enzensberger in ihren jüngsten Einlassungen gezeigt haben, weil sie die auseinander strebenden nationalen öffentlichen Meinungen zwangsweise klammern.
Dazu gehört auch die Thematisierungsfunktion der öffentlichen Meinung, wie sie Niklas Luhmann formuliert hat, oder die Kontrolle der Regierenden durch eine wachsame öffentliche Meinung. Daher rührt auch ein Teil der Aufregung. Transparenz muss im europäischen Einigungsprozess erst hergestellt werden. Die Serie leistet dazu einen Beitrag.

Aufgabe des Journalismus

Die Mitverantwortung der Regierenden am Debakel ist für das politische Europa nicht schmeichelhaft und geeignet, das Vertrauen in die Weisheit ihrer Maßnahmen zu erodieren. Bemerkenswert daher auch in der Serie, wie der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel Druck auf die Deutsche Bundesbank ausübt, um Warnungen über die tatsächlich desaströse Haushaltslage Griechenlands zum Verstummen zu bringen. Wir lesen über „codierte Warnungen“ – kein offenes Nein, aber doch ein bisschen Warnung. Die Sprache der beiden ist knapp und präzise, um die komplizierten Prozesse zu verdeutlichen.

Journalismus in diesem Sinne ist nicht hilfreich. Aber es ist auch nicht Aufgabe des Journalismus, bei Fehlentwicklungen mitzuhelfen, sondern vielmehr, sie kritisch zu begleiten.

Der Griechenland-Beitritt vor zehn Jahren zeigt, was passieren kann, wenn gewissermaßen im Stil früherer Kabinettspolitik Entscheidungen unter freiwilligem Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Der Beitritt Griechenlands wurde im Deutschen Bundestag vor weitgehend leerem Haus besiegelt und in den Medien nur durch knappste Meldungen wiedergegeben. Auch das habe ich in der Rückschau der Serie entnommen.

Europa kann nur wachsen, wenn es lernt, sich mit harter und direkter Kritik auseinanderzusetzen. Es darf nicht das Thema einer kleinen, verschworenen Elite bleiben, sondern muss sich auch in der breiten Öffentlichkeit, auf dem Boulevard erklären können.“

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Info: Die  Preisträger des Herbert Quandt-Medienpreises 2011 sind:

Sabine Eichhorst für den Hörfunk-Beitrag „Laufschuhe aus dem Kuhstall“ (NDR Info, 18. April 2010),
Marcus Niehaves
für die TV-Reportage „Ein Jahr in der Schwabenschmiede“ (ZDFinfo, 25. Mai 2010),
Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer für die fünfteilige „Bild“-Serie „Geheimakte Griechenland“ (29.Oktober -3.November 2010)
Joachim Käppner für sein Buch „Berthold Beitz. Die Biographie“ (Berlin-Verlag, 2010). Die Laudatio finden Sie hier

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„Darüber lässt sich streiten“

Nikolaus Blome, Leiter "Bild"-Hauptstadtbüro und ab 1. Juli stv. Chefredakteur und Wirtschaftschef "Bild". Foto: F.Matherath
Nikolaus Blome, Leiter "Bild"-Hauptstadtbüro und ab 1. Juli stv. Chefredakteur und Wirtschaftschef "Bild". Foto: F.Matherath

 

Die Erwiderung von Nikolaus Blome bei der Preisverleihung am 22. Juni im Wortlaut:

„Im Namen von Paul Ronzheimer und den acht anderen Kollegen, die an der Griechenland Serie mitgearbeitet haben, möchte ich mich bedanken: Bei der großzügigen Johanna-Quandt-Stiftung, bei der weisen Jury, bei unserem Verlag und unserer Chefredaktion, bei unseren Lesern und besonders bei den vielen griechischen Kollegen, die uns bei der Recherche im Land geholfen haben.

Wir wissen wofür wir diesen Preis gekriegt haben und wofür nicht. Nicht bekommen haben wir ihn für die Serie von Berichten aus dem Frühjahr 2010, als die griechische Schuldenkrise das erste Mal ausbrach. Und wir wissen auch, warum wir für Berichte mit schönen Zeilen wie: „Was Costas“ oder „Hier steht er nun am Mittelmeer und hatte keine Mittel mehr“ keinen Preis bekommen haben. Ganz einfach: Wir haben es versäumt diese Stücke einzureichen. Anders bei der Akte Griechenland.

„Ein Experiment in mehrfacher Hinsicht“

Fünf mal eine Seite in Bild im Oktober und November 2010. Diese Serie war auch in der Redaktion anfangs nicht unumstritten. Denn sie war ein Experiment in mehrfacher Hinsicht. Sie sollte zeigen, ob BILD dieses Serienformat auch bei Wirtschaftsthemen beherrscht, ob wir dieses Thema sachlich fachlich angemessen und mit der Bild-gewohnten Spannung, Dichte und Exklusivität hinbekommen. Ja, das tun wir, wie es scheint.

Sie sollte auch zeigen das „Bild“-Leser an ganzseitigen Teilen dranbleiben. Ja, tun sie und zwar im Print wie auch online. Der Zuspruch und die Zahl der Seitenaufrufe waren sehr, sehr groß.

Es sollte auch zeigen, ob wir etwas hinkriegen, das „der Spiegel“ vielleicht auch als Titelgeschichte drucken würde. Ob wir den Spiegel einmal auf seinem eigenen Terrain neidisch machen können? Ja, können wir. Die Serie zu produzieren hat viel Spaß gemacht und sie hat mich auch stolz gemacht.

„Kein Selbstlob“

Sie hat aber auch mehrere Wochen Zeit gekostet, ausgedehnte Reisen nötig gemacht, Recherchetreffen, Hintergrundgespräche, Planung etc. Kurzum: Sie hat viel Zeit gekostet und Personal gebunden. Sie hat Geld gekostet. Für die „Akte Griechenland“ war es eine Summe, die sich wahrscheinlich nicht viele Redaktion in der Republik leisten können. Guter Journalismus und guter Wirtschaftsjournalismus zumal ist teuer.
Das ist kein Selbstlob für uns und das ist auch kein Vorwurf an andere.

Aber es ist etwas, woran man erinnern muss an diesem Abend, der auch dem Wirtschaftsjournalismus gewidmet ist. Der ist teuer und das können sich nicht mehr alle leisten. Das nützt als Anspruch für „Bild“ und auch für andere „Dickschiffe“ von deren Vertretern ja heute auch einige im Saal sind. Wir sollten die Fahne hochhalten. Wir jedenfalls möchten dieses Format der wirtschaftspolitischen Berichterstattung, über Wirtschafts- und Politikkrimis weitermachen. Versprochen. Vielleicht sehen wir uns nächstes Jahr ja wieder.

„Schrille Töne“

Und wenn Sie gestatten lieber Herr Tichy, ein optimistischer Widerspruch: meine Gedanken zu mancher Aufgeregtheit über die „Bild“-Berichterstattung zu Griechenland, ein Gedanke zur medialen politischen Diskussion über griechische Schulden, griechische Schuld und griechischen Schlendrian. Da sind manche schrille Töne dabei. Manche Art dicker Pinselstrich – auch bei „Bild“ – mag den guten Geschmack verletzen. Oder mag als Verletzung friedlichen Umgangs unter stolzen Nationen empfunden werden. Das so zu sehen steht jedem frei, ganz ausdrücklich. Darüber lässt sich streiten.

Ich meine jedoch – und das unterscheidet sich ein bisschen von dem was Sie sagten, Herr Tichy -, was wir gerade erleben, ist das
Entstehen einer europäischen Innenpolitik, also genau das, was große Europafans – und ich gehöre dazu – sich immer gewünscht haben: nämlich eine europäische Innenpolitik, eine europäische Öffentlichkeit, die über Ländergrenzen das diskutiert, was die res publica ist.

Wir haben es ein paar wenige Male in der Vergangenheit erlebt. BSE wurde in ganz Europa diskutiert, aber auch das Geschehen in Österreich im Jahr 2000, als die rechtspopulistische FPÖ damals an der Regierung in Wien beteiligt werden sollte. Und ich erinnere daran, was viele damals den Österreichern nachsagten. Was sie den Österreichern mit Inbrunst und bis hin zu inquisitorischem Rechtsglauben vorwarfen und wie sie besser wissen wollten, wer in Österreich an der Regierung beteiligt werden sollte und wer nicht. Das war auch schon europäische Innenpolitik. Das war auch schon schrill. Aber Schwamm drüber.

„Ein bisschen ruppig“

„Der springende Punkt ist dieser: Europäische Innenpolitik wird mit denselben harten Bandagen ausgetragen, wie nationale Innenpolitik. Joschka Fischer hat das – in der, meiner Meinung nach, besten Europa-Rede, die er je gehalten hat – vor fast zehn Jahren ausgeführt. Schrille Töne, manche Verletzung von gutem Geschmack und zivilisiertem Umgang gehören mit dazu. Im Streit zwischen SPD und CDU, Grünen und FDP nehmen wir das längst wie selbstverständlich hin. Daran müssen wir uns eben auch in Europa gewöhnen.

Früher hat der Zustand der griechischen Rentenkasse uns alle nicht interessiert, warum auch? Heute muss er uns interessieren. Weil die griechische Krise alle Eurostaaten mit Milliarden in die Pflicht nahm, wird jetzt in allen Staaten diskutiert, was die Griechen da falsch machen oder richtig machen zum Beispiel mit ihrer Rentenkasse. Und so gehört es sich auch: Es wird so diskutiert wie nationale Innenpolitik. Ein bisschen ruppig. Aber weit entfernt von Bürgerkrieg, von „Hetze“.

Mein Fazit: Europa geht nicht unter. Europa wird erwachsen. Das tut manchmal ein bisschen weh. Aber gute Europäer bringt das nicht um. Und „Bild“, das darf ich sagen, gehört zu den guten Europäern: Wir sind für den Euro. Wir wollen, dass der Euro gerettet wird. Aber wir wollen – auch im Namen unserer Leser – wissen: Wie geht das? Und: „Was Costas“! “

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Anmerkung der Redaktion: Wir dokumentieren hier diese  beiden Reden im vollständigen Wortlaut als Beitrag – unabhängig von der Haltung der Redaktion – zur Diskussion über eine umstrittene Entscheidung der Jury des Quandt-Preises. (Mehr zum Thema Berichterstattung über die Griechenland-Krise siehe auch „medium magazin“ 7-8/2011, das Anfang Juli erscheint.)